Doktorandin mit über 90
Ihr erstes Uni-Semester belegte sie im Jahr 1943. Dann kamen Krieg, Ehe und Kinder. Heute ist Rosemarie Achenbach fast 94 und schreibt an ihrer Doktorarbeit an der Uni Siegen. Ihr Thema: der Tod.
Ein Nachmittag in der Evangelischen Studierendengemeinde in Siegen. Die ESG ist untergebracht in einem kleinen Haus auf dem Uni-Gelände im Norden der Stadt. An einem großen runden Tisch sitzen fünf Frauen bei Tee und Gebäck zusammen.
"Ja, ich bin die Nadja..."
"Ich bin Friederike..."
"Ich bin Anna-Lena..."
"Und ich bin die Kerstin, ich bin schon fertig mit dem Studium. Ich habe Lehramt studiert fürs Gymnasium: Deutsch und Evangelische Theologie."
"Ich bin Friederike..."
"Ich bin Anna-Lena..."
"Und ich bin die Kerstin, ich bin schon fertig mit dem Studium. Ich habe Lehramt studiert fürs Gymnasium: Deutsch und Evangelische Theologie."
"Also ich habe ja jetzt eine neue Freundin. Die hat auch evangelische Religion studiert, hat aber auch katholische mitgehört – und hat bei einem Professor Ratzinger studiert. Und wenn sie ein bisschen spät kam, weil sie die Vorlesung vorher nicht so schnell verlassen konnte, dann hat er ihr sehr höflich die Tür aufgehalten. Ja, also Sie sind ja noch sehr jung. Und wie alt ich bin, das wissen sie wahrscheinlich: Ich bin 93..."
Fast so viele Lebensjahre wie vier Kommilitoninnen zusammen
Das ist Rosemarie Achenbach – wie die anderen vier Frauen eingeschriebene Studentin an der Uni Siegen in Nordrhein-Westfalen. Allerdings hat sie alleine fast so viele Lebensjahre hinter sich wie die anderen vier zusammen.
Einige Wochen zuvor. Ich sitze in der Regionalbahn auf dem Weg nach Siegen, um Rosemarie Achenbach kennenzulernen. Ein Zeitungsartikel hatte mich auf sie aufmerksam gemacht – auf eine Doktorandin von 93 Jahren, die 60 Jahre nach Studienbeginn ihren Magister gemacht habe und jetzt auch noch promovieren wolle. Gleich beim ersten telefonischen Kontakt lädt sie mich freundlich zu sich nach Hause ein.
Rosemarie Achenbach lebt in einer Wohnsiedlung aus den 60er-Jahren. Mittlerweile hat sie das geräumige Einfamilienhaus ganz für sich. Ihr Mann starb 2003, die beiden Töchter und der Sohn leben verstreut im In- und Ausland.
Wie ein altgewordener Engel mit Brille
Klein und zierlich ist sie, die 93-jährige Doktorandin. Weißes, leicht krauses Haar bis zu den Schultern. Sie sieht ein bisschen aus wie ein altgewordener Engel mit Brille.
Wir setzen uns aufs Sofa im großen Wohnzimmer. Viele Bücher ringsum, in altmodischen Vitrinen, auf dem schweren Couchtisch. Rosemarie Achenbach zeigt mir ein dickes Manuskript: die bisherigen Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeit für den Doktortitel. Die Dissertation ist aber noch lange nicht fertig, sagt sie, und nimmt einen Schluck Cola aus einer Tasse.
Wie muss man sich eine hochbetagte Doktorandin vorstellen? Vorurteile – etwa, dass man in diesem Alter wohl meist müde und eher schweigsam sei – räumt sie ziemlich schnell aus. Ich schalte das Aufnahmegerät ein, stelle eine erste Frage – und komme länger nicht dazu, eine zweite zu formulieren. Frau Achenbach erzählt und erzählt, munter und aufgeräumt: Geboren 1924 in Dortmund als Einzelkind eines evangelischen Pfarrers und seiner Frau, sechs Jahre alt im Jahr der Machtergreifung. Sie spricht von ihrem Wunsch, zu studieren, vom Arbeits- und Kriegsdienst, von den Fluchterlebnissen und Bombennächten. Und von ihren Begegnungen mit dem Tod.
