Was mich nicht zum Atheisten macht
Zur Adventszeit fragen sich viele Menschen, wie sie es eigentlich mit der Religion halten. Welche Werte verbergen sich hinter dem Glauben und welche hinter einem atheistischen Weltbild? Die Religionswissenschaftlerin Esther Maria Magnis hat Antworten gesucht - und gefunden.
Wenn kein Gott die Welt geschaffen hat, kein Geist hinter den Dingen steht und Wahrheit nur ein kurzfristiges sich wandelndes Ergebnis von relativen Fakten ist, die jeden Tag mit einer neuen Supernova umgeballert werden könnte, dann ist es weder gut noch schlecht, dass wir da sind. Denn es fehlt das allgemeingültige Urteil über uns. Es fehlt dieses: Gott sah, dass es gut war.
Es gibt Menschen, die sagen, man könne auch als Atheist feststellen, was ein gutes Leben sei und humanistische Werte finden, aber damit setzen sie bereits wieder voraus, dass Humanismus etwas Gutes ist. Natürlich ist Humanismus etwas Gutes, würde der Atheist vielleicht sagen, er schützt das menschliche Zusammenleben.
Und warum sollte das gut sein, könnte man fragen. Und viele Atheisten würden sagen: Damit die Menschen in Frieden leben können. Und warum sollte das nun wiederum gut sein? Wenn es keinen Gott gibt, der die Menschen will, sondern nur Photonen und Zellen und physikalische Abläufe in der meinungslosen Stille des Alls, wo genau dazwischen ist die normative Stimme, die behauptet: Es ist gut, wenn die paar hoch entwickelten Säugetiere auf dem einen Planeten in Frieden zusammen leben. Richtig. Diese Stimme gibt es im Atheismus nicht. Die heißt nämlich Gott.
Und wenn es den nicht gibt, müsste der Atheist sagen: Naja, es ist gut, weil ich persönlich das vernünftig finde.
Aber persönliche Meinungen und ein kategorischer Imperativ können Einem genauso egal sein wie das Fortbestehen der Menschheit auf einer Erde, die zufällig entstanden ist und eines Tages in die Sonne stürzen wird, es sei denn man hängt an seinem Leben. Es sei denn, man findet das Leben schön und erhaltenswert.
Aber was, wenn nicht?!
Ich fand das als 17-Jährige nach dem Tod meines Vaters nicht erhaltenswert. Er war qualvoll an Krebs gestorben, und ich hatte mit Gott gebrochen, ihn als Prinzip aus meinem Denken gestrichen und zu spät gemerkt, dass damit alle Dinge verloren gehen, die einen Glaubensakt voraussetzen. Jeder humanistische Wert setzt voraus, dass wir Menschen glauben, dass wir wertvoll sind. All das ging mir verloren nach dem Tod meines Vaters und für jemanden wie mich hatte mein Atheismus nur eine Antwort: Pech gehabt.
Der Atheismus hat mir damals auch gesagt: Dein Leben fühlt sich nicht nur grauenhaft an, es ist noch dazu vollkommen sinnlos. Und die Atheisten, die das zu hart fanden, haben gesagt: Du musst deinem Leben eben selbst einen Sinn geben.
Aber ist das nicht einfach nur Getue - habe ich mich gefragt. Und die Antwort von ehrlichen Atheisten war: Ja. Das meiste im Atheismus ist ein: so tun als ob.
Auch wenn mein Glaube heute manchmal schwindet und ich genauso atheistisch fühle, ich streiche Gott nie wieder aus meinem Denken, weil ich nicht so tun will, als ob. So tun, als hätten wir eine Würde, obwohl die empirisch genauso wenig messbar ist wie Gott. Ich liebe dich sagen, ohne zu glauben, dass es echte Liebe und nicht nur Gerüche und Endorphine gibt.
Ich streiche Gott nicht mehr durch, weil ich daran glaube, dass der Mensch, wenn er "Ich" sagt, nicht nur seine Gene und Erziehung meint, sondern das Dahinter, das, was geliebt werden kann, das, was manchmal aufblitzt in dem kleinen Gesicht meines Kindes und das, was ich leise bei meinem Mann zu erkennen glaube. Eine Seele. Schönheit. Etwas Fremdes.
Glaubte ich nicht an Gott, dann würde ich nicht lächeln, wenn es, so wie gestern Nacht, zu schneien beginnt und die Welt unterm Schnee stiller wird, dann würde ich am Fenster stehend nur denken: Der Planet ist kalt und bald sind wir tot.
Mein Vater ist gestorben, als ich 17 war und mein kleiner Bruder ein paar Jahre später. Ich habe nur eine einzige Hoffnung, und das ist die, dass dieses uralte Gerücht wahr ist: dass wir aufgehoben sind in Gott. Da, wo das Gute gedacht wird und die Wahrheit über unser Leben liegt.
