Wirtschaft denken (4): Wie werden wir arbeiten?

Unterwegs mit den Fahrern von Deliveroo, Foodora und Co.

30:17 Minuten
Ein Fahrradkurier ist im Auftrag der Firma Deliveroo unterwegs. Deliveroo beliefert Kunden mit Essen aus Restaurants.
Flexibel und prekär: Fahrradkuriere klagen über die schlechten Arbeitsbedingungen bei den Essenslieferanten. © picture alliance/dpa/Gregor Fischer
Von Barbara Eisenmann |
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Dass das Normalarbeitsverhältnis - Vollzeit, sozial abgesichert, unbefristet - nicht mehr zu halten ist, gilt als ausgemacht. Es sind Unternehmen wie Amazon, Google, Facebook, aber auch die Start-ups der Essenslieferdienstbranche, die die Arbeitsformen umkrempeln.
Die klassische lohnabhängige Beschäftigung ist auf dem Rückzug und gerät bei fortschreitender Digitalisierung der Arbeitswelt weiter unter Druck. Das konstatiert auch das Bundesarbeitsministerium in einem Grünbuch zu Arbeit 4.0.
Dort heißt es: "Im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschafts- und Arbeitswelt wird derzeit vielfach ein weiterer Anstieg der Solo-Selbständigkeit prognostiziert, die ohnehin in den letzten Jahrzehnten deutlich angewachsen ist." Und weiter: "Wie können wir in flexiblen Arbeitswelten sicherstellen, dass der Einzelne seine Existenz selbst sichern kann?" Aber auch: "Wie können wir ein neues Normalarbeitsverhältnis gestalten?". Dass das alte Normalarbeitsverhältnis - Vollzeit, sozial abgesichert, unbefristet - nicht mehr zu halten ist, gilt offenbar als ausgemacht.
Es sind Plattformunternehmen wie Amazon, Google, Facebook, aber auch die kleinen Start-ups der Essenslieferdienstbranche wie in Berlin vor allem Foodora oder Deliveroo, die die Digitalisierung des Dienstleistungssektors vorantreiben und Arbeitsformen, Marktstrukturen und Unternehmensstrategien dabei grundlegend umkrempeln.

Arbeitskraft qua Algorithmen

Wie die Transformation von Arbeit aussieht, wird am Beispiel der Fahrer der Essenlieferdienstbranche in den Blick genommen werden. Es geht hier um die digitale Kontrolle und Ausbeutung der Arbeitskraft qua Algorithmen einerseits und die Erzeugung einer prekären, jederzeit abrufbaren Arbeitskraft andererseits, mit der die Plattformunternehmen extrem flexibel auf Marktschwankungen reagieren können, während die Arbeitenden selbst nur wenig flexibel sind.
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Anteil der Beschäftigten, die Tariflohn erhalten © Katapult / Deutschlandradio
Es sieht ganz so aus, als ob die Arbeitsverhältnisse, die in der Plattformökonomie gerade Gestalt annehmen, sich den in der neoklassischen Volkswirtschaftslehre postulierten reinen, idealen Arbeitsmärkten immer mehr annäherten, da Verzerrungen wie Mindestlöhne, Tarifverträge, soziale Absicherung, gewerkschaftliche Interessenvertretung zunehmend umgangen werden.

