Blick zurück: William H. Gass und seinen Roman "Der Tunnel" verbindet literarisch sehr viel mit Deutschland. Bei einer Lesung für den Deutschlandfunk hat William H. Gass einmal einen Auszug aus "The Tunnel" vorgestellt und bei dieser Gelegenheit in sein opus magnum selbst eingeführt. Das monumentale Werk umfasst mehr als 1.000 Seiten und wirft einen zynischen Blick auf den Umgang mit dem Faschismus und dem Holocaust:
Zum Tod von William H. Gass
Der US-Schriftsteller William H. Gass starb am Mittwoch im Alter von 93 Jahren. Mit seinem Schaffen öffnete er das traditionelle Erzählen hin zum experimentellen Schreiben. Der Literaturkritiker Joachim Scholl ordnet das Werk des Avantgardisten ein.
"Er war der kompromissloseste unter den Modernisten Amerikas. Eigentlich kann man ihn als Alterspräsident der literarischen Avantgarde seines Landes bezeichnen", so Joachim Scholl über den US-Schriftsteller William H. Gass. Dieser starb am Mittwoch im Alter von 93 Jahren in seinem Haus in St. Louis, wie der Verlag Alfred A. Knopf mitteilte.
Gemeinsam mit den Autoren John Barth und Robert Coover bildete Gass ein "Triumvirat von Schriftstellern, die von der Kritik immer geliebt wurden, die Preise bekommen haben ohne Ende, aber vom Publikum konsequent missachtet wurden, weil sie nämlich genauso konsequent am Publikumsgeschmack vorbeigeschrieben haben."
Der Kompromissloseste unter den Kompromisslosen
Lesart-Moderator Joachim Scholl meint, dass Gass aber trotzdem der Kompromissloseste unter den Dreien war. In den 40er-, 50er- Jahren, als der Avantgardist mit dem Schreiben begann, verschrieb er sich gleich einer strengen Maxime der Moderne:
"Bloß kein Realismus! Das heißt also keine Figurenzeichnung, kein Plot. Sondern das sprachliche Kunstwerk ist ein selbstreferenzielles Ding. Da geht‘s nicht um Menschen, nicht um Charaktere, die Wirklichkeit kann man nicht abbilden, sondern es geht sozusagen darum, dass die Sprache sich selbst erzeugt aus dem Kunstwerk. Das ist natürlich strikt modernistisch aus den 10er und 20er Jahren. Das hat er durchgehalten eigentlich sein ganzes Leben lang."
Die Sprache sollte fühlbar sein
Selbst bei seinem über 1000 Seiten starken Werk "Der Tunnel", bei dem es dann doch eine Handlung gibt, ist die Handlung so in das Absurde verdreht, dass auch da William H. Gass bei seiner Maxime wieder angekommen ist: "Das sind elfhundert Seiten fast rasender Monolog, teilweise typografisch abgesetzt, farblich abgesetzt im Original. Das ist in der deutschen Übersetzung nicht so gemacht worden... Die ganz frühen Texte von William Gass konnte man de facto gar nicht lesen, sondern die konnte man nur anschauen. Das Papier war unterschiedlich, die Buchstaben waren unterschiedlich, die Seiten hatten unterschiedliche Farben. Alles ging sozusagen nach diesem Prinzip: Du solltest Dich jetzt nicht in irgendeine Geschichte versenken, lieber Leser, sondern Du sollst die Sprache an sich fühlen."
30 Jahre hat Gass an seinem Roman "Der Tunnel" gearbeitet, und in Deutschland war das Buch ein Riesenerfolg. Seine Kindheit beschrieb er als unglücklich, mit einem gewalttätigen, rassistischen Vater und einer passiven, alkoholabhängigen Mutter. Seine Flucht daraus war in die Welt der Bücher, erst in die von anderen, dann in seine eigenen.
In die Welt der Bücher geschleudert
Jedoch wählte Gass da eben seine ganz eigene Form:"William Gass hat oft über sein Leben gesprochen, dass es eigentlich ein einziges Unglück war. Und das diese schlimme Erfahrung in seinen Jugendjahren und seinen Kindheitsjahren ihn eigentlich in die Welt der Bücher geschleudert hat. Aber gleichzeigtig dann auch wieder so geschleudert, dass er doch jetzt nicht wie Kafka vielleicht diesen Schmerz in eine Art von realistischer Prosa umgesetzt hätte, rätselhaft, aber realistisch – sondern eben dann wirklich in diese Sprachspielereien."
Gleichzeitig wurde Gass aber ein ganz bedeutender Interllektueller. Er hat sein Leben lang an amerikanischen Universitäten Philosophie gelehrt. Er konnte nicht von seinen Büchern leben. Als Existential-Philosoph hat er viele Bücher verfasst, mehr als als Avantgardist. Dadurch hatte er auch einen Rang in der amerikanischen Philosophie.
Unter dem Titel "Metafiktion" knüpften in den 2000er Jahren Autoren wie David Foster Wallace, Dave Eggers und Jonathan Safran Foer an die Arbeiten von Gass an. Übersetzt und verlegt wurden in Deutschland Erzählungen und Essays von Gass sowie seine Romane "Der Tunnel" und "Mittellage", ein Buch, das Joachim Scholl sehr empfiehlt.