Esther Maria Magnis, Jahrgang 1980, katholisch, hat Vergleichende Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Ihr Buch "Gott braucht Dich nicht. Eine Bekehrung" ist im Herbst beim Rowohlt Verlag erschienen.
Es gibt Menschen, die sagen, man könne auch als Atheist feststellen, was ein gutes Leben sei und humanistische Werte finden, aber damit setzen sie bereits wieder voraus, dass Humanismus etwas Gutes ist. Natürlich ist Humanismus etwas Gutes, würde der Atheist vielleicht sagen, er schützt das menschliche Zusammenleben.
Und warum sollte das gut sein, könnte man fragen. Und viele Atheisten würden sagen: Damit die Menschen in Frieden leben können. Und warum sollte das nun wiederum gut sein? Wenn es keinen Gott gibt, der die Menschen will, sondern nur Photonen und Zellen und physikalische Abläufe in der meinungslosen Stille des Alls, wo genau dazwischen ist die normative Stimme, die behauptet: Es ist gut, wenn die paar hoch entwickelten Säugetiere auf dem einen Planeten in Frieden zusammen leben. Richtig. Diese Stimme gibt es im Atheismus nicht. Die heißt nämlich Gott.
Und wenn es den nicht gibt, müsste der Atheist sagen: Naja, es ist gut, weil ich persönlich das vernünftig finde.
Aber persönliche Meinungen und ein kategorischer Imperativ können Einem genauso egal sein wie das Fortbestehen der Menschheit auf einer Erde, die zufällig entstanden ist und eines Tages in die Sonne stürzen wird, es sei denn man hängt an seinem Leben. Es sei denn, man findet das Leben schön und erhaltenswert.
Aber was, wenn nicht?!
Ich fand das als 17-Jährige nach dem Tod meines Vaters nicht erhaltenswert. Er war qualvoll an Krebs gestorben, und ich hatte mit Gott gebrochen, ihn als Prinzip aus meinem Denken gestrichen und zu spät gemerkt, dass damit alle Dinge verloren gehen, die einen Glaubensakt voraussetzen. Jeder humanistische Wert setzt voraus, dass wir Menschen glauben, dass wir wertvoll sind. All das ging mir verloren nach dem Tod meines Vaters und für jemanden wie mich hatte mein Atheismus nur eine Antwort: Pech gehabt.
Der Atheismus hat mir damals auch gesagt: Dein Leben fühlt sich nicht nur grauenhaft an, es ist noch dazu vollkommen sinnlos. Und die Atheisten, die das zu hart fanden, haben gesagt: Du musst deinem Leben eben selbst einen Sinn geben.
Aber ist das nicht einfach nur Getue - habe ich mich gefragt. Und die Antwort von ehrlichen Atheisten war: Ja. Das meiste im Atheismus ist ein: so tun als ob.
Auch wenn mein Glaube heute manchmal schwindet und ich genauso atheistisch fühle, ich streiche Gott nie wieder aus meinem Denken, weil ich nicht so tun will, als ob. So tun, als hätten wir eine Würde, obwohl die empirisch genauso wenig messbar ist wie Gott. Ich liebe dich sagen, ohne zu glauben, dass es echte Liebe und nicht nur Gerüche und Endorphine gibt.
Ich streiche Gott nicht mehr durch, weil ich daran glaube, dass der Mensch, wenn er "Ich" sagt, nicht nur seine Gene und Erziehung meint, sondern das Dahinter, das, was geliebt werden kann, das, was manchmal aufblitzt in dem kleinen Gesicht meines Kindes und das, was ich leise bei meinem Mann zu erkennen glaube. Eine Seele. Schönheit. Etwas Fremdes.
Glaubte ich nicht an Gott, dann würde ich nicht lächeln, wenn es, so wie gestern Nacht, zu schneien beginnt und die Welt unterm Schnee stiller wird, dann würde ich am Fenster stehend nur denken: Der Planet ist kalt und bald sind wir tot.
Mein Vater ist gestorben, als ich 17 war und mein kleiner Bruder ein paar Jahre später. Ich habe nur eine einzige Hoffnung, und das ist die, dass dieses uralte Gerücht wahr ist: dass wir aufgehoben sind in Gott. Da, wo das Gute gedacht wird und die Wahrheit über unser Leben liegt.
Esther Maria Magnis, Jahrgang 1980, katholisch, hat Vergleichende Religionswissenschaft und Geschichte studiert. Sie lebt und arbeitet in Berlin. Ihr Buch "Gott braucht Dich nicht. Eine Bekehrung" ist im Herbst beim Rowohlt Verlag erschienen.