Thorsten Palzhoff: "Nebentage"
Verlag S. Fischer, Frankfurt/Main
333 Seiten, 22 Euro
Doppelgänger-Story im wilden Leipzig
Im Trubel der Wendezeit will Felix aus Westdeutschland sein altes Leben hinter sich lassen. Als er in Leipzig einen Pass findet, ist die Gelegenheit zum Identitätswechsel da. Mit "Nebentage" legt Thorsten Palzhoff eine Art Schelmenroman vor – ein Debüt, das nicht so recht überzeugt.
Dreißig Jahre sind eine Generation, und nach einer Generation wandelt sich ein historisches Ereignis allmählich in einen frei verhandelbaren Erzählstoff. Diese Freiheit des Übergangs von den historischen Fakten in die fabulierende Fiktion nutzt der Autor und Musikwissenschaftler Thorsten Palzhoff, der 1974 im westfälischen Wickede geboren wurde und nach Jahren in den Niederlanden nun in Berlin lebt. In seinem Debütroman "Nebentage" erzählt Palzhoff vor der historischen Folie der unmittelbaren Nachwende-Zeit in Leipzig 1990 eine höchsteigene erfundene Wende-, Wechsel- und Wandel-Geschichte. Es ist eine Geschichte über Vatersuche, Selbstsuche und Identitätsschwindel. Politik findet nur am Rande statt.
Palzhoff verankert hier die Doppelgänger-Story seines fiktiven Romanhelden Felix Fehling, der als Tobias Voss in eine neue Identität überwechselt. Von der karnevalesken Atmosphäre anarchischer Freiheit rund um die letzte Leipziger Montags-Demonstration, die passenderweise auf den Rosenmontag 1990 fiel, wird auch der junge Drifter und Taugenichts Felix in Dortmund angesteckt und angezogen. Im Fernsehen verfolgt der Wessi die friedlichen Massenproteste der DDR-Bürger und merkt, wie sehr er "diese" Leute um ihren Mut beneidete. Sie hatten sich mit einem neuen Leben beschenkt, einem Neubeginn, einem Zurücksetzen des in den Sand gesetzten Entwurfs".
Palzhoff verankert hier die Doppelgänger-Story seines fiktiven Romanhelden Felix Fehling, der als Tobias Voss in eine neue Identität überwechselt. Von der karnevalesken Atmosphäre anarchischer Freiheit rund um die letzte Leipziger Montags-Demonstration, die passenderweise auf den Rosenmontag 1990 fiel, wird auch der junge Drifter und Taugenichts Felix in Dortmund angesteckt und angezogen. Im Fernsehen verfolgt der Wessi die friedlichen Massenproteste der DDR-Bürger und merkt, wie sehr er "diese" Leute um ihren Mut beneidete. Sie hatten sich mit einem neuen Leben beschenkt, einem Neubeginn, einem Zurücksetzen des in den Sand gesetzten Entwurfs".
Leipzig wird zum Ort der Metamorphose
Genau das will Felix auch haben: Er möchte aus seinem eigenen Lebensentwurf aussteigen und anderswo neu beginnen. Kurzerhand besteigt er einen Zug nach Leipzig und taucht ein in die politisch aufgewühlte Atmosphäre der Stadt. Doch nicht die politische Wende beschäftigt ihn, sondern das unklare Bedürfnis, sich selbst zu verändern und sich vom allgemeinen Tumult verwandeln zu lassen.
Das krawallige Leipzig wird zum Ort seiner Metamorphose. Felix findet Kontakt zur alternativen Hausbesetzerszene, verliebt sich in die Hamburgerin Nica, die in Leipzig nach Lebensspuren ihres verstorbenen DDR-Vaters sucht, und findet in einer verlassenen Wohnung einen Pass, lautend auf Tobias Voss. Augenblicklich ergreift Felix Fehling die Chance, endgültig aus seinem bisherigen Leben zu verschwinden und fortan als Tobias Voss weiterzuleben. Er empfindet "die Abschaffung von Felix Fehling als Erlösung aus einem falsch programmierten Leben."
Das krawallige Leipzig wird zum Ort seiner Metamorphose. Felix findet Kontakt zur alternativen Hausbesetzerszene, verliebt sich in die Hamburgerin Nica, die in Leipzig nach Lebensspuren ihres verstorbenen DDR-Vaters sucht, und findet in einer verlassenen Wohnung einen Pass, lautend auf Tobias Voss. Augenblicklich ergreift Felix Fehling die Chance, endgültig aus seinem bisherigen Leben zu verschwinden und fortan als Tobias Voss weiterzuleben. Er empfindet "die Abschaffung von Felix Fehling als Erlösung aus einem falsch programmierten Leben."
Ein würdevoller Stil – bis hin zur Stilblüte
Um die Leipziger Ereignisse legt der Autor einen Erzählrahmen. Fünf Jahre nach seinem Identitätswechsel schreibt der falsche Tobias in einem rumänischen Gefängnis die Geschichte seines früheren Lebens als Felix auf – als Beichte und Selbsterklärungsversuch für eine ferne neue Geliebte, die ihn nur als Tobias kennt.
Man sieht: Der formale Ehrgeiz dieses Autors ist beträchtlich. Entsprechend überinstrumentiert liest sich der Roman. Palzhoff ist ein traditionsbewusster Stilist mit einem Faible für einen gewichtigen Erzählton. Sollte "Nebentage" als Schelmenroman gedacht gewesen sein, so kommt der gravitätische Erzählgestus des Autors der erwünschten Leichtfüßigkeit dieses Romangenres oft in die Quere. Statt mit flinker Ironie verlautbart sich der Roman mit getragenem Ernst und gemessen würdevollem Stil, manchmal bis hin zur Stilblüte. Auf Formulierungen wie "In seinen Eingeweiden arbeiteten noch die Fragen, die ihm das Knochengesicht ins Hirn gebohrt hatte" würde man als Leser gerne verzichten.
Man sieht: Der formale Ehrgeiz dieses Autors ist beträchtlich. Entsprechend überinstrumentiert liest sich der Roman. Palzhoff ist ein traditionsbewusster Stilist mit einem Faible für einen gewichtigen Erzählton. Sollte "Nebentage" als Schelmenroman gedacht gewesen sein, so kommt der gravitätische Erzählgestus des Autors der erwünschten Leichtfüßigkeit dieses Romangenres oft in die Quere. Statt mit flinker Ironie verlautbart sich der Roman mit getragenem Ernst und gemessen würdevollem Stil, manchmal bis hin zur Stilblüte. Auf Formulierungen wie "In seinen Eingeweiden arbeiteten noch die Fragen, die ihm das Knochengesicht ins Hirn gebohrt hatte" würde man als Leser gerne verzichten.