Wieso Verlage uralte Signalreize nutzen
Die Gestaltung von Buchcovern ist wesentlich für den späteren Erfolg des Buches. Deswegen investieren Verlage viel Energie darauf. Und greifen dabei auf emotionale Tricks zurück, die zeigen, wie tief verankert Geschlechterstereotype bei Käufern sind, sagt Hans von Trotha.
Frank Meyer: Warum werden Bücher gekauft? Man könnte jetzt als Idealist denken: wegen ihrer interessanten Inhalte oder weil sie so gut geschrieben sind. Wahrscheinlich werden aber auch viele Bücher gekauft, weil die Käufer das Cover, also den Schutzumschlag des Buches, mögen, und das wollen wir uns mal genauer anschauen kurz vor dem Start in die Herbstsaison auf dem Buchmarkt. Mein Kollege Hans von Trotha ist hier im Studio. Das ist ein Mann, der sich sehr gut auskennt mit solchen Fragen, auch weil er zehn Jahre lang selbst einen Verlag geleitet hat. Schauen wir uns erst mal an, hat schon mal jemand untersucht, wie wichtig tatsächlich das Cover ist für die Kaufentscheidung für oder gegen ein Buch?
Hans von Trotha: Oh ja, das wird sozusagen unentwegt untersucht. Also das Verhalten von Endkunden, das ist die Buchkäuferin oder der Buchkäufer in dem Moment, in dem in der Buchhandlung eine Kaufentscheidung getroffen wird, wird sowohl psychologisch als auch in allen möglichen anderen Formen untersucht, und die Ergebnisse sind eigentlich immer gleich: Ja, das Cover ist ganz entscheidend, einige sagen mindestens 50 Prozent gehen nach dem Cover, andere gehen bis zu 75 Prozent hoch, und es wurden sogar die Zeiten gemessen. Also in der Regel hat ein Cover acht Sekunden die Chance, die Aufmerksamkeit zu erzeugen, und wenn es gut ist, drehen die Leute es um und haben dann noch mal 15 Sekunden auf der Rückseite. Also es ist sehr genau erforscht, aber natürlich bei 95.000 Neuerscheinungen im Jahr in Deutschland sind Sie als der, der entscheidet, wie Sie ein Buch jetzt verkaufen wollen, doch jedes Mal von neuem völlig allein.
"Sie müssen mit dem Cover Fragen stellen"
Meyer: Jetzt wollen wir uns Covertrends anschauen: Es gab mal einen Trend vor einigen Jahren, das war die Frau ohne Gesicht auf dem Cover. Wie ist das heute, welche Trends gibt es heute?
Trotha: Das war ein schöner Essay: 2012 hat das, glaube ich, die Beobachtung ... tatsächlich in dieser Saison war das sehr auffällig, Teile von Frauenköpfen, auch sehr schön gestaltet, und tatsächlich sind die immer noch da.
Meyer: Die Frau ohne Gesicht.
Trotha: Die Frau ohne Gesicht beziehungsweise Frauen, Anspielungen auf Frauen, visuelle Anspielungen auf Frauen, aber keine vollständigen Gesichter, denn das Cover darf keine Antworten geben, sondern muss Emotionen ansprechen und Fragen aufwerfen, und klare Gesichter - sei es von Frau oder Mann - sind eindeutige Signale, die polarisieren. Die Hälfte sagt dann sympathisch, die Hälfte unsympathisch. Das heißt, Sie verlieren die Hälfte. Sie müssen mit dem Cover Fragen stellen, und Fragen stellen Sie, indem Sie Bilder zeigen, die Sie im Geist selber vervollständigen, und so kommt es zu den Frauen ohne Gesichtern oder mit halben Gesichtern.
Meyer: Und warum gerade Frauen? Wir hören doch immer, die meisten Buchkäufer sind Buchkäuferinnen, also Frauen. Warum reagieren dann Frauen am positivsten auf andere Frauen auf dem Cover?
