Was bei "No-Billag" auf dem Spiel steht

Faire Berichterstattung hilft gegen gesellschaftliche Spaltung

Zwei Schweizer in Luzern verkleidet zur Fassnacht zum Thema "No Billag"
Die Initiative "No Billag" war auch Thema des Straßenkarnevals in Luzern. © imago/Geisser
Von Wolfgang Hagen · 01.03.2018
Am 4. März entscheiden die Schweizer darüber, ob der Rundfunkbeitrag abgeschafft werden soll. Tugenden einer solidarischen Gesellschaft seien gefährdet, meint der Medienwissenschaftler Wolfgang Hagen. Die Initiative "No-Billag" habe aber auch ihr Gutes.
"Radio und Fernsehen tragen zur Bildung und kulturellen Entfaltung, zur freien Meinungsbildung und zur Unterhaltung bei. (...) Sie stellen die Ereignisse sachgerecht dar und bringen die Vielfalt der Ansichten angemessen zum Ausdruck." So heißt es in Artikel 93 der Schweizer Bundesverfassung. Daran störten sich ein paar Dutzend junge Leute aus dem Dunstkreis der konservativ-liberalen Freidemokraten und der national-konservativen Volkspartei. Sie waren es, die den Volksentscheid initiierten, über den wir seit Wochen reden. Ihr Hauptanliegen ist der Wegfall von Artikel 93. Stattdessen soll in der Verfassung stehen: "Der Bund oder durch ihn beauftragte Dritte dürfen keine Empfangsgebühren erheben." Das wäre das verfassungsmäßige Ende jedes öffentlichen Rundfunks.

Meine Filterblase, mein Echoraum

"Wir wollen nur dafür zahlen, was wir konsumieren, und nicht für das, was irgendwer anderes schaut oder hört", lautet ihr Standpunkt. Eine konsequent neo-liberale Haltung, die Medien für ein bloßes Konsumgut erklärt. Das passt zu den Entwicklungen in den neuen digitalen Märkten, wo Spotify, Netflix oder Amazon wie vordem schon Sky und andere Kabelanbieter im Verein mit Facebook und Instagram allein auf die Erstellung individualisierter Profile erpicht sind, um uns dann mit perfekt ausgeklügelten Vorhersage-Algorithmen das zu präsentieren, was uns am besten gefällt - was mir gefällt und meinesgleichen, meinen Freunden, meiner Filterblase, meinem Echoraum, meiner Welt.

Fairness geht nur in einer solidarischen Gesellschaft

Es ist klar, dass dem ein Verfassungsartikel im Wege steht, der Fairness einer sachgerechten Darstellung fordert. Fairness geht nur, wenn man auf Tugenden einer solidarischen Gesellschaft zurückgreift, indem alle ihren Beitrag leisten, entweder durch Steuern oder durch Gebühren. Wie für ein gutes Wasser, das sich auch nicht jeder selbst herstellen kann.
Dieses Fairness-Gebot wurde interessanterweise zuerst in den USA eingeführt, in den späten 1930er-Jahren, nach den Jahren der Großen Depression, der Hungersnöte und dem Beinahe-Zerfall der ganzen Nation. Während in Europa bereits alles auf die faschistische Katastrophe zusteuerte. Ein halbes Jahrhundert später hat Ronald Reagan mit all dem Schluss gemacht. Er hasste den New Deal und wollte stattdessen alle staatlichen Leistungen privatisieren, sogar die lokalen Kläranlagen. Nach dreißig Jahren sehen wir das Ergebnis. Die Wasserwirtschaft ist zwar weitgehend zurück in staatlich kommunalen Händen, aber die ehemals so demokratie-erprobten amerikanischen Massenmedien durchzieht ein Graben aus Widerlichkeit und Hass wie kaum je zuvor.

Es kommt auf die Berichterstattung an

Ich will nicht sagen, dass der Wegfall eines Fairness-Gebotes die Spaltung in einer Gesellschaft erzeugen kann. Aber er verstärkt sie, weil er ihre Ursachen vernebelt. Wenn die Globalisierung nationale Industrien zerstört, wenn dazu Teile der Mittelschicht fürchten müssen zu verarmen, wenn der Abstand zwischen Arm und Reich dramatisch wächst und zugleich die gesamte Arbeits- und Lebenswelt von der Digitalisierung auf den Kopf gestellt wird, sodass allein schon deshalb viele Angst haben, den Anschluss zu verlieren, dann kommt es sehr wohl darauf an, wie Medien darüber berichten, wie fair und weitreichend ihre Darstellungen sind, wie sachgerecht und angemessen in Bezug auf die Verschiedenheit der Meinungen und Gefühle der Menschen. Zerrissene Gesellschaftsstrukturen geben dem Erstarken populistischer Regime einen idealen Nährboden. Dies hat uns Deutsche das Ende der Weimarer Republik nachdrücklich gelehrt.
Insofern ist die Entscheidung am Sonntag so wichtig. Wie immer sie ausgeht, sie wird eine tiefe Spaltung auch in der Schweizer Gesellschaft aufzeigen. Die SRG wird danach entweder verschwinden, oder aber sich in Zukunft verkleinern müssen und zugleich an der Überbrückung dieser gesellschaftlichen Spaltung zu arbeiten haben.
Die Abstimmung hat nämlich auch ihr Gutes. Falls "No-Billag" abgelehnt wird, wäre die Schweiz das erste europäische Land, dessen öffentlicher Gebühren-Rundfunk auf einem mehrheitlichen Volkswillen gründet.

Wolfgang Hagen ist Medienwissenschaftler und Professor an der Leuphana-Universität in Lüneburg. Von 2002 bis 2012 war er Leiter der Kultur- und Musikabteilungen sowie Leiter der Medienforschung im Deutschlandradio Kultur.

© Deutschlandradio / Bettina Straub
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