Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst

Von Annette Wilmes |
Rund 4,5 Millionen Beschäftigte sind im öffentlichen Dienst tätig. Die Besoldung der Beamten ist auf Bundes- und Länderebene gesetzlich festgelegt. Vor 50 Jahren wurde der Bundesangestelltentarif vereinbart, der mehr als vier Jahrzehnte die Grundlage für die Tarifverhandlungen bildete.
Neun Jahre hatten die Gewerkschaft ÖTV und die Arbeitgeber der Bundesregierung, der Länder und der Kommunen verhandelt, bis der Bundesangestelltentarif, kurz BAT, am 23. Februar 1961 unterzeichnet werden konnte. Das ÖTV-Magazin schrieb damals in seiner Märzausgabe:

"Solch demokratisches Ordnungsgefüge zu erarbeiten, dauert bedeutend länger, und erfordert riesige Geduld, als da, wo 'der Herr-im-Haus-Standpunkt' gilt. Das Dekretieren ist einfacher als überzeugen und Forderungen stellen, oder Befehlen leichter als aus den verschiedenen Standpunkten eine Einheit zu schaffen."

Die "Tarifordnung A für Angestellte im öffentlichen Dienst" des Dritten Reiches, seit 1938 in Kraft, war nun endlich vom Tisch. Am 1. April 1961 trat der neue Tarif in Kraft.

"Es ist ein Schritt aus dem Geist unserer eigenen Zeit heraus getan, der auf eine demokratische Ordnung der Lebens- und Arbeitsverhältnisse des öffentlichen Dienstes abzielt."

Festgelegt waren zum Beispiel die wöchentliche Arbeitszeit, der Urlaub, die Alters- und Hinterbliebenenversorgung, Zulagen für Wechselschicht, der Kündigungsschutz. Über die Vergütung wurde in den folgenden Wochen extra verhandelt. Dabei versuchte die Bundesregierung, die Höhe der Gehälter von sich aus einseitig festzusetzen. Die ÖTV fühlte sich brüskiert. Vorsitzender der Gewerkschaft war seit ihrer Neugründung 1949 Adolph Kummernuss, schon in den 20er-Jahren als Hafenarbeiter in Hamburg gewerkschaftlich aktiv, im Nationalsozialismus im Widerstand und dann Haft und Folter ausgesetzt. Auf dem Kongress der ÖTV, der Anfang Juli 1961 in Berlin stattfand, also kurz nach den Verhandlungen, machte Kummernuss seinem Ärger Luft:

"Wo die Bundesregierung bekanntlich versucht hat, durch einen Beschluss des Kabinetts die Tariffreiheit und die Tarifhoheit der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes einzuschränken. Wenn wir politisch neutral sein wollten, dann wären wir, entschuldigen Sie diesen harten Ausdruck, ein sehr müder Haufen, der die Hände in die Tasche steckt, wo es um die Existenz der Arbeitnehmer geht. Und darum können wir nicht und wollen wir nicht politisch neutral sein."
Zu den Beschäftigten im öffentlichen Dienst zählen heute Beamte, Angestellte und Arbeiter. Das war nicht immer so, erläutert Enrico Pätzel, Fachanwalt für Arbeitsrecht.

"Im öffentlichen Dienst gab es zunächst immer nur gewerbliche Arbeiter und Beamte. Mit dem Ersten Weltkrieg wurden dann auch zunehmend Angestellte im öffentlichen Dienst beschäftigt. Und für die gab es dann ab 1918 auch die Möglichkeit, ihre Arbeitsbedingungen selber auszuhandeln. Das führte dann 1924 zum ersten Tarifvertrag für Reichsangestellte."

In der Nazidiktatur gab es keinen Platz mehr für Tarifverträge. Erst nach der Gründung der Bundesrepublik wurden wieder Verhandlungen möglich.
Als der Bundesangestelltentarif vereinbart wurde, waren etwa 500.000 Angestellte im öffentlichen Dienst tätig. Heute sind es ungefähr 2,7 Millionen, inzwischen mehr Angestellte als Staatsbedienstete. Sie arbeiten in den Verwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen.

In Stadtwerken, in Straßenbaubetrieben, bei der Feuerwehr oder im Krankenhaus gibt es Arbeit für Angestellte, ob als Buchhalter oder als Arzt. Auch in Bereichen, die bisher den Beamten vorbehalten blieben, werden immer mehr Angestellte beschäftigt, zum Beispiel Lehrer an öffentlichen Schulen. Nur sicherheitsrelevante Aufgaben wie der Polizeidienst bleiben eine Domäne für Beamte.

Nach der Wende 1989 wurde der "BAT-Ost" eingeführt. Die Gehälter der Angestellten im öffentlichen Dienst der neuen Bundesländer sollten erst allmählich angeglichen werden. Der Bundesangestelltentarif wurde immer wieder den veränderten Bedingungen angepasst. Rechtsanwalt Enrico Pätzel:

"Die Arbeitgeber haben im Verlaufe dann zunehmend kritisiert, dass die Regelungen zu unflexibel wären, insbesondere bei der Arbeitszeit, dass es zu wenig Leistungsanreize für die Beschäftigten geben würde. Die Gewerkschaften hingegen haben dann insbesondere nach der Wiedervereinigung kritisiert, dass der Tarifvertrag eine Unterscheidung vorsah zwischen Ost und West."

Trotzdem blieb der Bundesangestelltentarif 44 Jahre gültig. Erst am 1. Oktober 2005 wurde er durch den Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst – kurz TVöD – ersetzt.