Viet Thanh Nguyen, "Der Sympathisant"
Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller
Blessing Verlag, München 2017, 528 Seiten, 24,99 Euro
Eine wunderbar maliziöse Demontage
Geschichten über den Vietnamkrieg sind fast immer aus USA-Sicht geschrieben. Viet Thanh Nguyens preisgekrönter "Der Sympathisant" dreht den Spieß um: Sein Held ist ein vietnamesischer Doppelagent. Der Roman sei eine vielschichte Mischung aus Polit-Thriller und Satire, meint unser Kritiker.
Der Vietnam-Krieg ist ein immer noch virulentes Trauma. Obwohl seine Geschichte, entgegen der üblichen Usancen, von den Verlierern, den USA, geschrieben wird. So sieht es der namenlose Held von Viet Thanh Nguyens pulitzerpreisgekröntem Roman "Der Sympathisant". Weil die USA über die Macht verfügen, ihre Vietnam-Narrative via Hollywood und vermittels der globalen Lingua franca Englisch massenmedial durchzusetzen, bleibt das Kräfteverhältnis der Perspektiven asymmetrisch. Darin liegt auch die Schizophrenie des auf Englisch schreibenden Viet Thanh Nguyen, der folgerichtig am Ende seine Hauptfigur in zwei Personae aufspaltet und dann wieder als ästhetisches Konstrukt zusammenfügt. Authentizität ist dabei keine Option.
Vielschichtiges Gewebe
Der Protagonist erzählt eine wendungsreiche Geschichte: Als kommunistischer "Maulwurf" nistet er sich sowohl im Stab eines südvietnamesischen Polizei-Generals, als auch bei der CIA ein und geht mit dem General nach dem Abzug der Amerikaner ins kalifornische Exil. Dort soll er für beide Seiten die vietnamesische Community infiltrieren und revanchistische Aktivitäten beobachten. Also verrät er den jämmerlichen Versuch einer südvietnamesischen Guerilla-Truppe, über Laos ins inzwischen vereinte Vietnam einzudringen – und landet dabei aber selbst in einem "Umerziehungslager". Dort muss er sein Leben als Rechenschaftsbericht in selbstkritischer Absicht aufschreiben.
Dieser Bericht, adressiert an den Kommandanten des Lagers, bildet den Text des Romans. Inszeniert als klassische "Selbstentblößung" ist der Roman dennoch nicht in der Tradition der "Bekenntnisse" zu verstehen, sondern ist ein vielschichtiges Gewebe aus Polit-Thriller, Satire auf den American Life Style, politischer Kritik und diskursiven Passagen. Obwohl der Roman einen biographischen Hintergrund hat – auch die Familie des 1971 geborenen Autors ist 1975 aus Saigon geflohen -, ist er kein autobiographischer, sondern ein Roman um die Deutung von Geschichte.
Eine Mischung aus Francis Ford Coppola und Oliver Stone
Ein Kernstück des Romans bildet dabei eine wunderbar maliziöse Demontage des Mythos von "Apocalypse Now", ein Film, den wir gerne als kritischen Film sehen. Unser Held wird von dem spöttisch so genannten "Auteur" des Films (auch hier verfährt der Roman strikt fiktional: Dieser Auteur ist nicht 1:1 Francis Ford Coppola, sondern trägt auch deutliche Züge von Oliver Stone) als "Authentizitätsberater" angeworben, um dem vietnamesischen Anteil Stimmen zu geben, was letztendlich nicht stattfand, sondern auch im Roman als Groteske endet.
Aber die Episode zeigt sehr schön, wie der Roman politische Verhältnisse über ihre mediale Vermittlung angreift. Und damit steht dann auch der Vietnam-Krieg in einem noch größeren Zusammenhang – nämlich in der Kette von Kriegen, die die USA in den letzten Jahrzehnten geführt haben (respektive noch führen), und sich gleichzeitig die moralische Deutungshoheit darüber zu sichern versucht. Wirkliche Symmetrie, darüber ist Viet Thanh Nguyen sich laut diverser Interviews im Klaren, wird auch sein Roman aus vietnamesischer Sicht nicht herstellen können, denn auch wenn er ein paar hunderttausend Leser findet: ein Blockbuster hat global zig-Millionen Zuschauer. Aber ein bisschen Sand ins Getriebe streuen – das kann dieses großartige Buch durchaus.
PS: Als ergänzende Lektüre sei Viet Thanh Nguyens Sachbuch: "Nothing ever dies. Vietnam and the Memory of War" (Harvard University Press, 2016) empfohlen.
Hören Sie auch das Interview mit dem Autor in unserer Sendung "Lesart" vom 14.8.2017:
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