Wilfrid Israel - Kaufhausbesitzer und Lebensretter

Wie jüdische Kinder aus Berlin flüchten konnten

Ein Reststück der historischen Fassade des Anhalter Bahnhofs steht steht bis heute in Berlin
Ein Reststück der historischen Fassade des Anhalter Bahnhofs steht steht bis heute in Berlin: Von hier konnten bis kurz vor Kriegsbeginn weit über 10.000 jüdische Kinder nach London reisen. © picture alliance / dpa / Wolfram Steinberg
Von Katrin Kühne |
Der Unternehmer Wilfrid Israel war ein leiser Mensch, den heute kaum jemand mehr kennt. Nach dem Novemberpogrom 1938 half er jüdischen Eltern, ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Auf den Gedenktafeln am Berliner Anhalter Bahnhof wird er nicht einmal erwähnt.
"Wir suchen die Stolpersteine von Wilfrid Israel und vom Kaufhaus Israel an der Spandauer Straße, Ecke Rathausstraße und nix da!"
Stadtführer Michael Röblitz steht mit mir direkt gegenüber dem Roten Rathaus in Berlin. Zurzeit ist hier eine Großbaustelle der U-Bahn.
"Wir haben hier an der Ecke, gebaut in der DDR-Zeit für die 750-Jahrfeier das Nikolaiviertel, aber früher war an dieser Stelle das Kaufhaus Israel. Ein großer Turm, ein Eckturm und dann geht es einmal die Spandauer Straße rum, 15 Fensterachsen, ein großer Giebel in der Mitte mit dem Haupteingang, 3 große Höfe."
Wilfrid Israel war der letzte Besitzer des Kaufhauses vor dem Krieg. Berliner mit zwei Pässen, einem deutschen, einem englischen; Pazifist, Philanthrop und - Menschenretter. Wilfrids Vorfahr Nathan Israel richtet Mitte des 19. Jahrhunderts in einem Gebäude an der Spandauer Straße das vermutlich erste Berliner Kaufhaus ein, das zwei seiner Söhne, Moritz und Jacob, später übernehmen.
"Jacob Israel war der älteste Bruder und mein Ururgroßvater Moritz Israel war der jüngste Bruder und der hat sich dann als Teilhaber betätigt zur Ausweitung des Kaufhauses."
Der Bau wurde bis ins 20. Jahrhundert immer wieder erweitert. Der vormalige Chirurg Jochen Palenker, Kuratoriums-Mitglied des Jüdischen Krankenhauses Berlin, ist der Ahnenforscher der Familie. Wir treffen uns im ehemaligen Geheimratsviertel am Tiergarten.
Die Geschichte hat die Spuren verwischt
"Hildebrandstraße 10, das war das Wohnhaus ursprünglich von Berthold Israel, dann vererbt an seine Söhne und seine Frau, Wilfrid und Dr.Herbert Israel."
Nichts davon ist mehr zu sehen. Die Geschichte hat die Spuren verwischt.
Wilfrid - seine englische Mutter besteht darauf, ihn in London zur Welt zu bringen - hat das Kaufhaus-Business von der Pieke auf im Geschäft seines Vaters Berthold gelernt. Obwohl seine Interessen mehr dem sozialen Engagement und der Sammlung von Kunst gelten.
"Wilfrid ist relativ viel durch die Weltgeschichte gereist. Er hat eine Kunstsammlung angelegt, die Sie heute im Wilfrid Israel-Museum in Hazorea anschauen können."
Noch zu Lebzeiten vermacht er die Asiatika, die er auf seinen Reisen gesammelt hat, dem Kibbuz Hazorea in Israel, dessen Aufbau er unterstützt.
Bereits direkt nach dem ersten Weltkrieg engagiert sich Wilfrid, unterstützt von den Quäkern, für die Armenspeisung Berliner Kinder. Für die zionistische Jugend-und Kinder-Alijah und als überzeugter Pazifist für das Antikriegsmuseum.
"Etwas Weiches, aber auch merkwürdig Mächtiges"
Wilfrid war einer,
"der sehr still war, nach außen hin. Ich glaube, die Leute, die am wirksamsten sind, das sind die, von denen man relativ wenig hört."
In Christopher Isherwoods Schlüsselroman "Goodbye to Berlin" taucht Wilfrid in Gestalt des geheimnisvollen Kaufhausdirektors Bernhard Landauer auf.
"Mit seinem dekadenten, durchaus feingeschnittenen, scharfen Profil ähnelte er einem Vogel auf einer chinesischen Stickerei. Er hatte in meinen Augen etwas Weiches, dabei aber auch merkwürdig Mächtiges."
Isherwood war Tatsache gut mit Wilfrid Israel bekannt. Er gehört zu dessen großen Freundeskreis. Wie auch der durch seine Rolle in "Vom Winde verweht" bekannt gewordene englische Schauspieler mit jüdischen Wurzeln, Leslie Howard, der u.a. mit Propaganda-Filmen gegen Hitler ankämpft.
