Wie sauber war die Wahl zum Gemeindeparlament?
Der Machtkampf in der Jüdischen Gemeinde Berlin eskaliert. Am Sonntagabend soll sich das neue 21-köpfige Gemeindeparlament konstituieren. Die Opposition hat aber die Wahl angefochten - und einen Brandbrief an den Präsidenten des Zentralrats der Juden geschickt.
Gideon Joffe, der Chef der jüdischen Hauptstadt-Gemeinde, hat sich zum Wahlsieger erklärt. Laut offiziellem Ergebnis kann er im Amt bleiben. Doch der 43-jährige Volkswirt habe beim Urnengang gemauschelt – behaupten seine Gegner. Der oppositionelle Spitzenkandidat Sergey Lagodinsky klagt:
"Wenn das ein Sieg war, dann war das ein Sieg mit unkoscheren Mitteln."
Nach Lagodinskys Berechnungen hat eigentlich sein eigenes Wahlbündnis EMET beim Urnengang vorne gelegen. Doch bei der Stimmauszählung sei plötzlich eine bislang unbekannte Urne aufgetaucht - eine ominöse Urne, die dutzende Briefwahl-Stimmen enthielt pro Joffe-Fraktion.
Eine ominöse Urne stellte das Ergebnis auf den Kopf
Diese Stimmen hätten das Wahlergebnis auf den Kopf gestellt, berichtet der studierte Jurist. Und wo die Zettel ausgezählt wurden, habe niemand vorab gewusst.
Sergey Lagodinsky: "Das heißt, mit den Wahlzetteln in dieser Wahlurne konnten die Leute machen, was die wollen. Und das ist aus unserer Sicht ein ganz klarer Verstoß gegen den Öffentlichkeitsgrundsatz der Wahlen."
Bereits vor der Gemeindeabstimmung am 20. Dezember hatte sich Lagodinsky über unfaire Wahlbedingungen beschwert: So sei der Opposition der Wahlkampf in den Gemeinderäumen wie auch im Gemeindemagazin "Jüdisches Berlin" verboten worden. Umstritten war auch die Einsetzung eines Wahlleiters, der zuvor Rechtsanwalt des Gemeindevorstands war - und damit Vertreter der Joffe-Fraktion. Eine faire Abstimmung wie auch eine transparente Auszählung sei so unmöglich gewesen - bilanziert die Opposition.
Sergey Lagodinsky: "Unter diesen Umständen fühlen wir uns natürlich als Wahlsieger – als Wahlsieger, die um ihren Sieg betrogen worden sind."
Ähnliche Situation wie vor vier Jahren
Die Gemeindeopposition erlebt ein Déjà-vu. Denn bei der Gemeindewahl vor vier Jahren gab es eine ähnliche Situation: Auch damals wurden Gideon Joffe Unregelmäßigkeiten vorgeworfen. Der Urnengang der 10.000-köpfigen Gemeinde wurde schließlich als rechtswidrig eingestuft – und musste wiederholt werden. Nun gibt es erneut Vorwürfe gegen Joffe. Der Vorstandschef weist jedoch alle Anschuldigungen zurück. In einer Presseinformation attackiert er das gegnerische Wahlbündnis EMET, Zitat:
Es ist traurig, dass die Opposition ihre Niederlage nicht eingestehen will und stattdessen mit haltlosen Manipulationsvorwürfen um sich wirft, welche leider zum Standardrepertoire von EMET zu gehören scheinen.
Gemeindechef Joffe gibt kein Interview zu dem Thema. Er stehe nur für Gespräche zur Verfügung, die live geführt nicht geschnitten werden - so Joffes Sprecher. Das heißt: Für Radio-Berichte mit Pro- und Contra-Meinungen findet der Vorstandsvorsitzende keine Zeit. Auch der umstrittene Wahlleiter, der zuvor als Anwalt des Vorstandes tätig war, äußert sich nur schriftlich. In einer Presseinformation verkündet er, Zitat:
Jegliche Anschuldigungen in Bezug auf Manipulationen bei der Gemeindewahl weist der Wahlausschuss entschieden zurück.
Die jüdische Gemeinde ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts. Deshalb kann der Streit nicht vor einem Verwaltungsgericht – sondern nur innerjüdisch geschlichtet werden. Aus diesem Grund hat die Gemeinde-Opposition beim Schiedsgericht des Zentralrats der Juden Einspruch gegen das Berliner Wahlergebnis eingelegt. Allerdings hat sich das Schiedsgericht für nicht zuständig erklärt.
Brandbrief an den Präsidenten des Zentralrats
Oppositionsvertreter Lagodinsky sieht kaum noch juristische Chancen, gegen Amtsinhaber Gideon Joffe vorzugehen.
"Na wir sind praktisch nach dieser Entscheidung des Schiedsgerichts des Zentralrats der Willkür der regierenden Partei ausgeliefert."
Sergey Lagodinsky hat nun einen Brand-Brief an den Präsidenten des Zentralrats, Josef Schuster, verfasst. Auf diese Weise soll die anberaumte Sitzung des neuen Gemeindeparlaments in letzter Sekunde von ganz oben verhindert werden. Wörtlich heißt es in dem Schreiben: "Diese Gemeinde braucht eine starke und mutige politische Stimme, um den Zerfall der größten jüdischen Institution dieses Landes zu verhindern". Zentralratspräsident Schuster erklärt jedoch, sein Dachverband sehe keine Möglichkeit, in die Autonomie der Berliner Gemeinde einzugreifen. Der Machtkampf unter den Juden an der Spree geht weiter.