William Saroyan: "Wo ich herkomme, sind die Leute freundlich"
Aus dem amerikanischen Englisch von Nikolaus Stingl
dtv, München 2017
203 Seiten, 20 Euro
Jenseits der Sonnenseite
William Saroyan schrieb in den 1930er- und 40er-Jahren über die kleinen Leute und ihre Träume. Eine Sammlung seiner Kurzgeschichten lädt dazu ein, diesen fast vergessenen US-Autor wiederzuentdecken.
Vor fast 40 Jahren erschien bei uns der letzte Band mit Geschichten dieses damals bekannten und erfolgreichen, vielfach ausgezeichneten, auch in Deutschland verfilmten Autors.
Heute ist er vergessen und ungelesen. Der Münchner Verlag dtv, der vor kurzem erst John Williams wieder entdeckt hat, beweist mit diesem Band, mit den neuen Übersetzungen von Nikolaus Stingl einmal mehr, dass der literarische Blick zurück in die Literaturgeschichte lohnt.
William Saroyan war Kalifornier, 1908 geboren als Sohn armenischer Einwanderer, 1981 gestorben. Bekannt wurde er in den 1930er-Jahren mit seinen Kurzgeschichten. Er erzählt in einem direkten und zupackenden Stil von Menschen, die nicht auf der Sonnenseite leben, von Mexikanern, Assyrern, Filipinos, vor allem von Armeniern.
"Meine Heimatstadt hatte damals eine große armenische Gemeinde... Im exklusiven Wohnviertel konnte mal als Armenier auch dann kein Haus kaufen, wenn man das nötige Geld hatte."
Autobiografisch geprägte Stories
Viele der Geschichten in diesem Band sind autobiografisch geprägt: Ein junger Autor erzählt von seinem Besuch beim Friseur und seiner Begegnung mit einem traurigen Assyrer, von seinen Versuchen, daraus eine Geschichte zu machen:
"Ich bin nicht darauf aus, den Pulitzer-Preis zu gewinnen. Ich bin hier draußen im fernen Westen, in San Francisco, in einem kleinen Zimmer in der Carl Street, und schreibe einen Brief an gewöhnliche Menschen, in dem ich ihnen in einfacher Sprache Dinge erzähle, die sie schon wissen."
Er stellt ein Wettbüro ins Zentrum, beschreibt ausführlich die verschiedenen Systeme, mit denen die Spieler die Pferde und die Welt begreifen wollen, ihre nie versiegenden Hoffnungen. Es sind eindrucksvolle moralische Geschichten, die ihre Haltung jedoch ohne viel Aufwand oder gar Pathos behaupten.
Fast nebenbei geschehen hier die existentiellen Dramen. Ein 14-jähriger Junge ist der schnellste Telegrammbote der Stadt, sein älterer jüdischer Kollege ist "der schnellste Telegrafist der Welt". Irgendwann sattelt der Mann um, wird reich und fett und dann stirbt er verarmt. Mehr gibt es nicht zu erzählen:
"Es hat überhaupt keinen tieferen Sinn... Ich habe von nichts eine Ahnung, aber es gibt sechs, sieben Dinge auf der Welt, für die habe ich nichts übrig, und auf diese Art zu sterben, ist wie alle sieben zusammen."
Überleben und menschlich bleiben
16 Geschichten, meist Ende der 1930er-, Anfang der 1940er-Jahre geschrieben, in denen es ums Überleben in der amerikanischen Depressionszeit geht. Und um den Glauben an die Menschlichkeit, an den Einzelnen, dem der Autor kleine literarische Denkmäler setzt.
Eindrucksvoll behauptet er seinen Glauben an die Brüderlichkeit – und an die titelgebende Freundlichkeit. Die veranlasst einen aufstrebenden jungen Mann dazu, seine Stellung zu kündigen, weil seine Schnelligkeit den Posten einer alten Kollegin überflüssig macht.
Der Pulitzer-Preis wurde ihm – für ein Theaterstück – später doch verliehen, und einen Oscar als Drehbuchautor bekam er auch, denn Saroyan war schon früh von Columbia Pictures engagiert worden.
Auf dem Klappentext wird die angeblich letzte Pressemeldung von William Saroyan zitiert:
"Jeder muss einmal sterben, aber ich habe immer geglaubt, dass in meinem Fall eine Ausnahme gemacht würde."