Weihnachtsidyll als Oper auf dem Bildschirm

Von Mathias Schulenburg |
Konzert und Oper als Live-Übertragung erfreuen sich großer Beliebtheit. In den Anfangstagen des Fernsehens gab es sogar noch viel weiter reichende Versuche, Musiktheater und Flimmerkiste zusammen zu bringen. Am 24. Dezember 1951 wurde mit "Amahl and the night visitors” die erste Fernsehoper der Geschichte ausgestrahlt.
Als am Christmas-Eve des Jahres 1951, dem amerikanischen Heiligabend, diese sanften Klänge in die Wohnstuben nordamerikanischer Familien drangen, bedeutete dies eine doppelte Premiere. Denn sie markierten nicht nur die Geburtsstunde einer sich als äußerst populär erweisenden musikalischen Weihnachtserzählung, sondern auch den Beginn eines neuen Genres: der Fernsehoper. Der ursprünglich aus Italien stammende Gian Carlo Menotti hatte 1939 für die National Broadcasting Company bereits eine Rundfunkoper geschrieben. Nun hatte ihn der Sender mit einer speziell für die Anforderungen des Fernsehens konzipierten Oper beauftragt.
"Wir werden uns schon durchschlagen”, versucht hier ein Junge namens Amahl seine verzweifelte Mutter zu trösten. Amahl ist körperlich behindert, neben der finanziellen Not ist es vor allem die Sorge um ihr Kind, die die Mutter bedrückt. Noch ahnen die beiden Protagonisten der Oper "Amahl and the night visitors" nicht, dass die kommenden Stunden eine Wendung ihres Schicksals bringen werden. Denn in der Geschichte, die zurzeit von Jesu' Geburt spielt, tauchen in der Nacht überraschend Besucher auf. Es sind die Heiligen Drei Könige, auf ihrem Weg nach Bethlehem. Wenn ihnen Amahl am nächsten Morgen folgt, wird er seine Krücken nicht mehr brauchen.

Die sozialromantische Geschichte mit dem Bezug zur Christkindlegende schien wie geschaffen für ein Musiktheater, das die Herzen eines weihnachtlich gestimmten breiten Publikums erreichen wollte. Das lag auch an dem Humor, den Menotti vor allem den buffonesk gestalteten drei Königen zukommen ließ.

Opern von Mozart, Verdi oder Wagner hatten es im Fernsehen bis dahin schwer gehabt: Die beliebteren Werke waren zu lang, die darstellerischen Fähigkeiten der Sänger begrenzt, eine akzeptable Klangqualität technisch nur schwer zu erreichen.

Dennoch versuchte der bei der NBC zuständige Generalmusikdirektor Samuel Chotzinoff die Möglichkeiten der Verbindung von Oper und TV schon frühzeitig voranzutreiben. 1949 gründete er die NBC Opera Company, die sich in den folgenden Jahren zu einem der erfolgreichsten Ensembles der USA entwickeln sollte. Ihre wichtigsten Grundsätze:

  • "Alle Aufführungen werden in Englisch gesungen, damit die Zuhörer der Handlung ebenso folgen können wie der Musik."

  • "Von den Mitgliedern werden ebenso gute schauspielerische wie sängerische Fähigkeiten erwartet."

  • "Es sollen sowohl Werke des klassischen Repertoires wie auch zeitgenössische Werke aufgeführt werden."


Zur Geschichte von "Amahl" ließ sich Menotti übrigens durch ein Bild von Hieronymos Bosch inspirieren, das er im New Yorker Metropolitan Museum of Art gesehen hatte. Es zeigt eben den Besuch der Heiligen Drei Könige beim neugeborenen Jesuskind. Die Oper wurde, am Ende dank der Mithilfe des Komponistenkollegen Samuel Barber, erst kurz vor der geplanten Ausstrahlung fertig. Am 24. Dezember 1951 wurde sie live aus einem New Yorker Fernsehstudio übertragen. Das Werk, auch außerhalb der USA schnell populär, fand in den fünfziger Jahren in Deutschland, England, Holland, Italien, Frankreich, Schweden, in Australien und Thailand mit je eigenen Fernsehinszenierungen den Weg ins Programm und nahm vielerorts den Platz einer traditionellen, jährlich wiederholten Weihnachtsoper ein.

Das neue Genre "Fernsehoper" erlebte in der Folge von "Amahl and the night visitors" eine Blütezeit, zahlreiche, heute meist vergessene Werke entstanden, während der Salzburger Festspiele 1959 wurde gar ein Preis für die "beste neue Fernsehoper" vergeben. Und dennoch überlebte dieses Genre nicht – die NBC Opera Company wurde aus ökonomischen Gründen 1964 aufgelöst.