Die Ausstellung "Zwischen den Fronten: Der Glasperlenspieler Hermann Hesse" im Literaturhaus Berlin läuft bis zum 11. März 2018
Das Schweigen von Hermann Hesse
Hermann Hesse lebte während der NS-Zeit als Schweizer Staatsbürger in der Schweiz. Doch seine Werke erschienen weiter in Deutschland. Eine kluge und differenzierte Ausstellung im Literaturhaus Berlin beleuchtet die schwierige Rolle des Schriftstellers im Nationalsozialismus.
"hier benehmen sich die nazis grauenhaft. neulich war ganz in der nähe eine schießerei mit vielen verletzten. einen mann haben sie erstochen."
Schreibt Martin Hesse am 26. Juli 1932 aus Dessau, wo das Bauhaus kurz vor der Schließung steht, an seinen Vater Hermann Hesse. Der lebt als Schweizer im Tessin.
Diese und andere bisher unveröffentlichte Briefe zwischen Vater und Sohn Martin sind nun in der Ausstellung "Zwischen den Fronten: Der Glasperlenspieler Hermann Hesse" im Literaturhaus Berlin zu lesen und zu hören. Die Vitrinen sind Boccia-Bahnen nachempfunden. Die Kugeln des Spiels liegen im Schotter neben Fotografien, Kopien von Briefen und Büchern. Projektionen an der Wand nehmen das Motiv auf.
Das alles nicht nur, weil Hermann Hesse leidenschaftlicher Boccia-Spieler war, sondern weil Kurator Lutz Dittrich darin metaphorisch Hesses Rolle während der Zeit des Nationalsozialismus ausgedrückt sieht:
"Hesse hat [also] eine Position, die vergleichbar ist sozusagen einer rollenden Kugel beim Boccia-Spiel. Was immer er auch unternimmt, erzeugt eine neue Konstellation um ihn herum, die ihn in anderer Weise, wie man das dann an diesen vielen Stationen hier sehen kann, immer wieder aufs Neue quasi zwischen die Fronten bringt."
"Lieber von den Faschisten erschlagen werden
Als selber Faschist sein!
Lieber von den Kommunisten erschlagen werden
Als selbst Kommunist sein!"
Schrieb Hermann Hesse in dem Gedicht "Absage" 1933, als Hitler schon zum Reichskanzler ernannt war und der Schriftsteller von Kollegen, Freunden und seinen Söhnen kritisiert wurde, weil er sich nicht zum Kommunismus bekannte.
Als selber Faschist sein!
Lieber von den Kommunisten erschlagen werden
Als selbst Kommunist sein!"
Schrieb Hermann Hesse in dem Gedicht "Absage" 1933, als Hitler schon zum Reichskanzler ernannt war und der Schriftsteller von Kollegen, Freunden und seinen Söhnen kritisiert wurde, weil er sich nicht zum Kommunismus bekannte.
"Er donnert eben nie vom Schweizer Berg hinunter"
Kurator Lutz Dittrich: "Im privaten Briefwechsel oder in privaten Dokumenten wie mit diesem kleinen Gedicht 'Absage' ist es natürlich unzweideutig, dass Hesse mit dem Nationalsozialismus nichts zu tun haben wollte und das auch rigoros ablehnt und alle unterstützt, die zu ihm kommen und Hilfe brauchen. Aber es gibt eben keine öffentliche Äußerung. Er donnert eben nie vom Schweizer Berg hinunter und verdammt diese furchtbaren Hitler-Schergen."
Hätte er da nicht mutiger sein können? Fragt man sich und kommt doch bald wieder ins Grübeln beim Gang durch diese klug arrangierte und äußerst differenzierte Ausstellung. Hesse war zwar damals Schweizer Staatsbürger. Aber freie Meinungsäußerung galt damals nicht. Daran erinnert auch der Der Hesse-Biograph Gunnar Decker, der an der Ausstellung mitgearbeitet hat:
"Das Neutralitätsgebot war etwas, was durchaus mit Polizeigewalt durchgesetzt wurde. Also es war strikt verboten, sich in der Schweiz gegen Nazi-Deutschland zu äußern."
Im Übrigen sei Hermann Hesse nun einmal stark pietistisch geprägt und habe einen radikalen Begriff der Unparteilichkeit verfolgt. Demnach verberge sich hinter seinem öffentlichen Schweigen zum Nationalsozialismus kein Opportunismus, sondern die Überzeugung, unparteiisch und allein seinen eigenen Kampf auszufechten. Vor allem im Schreiben des Romans "Das Glasperlenspiel".
Das ist für den Hesse-Biographen eine schöne Utopie, ein Gegenentwurf zur SS-Ideologie. Allerdings erlaubten die Nazis die Veröffentlichung im Deutschen Reich nicht. Hermann Hesse und sein Verleger Peter Suhrkamp hatten sich verkalkuliert. Ihr Vorhaben erscheint rückwirkend als unrealistischer Versuch eines ästhetischen Widerstands.
Nationalsozialisten konnten Hesse für ihre Zwecke vereinnahmen
Im Gegensatz zu seinem Freund Thomas Mann hatte Hesse sich dazu entschieden, keine Exilliteratur zu schreiben, sondern weiterhin für sein Publikum in Deutschland. Als der Krieg vorbei war, rächte sich das, meint Hesse-Biograph Decker.
"De facto steht oder sitzt Hesse ja tatsächlich wieder zwischen allen Fronten: Also die Deutschnationalen greifen ihn aufgrund seiner Kritik des Nationalismus an. Die Exilanten werfen ihm vor, dass er nicht laut genug protestiert hat gegen Hitler."
Und so gab es auch, besonders im Ausland, Kritik, als Hermann Hesse 1946 der Literaturnobelpreis zugesprochen wurde. In der tschechischen Zeitung "Svobodné noviny" wurde das am 15.11.1946 so kommentiert: "Es wäre sicher äußerst interessant zu verfolgen, was der Beweggrund dafür war, Hermann Hesse, welcher den ganzen Krieg über Beiträge für deutsche und nicht selten ausgesprochen nazistische Revuen lieferte, mit dem Nobelpreis auszuzeichnen."
Diese Kritik erscheint allerdings mit Blick auf die herausragend recherchierte Ausstellung als ungerechtfertigt. Denn die Nazis hatten in ihren Besatzungszeitungen ohne die Zustimmung und vermutlich auch ohne das Wissen von Hermann Hesse dessen frühen Gedichte und Erzählungen inmitten von propagandistischen Artikeln veröffentlicht.
Das war allerdings nur deswegen möglich, weil Hermann Hesse seinem befreundeten Verleger Peter Suhrkamp zuliebe akzeptierte, dass die Rechte für seine Bücher beim arisierten Fischer-Verlag blieben. Und deshalb und auch wegen seines öffentlichen Schweigens konnten die Nationalsozialisten den Schriftsteller für ihre Zwecke vereinnahmen.
Insofern ist das Boccia-Spiel, bei dem eine Kugel eine weitere ins Rollen bringt und die wiederum eine dritte, ein durchaus plausibles Bild für Hermann Hesses Rolle im Nationalsozialismus. Unweigerlich fragt man sich beim Besuch dieser gelungenen Ausstellung, wie man selbst an Hesses Stelle wohl gehandelt hätte.