Trotha: Wenn Sie die wissenschaftlichen Studien anschauen zum Umgang mit diesen Covern, Sie können so aufgeklärt sein wie Sie wollen, bei diesen Signalreizen werden immer Sozialisationen angeführt, die vor 30-, 40-, 50.000 Jahren stattgefunden haben, und da ...
Meyer: Steinzeitalter also.
Trotha: Da ist also wirklich: Die Frau transportiert Emotionen, und wenn Sie über visuelle Signale Kaufentscheidungen, also wirklich folgenreiche Entscheidungen, anbahnen wollen, dann müssen Sie immer über die Emotionen gehen, und das geht eher über das weibliche Detail als über das männliche.
Meyer: Und gibt es auch Cover, auf denen keine Frauen drauf sind?
Buchcover mit Zeichnungen liegen im Trend
Trotha: Das ist natürlich nur ein Trend, der sich immer wieder durchzieht, aber es ist auffällig, dass es wirklich immer so etwas wie Trends gibt. Und im Rückblick kann man dann auch oft sehen, woran das liegt, dass zum Beispiel irgendwann die Cover weniger kleinteilig geworden, die Schrift größer, alles eindeutiger ... haben wir gesagt, was ist denn da passiert. Ist klar, was da passiert ist: Da ist das Online dazugekommen. Also die Cover, die im Buchhandel liegen, die werden ja auch online vertrieben, und da sind sie ganz klein. Da sind sie kleine Punkte. Das heißt, diese Bilder, diese Schriftbildverbindungen müssen auch in einer kleinen Größe funktionieren. Das heißt, es gibt immer solche technischen Entwicklungen, die sich niederschlagen in solchen Trends, aber es gibt auch Moden, und es gibt neue Möglichkeiten der Bildbearbeitung. Im Moment ist sehr, sehr auffällig, dass ganz viele den Weg gehen, nicht Fotografie zu verwenden, sondern Zeichnungen, comicartige Darstellungen, also eine völlig andere Welt, nicht über das Foto, sondern über die Zeichnung zu gehen. Das war früher ganz selten und ist jetzt ganz, ganz häufig.
Meyer: Wie kommen eigentlich die Entscheidungen - Sie haben es schon gesagt, wie wichtig das ist, wie einsam vielleicht der Verlagsleiter grübelt oder solche wichtigen Coverentscheidungen -, wie kommen die zustande, denn ein Verlag ist ja ein Wesen mit sehr vielen verschiedenen Mitspielern, mit zum Teil auch unterschiedlichen Interessen?
Trotha: Ja, das sind Gewerke, die ineinanderspielen, und ineinander heißt ja auch immer gegeneinander. Also Sie haben natürlich den Lektor, das ist der einzige, der das Buch kennt zu dem Zeitpunkt, an dem noch gearbeitet wird, und der eine Idee vorgibt; dann haben Sie aber die Vertriebsabteilung, das sind die, die für die Zahlen zuständig sind und verkaufen müssen; und Sie haben die Herstellungsabteilung, das sind die, die alles Physische machen, also welches Format, die die Kalkulation machen. Die sitzen zusammen, natürlich auch mit der Presse und mit der Geschäftsführung. Also jeder hat da seine Interessen daran, und aus diesem Interessenausgleich wird ein sogenanntes Briefing. Dann wird ein Grafiker, eine Grafikerin, ein Büro gebrieft, setz uns das mal um, und dann gibt es mehrere Vorschläge. Davon wird sich dann entschieden. Dann ist das Buch aber noch längst nicht in der Vorschau und schon gar nicht gedruckt, weil dann kommt noch die große Instanz, die das Ganze absegnen muss, und das ist die ominöse Vertreterkonferenz. Das ist eine Versammlung zweimal im Jahr, die ganz heilig ist in den Verlagen. Da sind die Gänge ganz ruhig. Da sitzen die Verlagsvertreter, die die Bücher vorab, während sie noch gar nicht produziert sind, an die Buchhandlungen verkaufen, aber auch an Amazon, an andere Institutionen, und wenn die Vertreter im Umschlag Literatur ablehnen, wenn die sagen, okay, wenn ihr mir den mitgibt, dann kriege ich das Buch aber nicht verkauft und schon gar nicht neben die Kasse gelegt, wo man es immer gerne hat. Dann werden solche Entscheidungen auch noch mal gestürzt. Aber es ist eben wirklich immer sehr, sehr schwierig.
