Pillen ersetzen das Sonnenlicht nicht
Über Vitaminpillen gab es wenig Gutes zu berichten: Die Einnahme von Vitamin A, E und C hat sich als sinnlos erwiesen. Manchmal erhöhten sie sogar das Sterberisiko. Nun gibt es einen neuen Hoffnungsträger - Vitamin D.
Die Palette der Leiden, vor denen uns das sogenannte Vitamin D schützen soll, wird immer länger: Herzinfarkt, Diabetes, Krebs, Alzheimer, Depressionen, Grippe und so weiter. Doch mittlerweile werden auch die Gesichter derjenigen deutlich länger, die das Hormon über den grünen Klee empfohlen haben. Denn in den aktuellen Studien und Meta-Analysen sind die hochfliegenden Träume wie Seifenblasen zerplatzt. Sie haben gezeigt, dass Vitamin D-Pillen nicht mal zur Vorbeugung vor Osteoporose taugen, geschweige denn vor anderen Krankheiten. Klingt irgendwie vertraut.
Woran liegt es dann, dass sich die Hoffnungen nicht zu bestätigen scheinen? Da wären zunächst die Probleme mit der Analytik. Für eine vernünftige Aussage sollten mindestens zwei wirksame Vitamin D-Verbindungen im Blutserum bestimmt werden. Auch deshalb, weil viel Vitamin D2 zu niedrigen D3-Werten führt. Doch diese Messungen sind anspruchsvoll und können nur von wenigen Speziallabors mit hinreichender Genauigkeit durchgeführt werden. Ob jemand einen D-Mangel habe oder nicht, spottet die Fachwelt, hinge schlicht davon ab, wer gerade messen würde.
Sonnenlicht hat eine enorme Wirkung auf das hormonelle System
Bei größeren Studien hofft man, dass sich die vielen Fehlerquellen irgendwie ausgleichen. Ihre Ergebnisse zeigen erstaunlich einheitlich, dass die Gesundheit von Patienten mit niedrigen Vitamin D-Spiegeln im Schnitt etwas schlechter ist, als die von Personen mit mehr D im Blut. Da der Vitamin D-Spiegel in erster Linie vom Sonnenlicht abhängt, ist das kein Wunder. Kranke kommen seltener aus dem Haus, ältere Menschen sind häufig gehbehindert, sie laufen nicht in nabelfreien T-Shirts zur U-Bahn. Niedrige D-Spiegel sind nicht die Ursache, sondern eine Folge mancher Beschwerden.
Das Sonnenlicht hat im Gegensatz zur künstlichen Beleuchtung eine enorme Wirkung auf das gesamte hormonelle System. Das ist der Grund, warum höhere Vitamin D-Spiegel durch Sonnenlicht etwas ganz anderes sind, als eine Erhöhung durch das Schlucken von Pillen. Das ist genauso, als wenn man sich eine braune Creme auf die Haut schmiert, um ein Sonnenbad zu simulieren. Es sieht vielleicht genauso aus, ist aber nicht das Gleiche.
Dunkelhäutige Amerikaner haben deutlich weniger Vitamin D im Blut als Weiße. Trotz Vitaminmangel sind ihre Knochen aber weniger anfällig für Osteoporose. Das Sonnenhormon ist nur ein kleines Mosaiksteinchen unter den vielfältigen Lichtwirkungen. Darüber hinaus gibt es eine breite Palette weiterer Vitamin D-ähnlicher Stoffe, für die sich aber bisher anscheinend niemand interessiert. Und selbst alle zusammen würden das Sonnenlicht nicht ersetzen. Deshalb haben die Pillen eben nur manchmal günstige Effekte.
Eine Viertelstunde im Freibad reicht aus
Unerfindlich bleibt, warum die Deutsche Gesellschaft für Ernährung die Zufuhrempfehlungen für das Hormon drastisch erhöht hat - auf 20 Mikrogramm am Tag. Zum Vergleich: Eine Viertelstunde im Freibad liefert locker das zehnfache - nämlich 250 Mikrogramm. Dabei warnt die DGE seit Jahrzehnten gerade vor den Lebensmitteln, die den Stoff enthalten, nämlich tierische Fette - das Sonnenhormon ist fettlöslich. Um die Mini-Zufuhr von 20 Mikrogramm zu erreichen, müsste man täglich ein bis zwei Dutzend Eier, oder mehrere Kilo Leber oder pfundweise Lachs essen oder rund 100 Liter Vollmilch trinken.
Natürlich kann man das auch geschickt kombinieren: Morgens gebratenen Speck mit Rührei, zum Kaffee reichlich Sahne, mittags eine Kalbsleber mit Äpfeln und Zwiebeln, dazu viel Vollmilch und abends Räucherlachs auf dick gebutterten Schwarzbrot. Klingt lecker - aber wer möchte das schon jeden Tag essen? Und noch dazu in Riesenportionen. Dabei weiß niemand, ob das darin enthalten Hormon irgendeinen Nutzen hat. Da setz ich mich doch lieber draußen ins Café in die Sonne - die wirkt zuverlässig. Mahlzeit!
Literatur:
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