Ulrike Edschmid: Ein Mann, der fällt
Suhrkamp, Berlin 2017
190 Seiten, 20,00 Euro
Ein hartes Schicksal, präzise erzählt
In ihrem autobiografischen Roman "Ein Mann, der fällt" schildert Ulrike Edschmid den folgenschweren Sturz ihres Ehemannes von einer Leiter. Mit Empathie und Präzision zeichnet sie sein Schicksal nach - und liefert nebenbei ein genaues Bild des sich verändernden Berlin.
Ulrike Edschmid ist eine Autorin, die nahe am Autobiografischen erzählt und Detail an Detail fügt. Dass daraus am Ende eine dann doch weitreichende Geschichte wird, die man von Moment zu Moment, von Szene zu Szene, zunehmend fasziniert liest, das ist ihre große Kunst. Manche Kritiker irritiert das allerdings. An ihrem hoch gelobten Roman von 2013 über den einstigen Geliebten Werner Sauber, der 1975 als Stadtguerillero erschossen wurde, wurde bemängelt, er liefere zu wenig Aufklärung, zu wenig historische Fakten. Dahinter steckt die Vorstellung, ein Zeitroman müsse historische – und natürlich ideologisch korrekte – Einordnungen treffen.
Erzählt aus unmittelbarer Nähe
Ulrike Edschmid tut das nicht, auch nicht in diesem – ebenfalls autobiografisch inspirierten – Roman, in dem neben der privaten Geschichte eines Paars viel Zeitgeschichte mit erzählt wird. "Ein Mann, der fällt" beginnt 1986, im alten Westberlin. Eine Frau und ein Mann wollen eine gemeinsame Wohnung beziehen. Beim Renovieren stürzt der Mann von der Leiter. Im Krankenhaus heißt es, er werde nie wieder gehen können. Aus unmittelbarer Nähe, mit der Empathie einer Liebenden, aber mit unsentimentaler Präzision schildert die Erzählerin den Kampf des Mannes um die Kontrolle über seinen Körper. Die Mühen und die Angst vor dem Fallen, die ersten Schritte, das Stehen, das stets gefährdete Gehen an zwei Stöcken. Ulrike Edschmid beschreibt das alles im Präsens, die Gnade zeitlicher Distanz gewährt sie nicht – weder sich selbst, noch ihren Lesern. Alles ist nah und überscharf zu sehen: Gegenstände, Momente, kleinen Szenen.
Berlin-Charlottenburg im Lauf der Jahrzehnte
Das gilt nicht nur für das private Leben der beiden Protagonisten, sondern auch für ihre Umgebung, und das ist ganz wörtlich zu nehmen. Die Straßenecke in Berlin-Charlottenburg, die sich im Lauf der Jahrzehnte verändert, wie sich die ganze Stadt, das ganze Land verändert. Die Mauer fällt. Läden verschwinden, andere öffnen. Roma ziehen ins Hinterhaus, eine koreanische Sekte singt ihre Choräle, im Restaurant unten Lärmen die Gäste, in der Wohnung auf der anderen Straßenseite sitzt ein Mann regelmäßig und allein beim Essen, in einem goldfarbenen Mercedes explodiert eine Handgranate. Ulrike Edschmids macht aus Beobachtungen in ihrem Umfeld kleine Preziosen der Tatsächlichkeit. Und das ist etwas ganz anderes als einfach nur erzählerischer Realismus.