Der Autor soll sich aus der Gestaltung heraushalten
Meyer: Sie haben jetzt eine Instanz gar nicht erwähnt, wo ich dachte, die hat vielleicht auch was zu sagen, nämlich der Autor.
Trotha: Also Verlage wollen das nicht, dass die Autoren sich da einmischen, weil die Autoren ganz oft schlechte Verkäufer ihrer eignen Werke sind und diese ganzen Mechanismen gar nicht durchschauen. Die haben einen unglaublich emotional inhaltlichen Zugang zu ihrem Buch, während ... , wenn ich noch mal zurückkomme auf meine acht Sekunden, da kann ich natürlich von dem, was auf den 3-, 400 Seiten passiert, kaum etwas vermitteln, sondern nur irgendeinen Reiz auslösen, und Autoren sind in der Regel keine guten Vertriebsleute. Also es gibt Autoren, die sich das ausbitten und vertraglich ausbitten, aber wenn der Verlag irgend kann, dann versucht er, den Autor da rauszuhalten.
Meyer: Gibt es eigentlich eine spezifisch deutsche Coverkultur noch in der Gegenwart? Also ich habe immer so den Eindruck, dass Bücher in anderen Ländern ganz anders aussehen als bei uns.
Trotha: Ja, das sind absolut nationale Traditionen. Wenn Sie in französische Buchhandlungen gehen, da haben Sie ganz viele Schriftlösungen, ganz viele Unibücher. Das ist einfach ein ganz intellektueller Markt. Wenn Sie nach England gehen, dann haben Sie ganz viele Bücher, die so aussehen wie bei uns nur Thriller aussehen dürfen, aber Hochliteratur sind, was Sie hier nicht machen können. Da gibt es tatsächlich wirklich in der jeweiligen Lesekultur und Intellektuellenkultur verankerte Traditionen. Deutschland hat eine sehr, sehr starke Gestaltungstradition gehabt vor dem Krieg, also in den 20er-Jahren, 10er-, 20er-, 30er-Jahre. Darauf geht zurück, dass viele deutsche Titel mit Schriftlösungen arbeiten, also spielen mit Grafik, mit Typografie. Das war ganz, ganz groß vor allem in Berlin der 20er-Jahre. Davon scheint immer wieder was auf. Das ist hier besonders ausgeprägt.
Meyer: Aber da wir ja in einem Bilderzeitalter leben, ist wahrscheinlich auch Ihre Prognose, die Bilder werden eher noch mehr werden und vielleicht die Frauenteile.
Trotha: Die Bilder sind mehr, und vor allem: Es hat sich in den Bildern noch mal auch aus einem technischen Grund etwas verändert, seit Bildbearbeitung so einfach ist und so gut möglich ist. Also früher wurden Fotografien auf Cover gesetzt, und dann kam Schrift drauf, und jetzt werden praktisch keine unbearbeiteten ... , sondern die Bilder werden Ausschnitte, und die werden sehr stark bearbeitet, und - das zeigen wiederum auch die Studien - es geht nicht um das Bild, sondern es geht um die Kombination aus Text und Bild, die einen neuen Effekt erzeugen, und das ist ja das Coverspezifische, und darauf gucken die Leute dann auch.
Meyer: Und zwar acht Sekunden lang, wie wir gelernt haben, in der Buchhandlung, dann noch mal 15 Sekunden für die Rückseite. Das sind ernüchternde Zahlen. Wie Cover Bücher verkaufen, darüber haben wir mit Hans von Trotha gesprochen. Ganz herzlichen Dank!
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