Für ihre Enkelinnen hat Rosemarie Achenbach einige ihrer Kriegserlebnisse aufgezeichnet, darunter ihre Flucht im Januar 1945: Damals ist sie im zweiten Arbeitsdienst, diesmal in Polen. Die Rote Armee ist im Anmarsch, die Deutschen müssen fliehen.
"Es ist verboten, mit dem Auto zu fahren; meine Bekannten müssen ihren Wagen zurücklassen und haben zwei Pferdefuhrwerke angespannt. Etwa mit 25 Personen hocken wir darauf, als alles abfahrbereit ist. Es ist der 21. Januar. Im fahlen Mondschein ziehen die Pferde den schweren Wagen über die vereiste und schneebedeckte Straße zur Stadt hinaus nach Westen. Es ist eisig kalt. Wir fahren um unser Leben."
Flucht vor Tieffliegern
Irgendwie schlägt sich die junge Frau bis nach Berlin durch, erreicht den Hauptbahnhof. Dort sind die Bahnsteige überfüllt mit Flüchtlingen. Rosemarie Achenbach will zurück nach Hause, nach Dortmund. Sie hat Glück und ergattert einen Platz in einem der wenigen Züge.
"Dann kriegten wir hier in Westfalen, in Oelde, einen Tiefflieger-Beschuss. Und wir hatten keine Flak auf dem Zug. Viele Züge hatten Flak-Geschütze obendrauf, also Fliegerabwehr-Kanonen – und wir nicht. Und dann wurden wir natürlich beschossen, und dann hatten wir zehn Tote in dem Zug und soundso viele Verletzte."
"Etwa zwei Stationen später pfeift eine Bombe, der Zug hält auf der Stelle. Wir werden von amerikanischen Tieffliegern angegriffen. Ich springe durchs Fenster die hohe Böschung hinab, vor uns ein kleiner, sehr lichter Wald, rechts und links freies Feld. Die Flieger sind im Bogen wieder zu uns zurückgekehrt und beschießen nicht mehr nur den Zug, sondern auch das freie Feld rechts und links davon. Ganz dicht an einen Baum gedrückt wartet man, ob es einen trifft. In höchstens zwei Metern Abstand sehe ich es im Schnee dicht hintereinander aufspritzen, das ist von den Einschlägen."
Dem Tod noch näher kam die junge Rosemarie in einer der massiven Bombennächte gegen Ende des Krieges. Auch das hat sie aufgeschrieben.
"Sirene mit Vollalarm. Unser Bunker ist durch eine kleine Erhöhung kenntlich. Unsere gemieteten Sitzplätze – der Bunker war in Privatinitiative gebaut – befinden sich im Haupteingang. Da fallen auch schon die ersten Bomben. Jeden Moment denken wir, der nächste Treffer bringt uns allen den Tod. Der Luftdruck braust und stößt gegen das Trommelfell, man reißt den Mund weit auf, dass es nicht platzt. Endlich, nach 55 Minuten, scheint Ruhe einzutreten. Da ordnet ein Bunkerwart an, dass niemand den Platz verlassen darf: Ein Eingang ist ganz verschüttet. Stunden verrinnen. Die Luft unten ist inzwischen kaum zum Ertragen. Die Atemnot steigert sich mit jedem Zug, den man tut. Ich hatte mir den Erstickungstod nicht so grausam vorgestellt."
Bergleute retten sie aus dem Bunker
"Ja, das war das Gefühl: Da war da keine Luft und da keine Luft. Naja, ich hab dann ausprobiert, wie das geht, wenn man erstickt – so kann man das wohl sagen. Und Bergleute von der Zeche Glückauf in Bochum haben uns ausgegraben. Und in dem Bunker nebenan, da waren alle 90 tot."
Solche Erlebnisse sind schon für jemanden wie mich aus der ersten Nachkriegsgeneration unvorstellbar – und erst recht für die jungen Studentinnen der Kriegsenkel-Generation. Auch sie hören der Kommilitonin, die beinahe ihre Urgroßmutter sein könnte, gebannt zu. Besonders interessiert sind sie an Rosemaries Studienzeit. Einen Numerus clausus gab es damals zwar nicht, dafür aber den Reichsarbeitsdienst, den seit Kriegsbeginn 1939 auch die Jugend abzuleisten hatte.
