Übersetzer Ernest Wichner

Die Kraft der rumänischen Dichtung

Ernest Wichner
Der Übersetzer Ernest Wichner © picture alliance/dpa/Foto: Hendrik Schmidt
Ernest Wichner im Gespräch mit Susanne Führer |
Der Schriftsteller und Lyriker Ernest Wichner ist Literaturvermittler im besten Sinne: Mit seiner Übersetzung des Familienromans "Oxenberg und Bernstein" des rumänischen Autors Cătălín Mihuleac ist er für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse nominiert.
Schon als Student zeigte der 1952 in Rumänien geborene Ernest Wichner, was Sprache bewegen kann: Zusammen mit der rumäniendeutschen Spaßguerilla "Aktionsgruppe Banat" provozierte er in den 70er-Jahren den gefürchteten Geheimdienst Securitate mit Spottversen und ernsthafter Lyrik – woraufhin ihnen "Überschreitung der Grenzen der Dichtkunst" vorgeworfen wurde.

Auswandern aus der eigenen Minderheit

Seine Familie gehörte zu den "Banater Schwaben", bis 1945 lebten in der Region Banat fast ausschließlich Deutsche, erst später gab es an der Schule auch Klassen mit rumänischen Kindern, so dass der junge Ernest Wichner früh beide Sprachen beherrschte. 1975 – 14 Jahre nach dem ersten Ausreiseantrag und vielen bürokratischen Hürden – konnte die Familie nach Deutschland übersiedeln.
"Ich war damals 23 Jahre alt; da war mir klar, dass ich nicht nur aus Ceausescus Diktatur auswanderte, sondern auch aus meiner Minderheit. Als 23-Jähriger, der Abitur hatte und studiert hat und sich für Literatur interessierte, gab es eine schier unüberbrückbare Distanz zu dieser Minderheit, die von allem, was einem selbst wichtig war, nichts wissen wollte."

Das Studium an der Freien Universität als Befreiung

Das Studium der Germanistik und Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin empfand er als Befreiung. Endlich war er von der staatlichen Überwachung erlöst, von einem Staat, der nicht wollte, "dass wir unsere Köpfe selber zum Denken nutzen, sondern der wollte, dass wir das mitteilen, was er für richtig hielt".

Für seine Übersetzung von Cătălin Mihuleacs Roman "Oxenberg & Bernstein" ist Wichner für den Übersetzerpreis der Leipziger Buchmesse nominiert. Lesen und hören Sie hier unsere Besprechung.

1988 kam er ans Berliner Literaturhaus; von 2003 bis 2017 prägte er das Profil als Leiter des Hauses in der Fasanenstraße unweit des Kurfürstendamms.
"Mir war es wichtig, dass dieses Haus ein Publikum hat, das mit dem Gefühl kommt: Wir brauchen dieses Haus – es ist unser Haus."

Der lange Schatten des Ceausescu-Regimes

Auch in Berlin holte ihn die Vergangenheit des Ceausescu-Regimes ein: Als Herausgeber der Werke Oskar Pastiors wurde er mit dessen Spitzeltätigkeit für die Securitate konfrontiert. Und so sehr er eine solche Tätigkeit ablehnt, versuchte er doch – in Kenntnis der Lebensumstände Pastiors – für Verständnis für den Autor zu werben.
"Er war homosexuell. Kurze Zeit bevor er zur Securitate geholt wurde, ist ein Freund von ihm verhaftet worden – und er war verschwunden für ihn. Er musste damit rechnen, dass ihm das Gleiche passiert. Er war vorher fünf Jahre deportiert zur Zwangsarbeit in der Sowjetunion. Ich glaube, da ist ein Mensch, der so etwas in jungen Jahren erlebt hat, moralisch, ethisch irgendwie angeschlagen."
Entscheidend sei aber, dass Oskar Pastior – bis auf den Fall einer Parteifunktionärin – niemandem geschadet habe. Schwerer wiege, so Wichner, dass bis heute ehemalige Securitate-Informanten in Deutschland lebten, ohne behelligt zu werden: "Das kann einen verbittern."

Die nächste Übersetzung hat 1000 Seiten

Aktuell arbeitet Ernest Wichner an der Übersetzung eines über 1000 Seiten umfassenden Romans von Mircea Carterescu. Zu gern würde er auch selbst wieder schreiben.
"Dann muss ich mir einfach am Tag drei Stunden fixieren, freisetzen, an denen nichts stattfindet außer unter Umständen selber schreiben. Und wenn das nicht funktioniert, dann sitzt man mit dem Bleistift in der Hand vor dem Blatt Papier und schaut zum Fenster raus."
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