Die Israels gehören zu der oberen Liga der Berliner High Society, aber auch der englischen. Durch seine britische Mutter Amy mit ihrer begüterten Familie Solomon-Adler, bei denen Wilfrid regelmäßig zu Besuch ist.
Als am 1. April 1933 SA-Leute auch vor dem Kaufhaus Israel nun zum Judenboykott aufrufen, weiß der knapp 34-Jährige, was die Stunde geschlagen hat.
"Die eigentliche Stärke von Wilfrid Israel war, dass er in dem Augenblick, wo Hilfe für die bedrohten jüdischen Menschen in dieser Stadt nötig war, dass er tätig geworden ist. Da gab es eine ganze Gruppe um ihn herum, aber sicherlich ist er einer der ganz wichtigen Spieler, der sich allerdings nie in die Öffentlichkeit gedrängt hat."
"Den Schreibtisch aufgeräumt und dann erst gegangen"
So kümmert er sich auch von England aus um die rund 500 jüdischen Männer und Frauen unter seinen 2000 Angestellten.
"Schauen Sie, er ist zum Großteil gependelt. Er hat frühzeitig seinen Mitarbeitern jüdischer Abstammung Geld in die Hand gedrückt, damit sie Deutschland verlassen können. Insofern hat er hier also quasi den Schreibtisch aufgeräumt und ist dann erst gegangen."
Nach dem Novemberpogrom 1938 versuchen viele verzweifelte jüdische Eltern, wenigstens ihre Kinder in Sicherheit zu bringen. Die zwangsarisierten Urgroßeltern von Jochen Palenker, Richard und Bianca Israel, schicken Kinder und Enkel mit dem allerletzten Geld Richtung Frankreich und Chile. Sie selber schaffen es nicht mehr, nur Bianca überlebt Theresienstadt.
Wilfrid, der Cousin von Palenkers Großvater, ergattert durch seine Kontakte bis in höchste Kreise eine Sondererlaubnis der britischen Regierung, mit der er noch im Dezember 1938 die Kindertransporte nach Großbritannien starten kann. Bis kurz vor Kriegsbeginn können weit über 10.000 jüdische Kinder vom Anhalter Bahnhof aus nach London reisen.
Der Bildhauer der Denkmäler für die Kindertransporte in London, Danzig und am Berliner Bahnhof Friedrichstraße, Frank Meisler, ist einer von ihnen. Jochen Palenker moniert dabei:
"Erstens ist es am falschen Ort, zweitens ist es aus meiner Sicht leider ein bißchen Disneyland-mäßig geraten. Insofern bin ich da nicht wirklich glücklich damit."
Wilfrid Israel wird auf den Gedenktafeln am Bahnhof dort nicht einmal erwähnt.
"Ich glaube, der hat die Welt ein paar Mal gerettet"
"Er ist sicherlich einer der Masterminds gewesen, wenn nicht DER Mastermind, aber er hat sehr viele - Helfer ist eigentlich zu wenig - sehr viele Mitstreiter gehabt, die hier, unter Einsatz und Risiko ihres eigenen Lebens, sehr lange gewirkt haben."
Wilfrid wird bereits einmal verhaftet. Aber wieder frei gelassen, man will sich nicht mit den Briten anlegen. Am 9. Februar 1939 wird auch das oft als "Harrods von Berlin" bezeichnete Kaufhaus zwangsarisiert. Allerdings von einer gewissen Firma Emil Köster.
"Dass hinter dieser Köster AG ein jüdischer Investor stand, wobei das natürlich ein Treppenwitz der Geschichte ist. Wilfrid ist es lange, lange Zeit gelungen, -letzten Endes-, dadurch dass Nazi-Größen im Kaufhaus einkaufen konnten, aber nicht bezahlen mussten, quasi die für sich einzukaufen. Bis zu einem gewissen Punkt natürlich nur."
1939 emigriert der nun vormalige Kaufhausbesitzer endgültig nach England.
Von dort aus startet er 1943 eine letzte Rettungsaktion in Portugal. Der englische Geheimdienst überlässt ihm 1500 Visa, die er in Lissabon, dem letzten freien Hafen in Europa, persönlich an dort Gestrandete verteilt und vermutlich nochmals 1500 jüdischen Menschen das Leben rettet. Auf dem Rückweg nach London wird sein Flugzeug am 1. Juni 1943 von der Luftwaffe über der Biskaya abgeschossen. Unter den Passagieren der Zivilmaschine ist auch Freund und Mitstreiter Leslie Howard.
"Es gibt bei uns im Judentum diesen Spruch 'Tikkun Olam', wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt. Und ich glaube, der hat die Welt ein paar Mal gerettet."