"Die Voraussetzung zum Studium war dann: ein halbes Jahr Arbeitsdienst und ein halbes Jahr Kriegshilfsdienst. Arbeitsdienst war Erntehilfe von A bis Z, das ging also mit der Heuernte los und endete mit Steckrüben. Wir haben das Korn noch mit der Hand gebunden. Zwischendurch habe ich auch mal Kühe gehütet. Meine Tage waren vollständig futsch."
"Wie alt sind Sie da gewesen?"
"Ja, ich war noch keine 18, wie ich das Abitur machte. Wir kriegten ja noch in letzter Minute das Turbo-Abitur aufgedrückt. Und Kriegshilfsdienst war dann Straßenbahnschaffnerin. Ich war Straßenbahnschaffnerin ein halbes Jahr. Und wir fuhren auch die Wagen mit den russischen Fremdarbeiterinnen. Und die hatten durchweg Kopfläuse, und dann hatten wir die auch. Und dann schliefen wir mit 28 anderen in einem Schlafsaal – da ist nicht ein Mal die Bettwäsche gewechselt worden in dem halben Jahr. Und damals war das schöne Lied: 'Süße kleine Schaffnerin, sag, wo geht dein Wagerl hin. Ich küsse galant deine kleine, fahrkartenzückende Hand.'"
Die ersten zwei Semester - vor 75 Jahren
1943 kann Rosemarie Achenbach dann endlich studieren, zuerst an der Kunstakademie in München. Ihre Interessen gehen allerdings von Anfang an über Kunstgeschichte hinaus.
"Ich habe zum Beispiel noch Englische und Französische Literatur mitgehört. Da war noch ein richtiger Engländer da, obwohl wir ja dann schon im Krieg waren mit England. Aber im zweiten Semester lernte ich die Psychologie kennen und bin dann mit wehenden Fahnen da eingestiegen."
"Ihre Eltern haben das unterstützt, dass Sie studiert haben?"
"Mein Vater hat noch zusätzlich gearbeitet, um mir das Studium zu ermöglichen."
"Also heutzutage heißt es, dass viele Studenten ja feiern gehen und sich mit Freunden treffen. Wie war das damals?"
"Der Studenten-Alltag, ja… Es war ja die Hungerzeit. Mit ein paar Salatblättern ging man dann ins Kolleg. Einmal kriegte ich ein Brot geschenkt, das war halb verschimmelt, aber es war ein gutes Kornbrot, also ich habe nur die großen Schimmelstücke rausgeschnitten. Und dann mussten wir noch unter dem Aspekt des 'Dritten Reichs', also 'Zäh wie Leder, hart wie Kruppstahl und flink wie die Windhunde', so wurde die deutsche Jugend gewünscht – da hatten wir natürlich Sport abzuleisten, meistens in aller Frühe."
Das Studium der jungen Rosemarie dauerte ganze zwei Semester, bis 1944. Im Jahr zuvor hatte Reichspropaganda-Minister Joseph Goebbels seine Sportpalast-Rede gehalten.
"Ich habe irgendwie immer das Gefühl gehabt, du hast was verpasst, weil wir nicht mehr weiter studieren durften. Es war der totale Krieg. Das können Sie sich wahrscheinlich gar nicht mehr vorstellen. Das war schon während der Schulzeit: Wir hatten Fliegeralarm, hatten also Übungen mit Gasmasken, mit allem, auch während der Schulzeit. Und wir im Industriegebiet, wir waren ja ziemlich dicht dran an der Bombardierung, und die waren ja interessiert daran, einiges kaputtzumachen, und das kriegten wir zu spüren."
Überleben statt Studieren im Nachkriegsdeutschland
Nach Kriegsende dauert es, bis die Universitäten wieder in Betrieb gehen können. Bevor es soweit ist, kehrt Rosemaries Verlobter aus der Kriegsgefangenschaft zurück. Sie heiraten 1946. An ein Studium ist nicht mehr zu denken. Erstmal nur überleben in den ersten, besonders harten Nachkriegsjahren.
Zurück in Frau Achenbachs Wohnzimmer. Mittlerweile ist sie beim Erzählen in der Nachkriegszeit angelangt. Sie ist jetzt verheiratet mit dem jungen Theologen, den sie schon im Krieg kennengelernt hatte. Er bekommt eine Pfarrstelle in Neuenkirchen im Siegerland. 31 Jahre lebt das Paar hier, zieht drei Kinder groß. Rosemarie aber möchte mehr sein als Hausfrau und Mutter – sie würde gern nebenher arbeiten gehen.
