Gruppe Freital - wer sind die Angeklagten, wer sitzt im Gerichtssaal? Unser Sachsen-Korrespondent Bastian Brandau im Länderreport-Interview.
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Gruppe Freital seit einem Monat vor Gericht
Der sogenannten Gruppe Freital wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung und versuchter Mord vorgeworfen: Die acht Angeklagten sollen Anschläge in der sächsischen Kleinstadt und in Dresden verübt haben – unter anderem gegen zwei Asylunterkünfte und das Büro der Linken.
"Nein zum Heim, nein zum Heim ... "
Freital bei Dresden, Sommer 2015. Monatelang demonstrieren Rechtsextreme und Freitaler Bürger gegen die Einrichtung einer Asylunterkunft in der Stadt. Jede Woche freitags finden die Proteste statt, im Juni sogar täglich. Direkt vor der inzwischen bewohnten Unterkunft, dem ehemaligen Hotel Leonardo. Es kommt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und rechten Demonstranten, Freital ist damals bundesweit in den Medien.
Immer wieder greifen Rechtsextreme auch Gegendemonstranten an, die die Flüchtlinge in Freital unterstützen. Einer der Flüchtlings-Unterstützer ist Michael Richter. Richter sitzt für die Linke im Freitaler Stadtrat und erinnert sich an die Stimmung in der Stadt im Sommer 2015:
"Aufgeheizt, völlig aufgeheizt. Auch emotionsgeladen. Muss man sagen. Es kam auch zu keiner wirklichen Diskussion, die rechte Seite hat komplett geblockt, was Argumente et cetera belangt. Die waren immer 'Anti-Asyl, Anti-Asyl' und 'Freital darf keine Flüchtlingsunterkunft haben'".
Rechtsextreme Schmierereien in der Stadt
An vielen Wänden der Stadt sind in dieser Zeit rechtsextreme Schmierereien zu lesen, Asylsuchende werden auf der Straße angepöbelt und angegriffen und auch Unterstützer der Flüchtlinge geraten immer mehr ins Visier. Linken-Stadtrat Richter erinnert sich, wie er eines Nachts durch einen Knall aus dem Schlaf gerissen wurde:
"0 Uhr 45, am 27. 7., eine wunderschöne Zeit, im Schlafanzug versteht sich. Danach nicht mehr. Ja und dann habe ich halt mein Auto gesehen, wie es dann da mit einer schön tiefschwarzen Wolke hinten raus, vorne Windschutzscheibe kaputt, den Rest habe ich dann gesehen, als ich unten war."
Nämlich:
"Dass im Endeffekt das komplette Auto zerstört ist, Seitenscheiben raus, komplett verzogen, hinten die Scheibe raus, vorne, das komplette Chaos an dem Auto. Es war eine neue Eskalationsstufe, die die Rechten im Grunde gemacht haben. Und wer dahinter steckt, konnte man relativ schnell mitkriegen. Weil es ja auch auf der Bürgerwehrseite immer gepostet worden ist, noch bevor irgendwelche Medien drüber berichtet hatten. Da waren schon auch die Fotos mit dabei. Von daher war schon relativ klar, aus welcher Richtung das kommt, die ganzen Sachen."
Mehrere Anschläge mit Sprengstoff
Der Sprengstoff-Anschlag auf das Auto von Michael Richter im Juli 2015 ist die erste von fünf Taten, die der sogenannten "Gruppe Freital" zur Last gelegt werden. Sie soll größtenteils identisch mit der Bürgerwehr gewesen sein, die sich in Freital zu jener Zeit gebildet hatte. Die acht Angeklagten sollen zudem Anschläge auf das Büro der Linkspartei in Freital verübt haben, auf ein linksalternatives Wohnprojekt im Dresdner Stadtteil Übigau und auf zwei Freitaler Asylunterkünfte. Bei einem dieser Anschläge war der Sprengstoff so platziert, dass ein Bewohner verletzt wird. Laut Anklage sei es nur deshalb nicht zu schweren oder tödlichen Verletzungen gekommen, weil die Bewohner sich rechtzeitig in Sicherheit bringen konnten. Das war in der Nacht zum 1. November 2015.
Wenige Tage später, am 5. November, nimmt die Polizei vier Verdächtige fest, drei von ihnen bleiben in U-Haft. Darunter Timo S. und Patrick F., die als Rädelsführer gelten. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden ermittelt und erhebt Anklage wegen Verdachts auf Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion. Einige Monate später zieht der Generalbundesanwalt in Karlsruhe die Ermittlungen an sich. Er ist überzeugt, dass es sich bei den Freitalern um eine rechtsterroristische Vereinigung handelt und schickt die Sondereinheit GSG 9 nach Freital, um weitere Angeklagte festzunehmen. Die Anklage im seit knapp einem Monat laufenden Prozess lautet unter anderem: Bildung einer terroristischen Vereinigung, versuchter Mord.
Fast alle Angeklagten verweigern die Aussage
Dass Straftaten begangen wurde, hatten unterschiedliche Verteidiger schon vor Prozessbeginn eingeräumt. Sie bestreiten aber die Tötungsabsicht. Vor Gericht haben alle Angeklagten die Aussage verweigert – bis auf einen. Justin S. hat seine Mitangeklagten belastet, auch ein NPD-Stadtrat aus Freital soll tiefer in die Taten verwickelt sein als vorher angenommen.
In Freital habe man förmlich zusehen können, wie sich asylfeindlicher Protest radikalisiert habe. So sieht es Kerstin Köditz, Landtagsabgeordnete der Linken und Expertin im Kampf gegen Rechtsextremismus. Sie warnt davor, sich zu sehr auf die acht Angeklagten und die Stadt Freital zu fixieren:
"Wenn man sich da noch mal zurückerinnert, muss man eigentlich feststellen, dass wir damals in Sachsen flächendeckend das Problem von asylfeindlichen Protesten hatten. Es flammte mal hier auf, es flammte mal da auf, es war immer wieder eine Frage des gefühlten Zufalls, wo es gerade besonders schlimm ist."
Und: Die Gruppen seien sachsenweit, ja sogar bundesweit miteinander in Kontakt:
"Ich sehe hier eine deutliche Vernetzung, es ging ja auch mit den Tatorten aus unserer Sicht weit über Freital hinaus, auch in den Dresdner Raum hinein. Und auch die Beziehungen nach Dresden sind ja von vornerein gegeben."
Regionale und bundesweite Kontakte
Das zeigte sich etwa beim Anschlag auf das linksalternative Wohnprojekt im Dresdner Stadtteil Übigau 2015. Dabei werfen die Täter Steine und mit Buttersäure präparierte Sprengkörper, ein Bewohner wird verletzt. Etwa 20 bis 30 Menschen sollen bei dem Angriff dabei gewesen sein, einige der Angeklagten, aber auch Mitglieder der Neonazi-Gruppierung "Freie Kameradschaft Dresden". Auch gegen sie bereitet die Staatsanwaltschaft Dresden ein Verfahren vor. Insgesamt soll auch die sogenannte "Gruppe Freital" aus deutlich mehr als den acht Angeklagten bestanden haben. Die Staatsanwaltschaft will jedoch den Ausgang des Hauptverfahrens abwarten, bevor sie weitere Anklagen erhebt.