"Als Pastorenfrau durfte man nicht arbeiten. Da hatte man für die Gemeinde da zu sein. Also ich hätte nicht arbeiten gehen dürfen."
So versucht sie, wieder ans Studium anzuknüpfen, hört Vorlesungen im Radio, ähnlich dem späteren Telekolleg, schreibt eine Examens-Klausur in pädagogischer Psychologie. Sie liest viel, nimmt ihre Beschäftigung mit den Religionen wieder auf. Schon als Kind hatte sie in den Büchern des Vaters geschmökert.
"...und habe auch durch meine Weltreisen die Praxis kennengelernt. Wir sind vier Mal rum. Wir haben reine Fotoreisen gemacht mit wechselnden Kameras und sehr vielen Objektiven. Und dann haben wir gemischt auf Dias und haben viele Vorträge gehalten. Auch in den Gemeinden."
Magister mit 84
2003 wird Rosemarie Witwe. Ein Jahr später – nach über 60 Jahren Unterbrechung – nimmt sie ihr Studium an der Universität Siegen wieder auf und macht mit 84 Jahren ihren Magister in Philosophie mit den Nebenfächern Psychologie und Pädagogik.
"Ich wollte erst mal einen Abschluss haben. Ich hatte ja nichts. Also mit dem Abitur konnte man Persilvertreter werden bestenfalls, viel mehr war nicht drin. Ich wollte den Abschluss haben, das war mir wichtig, und das ist auch von den Kindern sehr anerkannt worden, muss ich ehrlich sagen, also die waren ein bisschen stolz auf die alte Mama, die das noch gemacht hat."
Für ihre Dissertation hat sie sich ein, wie sie sagt, "naheliegendes" Thema ausgesucht: "Der Tod in der Philosophie", so der Titel. Naheliegend sei die Beschäftigung mit dem Tod nicht nur ihres hohen Alters wegen, sondern auch, weil sie ihm oft begegnet ist in ihrem langen Leben.
"Auch als Baby schon – das hab ich ja nicht bewusst miterlebt. Die haben mich die ganze Nacht rumgetragen und 'HeiaPopeia'... Aber 'HeiaPopeia' wurde immer dünner und hatte nach, ich weiß nicht nach wie viel Zeit, noch nicht das Geburtsgewicht wieder. Und die Mütterberatung sagt, das Kind kriegt genug, und der Kinderarzt nachher, wo meine Eltern in ihrer Verzweiflung hingingen, der sagt, das Kind ist verhungert, mal sehen, dass wir das noch durchkriegen."
Oft am Tod vorbeigeschrammt
Nachdem sie dann auch die Bomben, das Verschüttetsein im Bunker und den Hunger im Krieg überlebt hat, schrammt Rosemarie Achenbach später noch zwei Mal am Tod vorbei: Während der Weltreisen mit ihrem Mann kommen beide fast bei einem Motorrad-Unfall ums Leben – das Motorrad rutscht auf einer Ölspur aus, und ein nachfahrender LKW kann den auf der Straße liegenden Verunglückten gerade noch ausweichen.
"Außerdem noch einmal in Paraguay: Montezumas Rache, wenn Ihnen das ein Begriff ist. Also da wollte ich wirklich sterben, da war's mir so schlecht! Naja, es war ja auch dicht dran, wenn man total entwässert ist. Also insofern so ein bisschen hatte ich eine Ahnung davon, wie Sterben geht, wenn man das so sagen darf."
"Was glauben Sie denn, was nach dem Tod kommt, ganz persönlich?"
"Warten wir's ab."
Für Ihre Dissertation hat Rosemarie Achenbach in den letzten Jahren regelmäßig Seminare und Vorlesungen an der Uni Siegen besucht. Auch bei Georg Plasger, Professor für evangelische Theologie. Er kennt die alte Dame seit über zehn Jahren.
"Also es war so, dass sie eben nicht Theologie studiert hat, also mein Fach, sondern Philosophie. Und dann hat sie dort Examen gemacht, und ich war eben Mit-Prüfer – das kann man dann machen so über die Fachgrenzen hinweg. Und dann kam bei ihr die Überlegung: Wenn ich jetzt schon soweit bin, warum soll ich aufhören zu arbeiten? Und dann hat sie mir auch erzählt, dass sie an einer Thematik arbeitet, die sehr umfangreich ist – Hochachtung! – über den Tod kulturgeschichtlich auch zu reflektieren. Das fand ich sehr spannend und sehr ambitioniert, weil sie natürlich noch stärker als die meisten anderen Promovenden um die Begrenztheit der eigenen Lebenszeit weiß."
Inzwischen arbeitet die 93-jährige Akademikerin meist zu Hause an ihrer Doktorarbeit. Die Beweglichkeit macht ihr ein bisschen zu schaffen. Aber bis vor Kurzem noch, erzählt Professor Plasger, ist sie an der Uni auf die um viele Jahrzehnte jüngeren Kommilitonen zugegangen.
Der Professor lobt ihre Neugierde
"Also ich erinnere mich an Veranstaltungen, wo Frau Achenbach da war und dann etwa aus den Horizonten ihres Erfahrungsschatzes mit Studierenden Nachmittage gemacht hat, wo sie Dias gezeigt hat. Was ich bei ihr immer wahrgenommen habe und immer sehr hoch geschätzt habe: Sie ist neugierig. Sie will wissen, sie muss den Sachen auf den Grund gehen, sie ist ein sehr kritischer Geist. Wir waren auch mal auf einer Tagung zusammen, auf dem Leuenberg, mit dem Bully in die Schweiz gefahren und zurück. Es war spannend, sie als älteste Teilnehmer in einer wissenschaftlichen Tagung so zu erleben, im Austausch mit den Studierenden zu erleben. Und ich hatte immer den Eindruck: Es ist ein gegenseitiges Nehmen und Geben."
"Also ich finde es sehr beeindruckend, dass Sie in dem Alter sich noch entschieden haben, zu studieren und jetzt auch die Doktorarbeit zu schreiben. Und ich wollte jetzt auch nochmal fragen: Was hat Ihre Familie denn dazu gesagt, also Ihre Kinder und Enkelkinder, dass Sie in diesem Alter noch angefangen sind?"
"Also ich habe ja drei Kinder – und wie die mal so eine schöne Flaute hatten in der Schule und keine Lust mehr hatten und faul waren, da hat die Mama mal zwei Hochschul-Examen gemacht, so als Externe, an der Uni in Siegen dann die Prüfungen absolviert. Und auf einmal haben die sich dann auf den Hintern gesetzt und haben wieder etwas getan. Ich sag mir so: Ich bin allein im Haus. Die Kinder – das nächste wohnt 120 Kilometer weg, dann kommen 250 Kilometer und dann kommt 500 Kilometer. Und Mama ist also nicht irgendwie 'Ach kommt mal her, ihr lieben Kinderlein, und betreut mich mal, ich bin gerade so einsam, ich brauche mal Gesellschaft.' Und unter dem Aspekt habe ich mich zum Beispiel die ersten Weihnachten selbstständig gemacht, wie ich alleine war, wie mein Mann gestorben war – der starb 2003 – habe ich dann in Paris zugebracht, ganz allein im Hotel: War wunderbar! Ich habe mich den ersten Abend mit einem unterhalten, der war Elsässer – nach einer Viertelstunde sind wir auf Deutsch übergegangen. Also das hat solchen Spaß gemacht!"
"Ich hab auch gemerkt: Nur rezeptiv tätig sein, das genügt nicht mehr in dem Alter. Man baut zu schnell ab, das ist einfach so. Ich habe gemerkt, dass es besser ist, wenn man noch wirklich konstruktiv tätig ist. Und das wollte ich dann auch durchziehen."
Noch immer offen für Neues
"Genau das, was Sie gerade beschrieben, finde ich auch so beeindruckend und interessant auch. Also ich habe das bei vielen älteren Menschen erlebt, dass die irgendwann Veränderung nicht mehr gut finden, dass die es gern so haben wollen, wie es schon immer ist. Und ich finde, bei Ihnen ist es echt beeindruckend, dass Sie so offen sind für Neues und für Dazulernen. Und da können sich auch manche jungen Leute, finde ich, noch eine Scheibe von abschneiden."
"Die Radieschen von unten angucken kann ich mir noch früh genug."