Das Manuskript zur Sendung:
"Es ist nicht so, dass die Jobs verschwinden, die Frage ist, welche Jobs bleiben übrig, wie werden sie bezahlt und wie viel Stress machen sie."
"Sobald sich in den Händen einiger Personen Kapital gesammelt hat, wird natürlich einer oder der andere unter ihnen sein Kapital dazu verwenden, fleißigen Leuten Arbeit zu geben und sie mit Material und Lebensmitteln zu versorgen, um aus dem Verkauf ihres Arbeitserzeugnisses oder aus dem, was das Material durch ihre Arbeit an Wert gewinnt, Vorteil zu ziehen." (Adam Smith: Der Reichtum der Nationen)
"Ob des jetzt wirklich irgendwie so was ganz Neues ist, ist für mich noch mal so bisschen ne andere Frage, weil, ich finde, es hat auch viele Elemente von Arbeiterinnenformen, die halt eigentlich schon als überwunden galten."
"Der Leibeigne gehört zum Grund und Boden und wirft dem Herrn des Grund und Bodens Früchte ab. Der freie Arbeiter dagegen verkauft sich selbst, und zwar stückweis. Er versteigert 8, 10, 12, 15 Stunden seines Lebens, einen Tag wie den andern, an den Meistbietenden, an den Besitzer der Rohstoffe, der Arbeitsinstrumente und Lebensmittel, d.h. an den Kapitalisten. Der Arbeiter gehört weder einem Eigentümer noch dem Grund und Boden an, aber 8, 10, 12, 15 Stunden seines täglichen Lebens gehören dem, der sie kauft." (Karl Marx: Lohnarbeit und Kapital)
"Ich glaube, das Neue an der aktuellen Digitalisierungswelle, in der wir uns gerade befinden, findet tatsächlich eher im tertiären, also eher im Dienstleistungssektor als im industriellen Bereich statt."
"Wir unterstellen bei unserer Analyse, dass die Arbeitskräfte ohne Einschränkungen in den Arbeitsmarkt eintreten und wieder austreten können und dass auch sie Unternehmen frei in ihrer Entscheidung sind, Arbeitskräfte einzustellen oder zu entlassen. Natürlich gibt es in der Realität eine Reihe von Unvollkommenheiten im Arbeitsmarkt, die wir später in diesem Kapitel noch behandeln werden." (Gregory Mankiw– Grundzüge der Volkswirtschaftslehre)
"Die Digitalisierung fordert von uns ein, dass wir den Begriff des Regelarbeitsverhältnisses überdenken."

Forderung nach besseren Arbeitsbedingungen

Für die großen Ökonomen der klassischen Nationalökonomie im 18./19. Jahrhundert, wie Adam Smith, David Ricardo und selbstverständlich deren Kritiker Karl Marx, war klar, dass nur die Arbeit Wert schafft. Es war Marx, der präzisierte, dass die Arbeitskraft die einzige Ware ist, die mehr Wert schafft, als sie selber wert ist, ihren Käufer also kostet. Und um diesen nicht bezahlten Mehrwert der Arbeit ist in vielen Arbeitskämpfen erbittert gestritten worden. Mit der im späten 19. Jahrhundert entstehenden neoklassischen Volkswirtschaftslehre ist die sogenannten Arbeitswertlehre dann aus dem Blickfeld gerückt. Und mit ihr die Verteilungsfrage, die Frage, wie zwischen Kapital und Arbeit gerecht verteilt werden soll.
Georgia Palmer: "Ich bin jetzt eingeloggt, und hier würde jetzt quasi die Lieferung reinkommen, wenn eine kommt. Im Sommer ist das kein Problem, da kann man sich ja einfach irgendwo hinsetzen, und im Winter hab ich mir eigentlich inzwischen angewöhnt, wenn länger als fünf oder zehn Minuten nix kommt, mich einfach irgendwo in einen Bäcker reinzusetzen oder so, damit es nicht so kalt ist."

In einer Einloggstation in Berlin, Neukölln. Es könnte auch in Turin, London, Hongkong oder sonst irgendeiner Stadt sein, überall, wo sich die Startup-Essenslieferdienste inzwischen ausgebreitet haben. Die Fahrerin radelt los, als ihr die App nach zehn Minuten Warten einen Arbeitsauftrag erteilt hat.
Georgia Palmer: "Also das fängt ja schon an mit diesem Image, was die Startups selber versuchen, von diesem Job herzustellen. Also dass sie immer sagen, Fahrradfahren ist doch irgendwie was Schönes und wir bezahlen euch jetzt auch noch dafür, als wäre das sozusagen irgendwie Sport, für den man Geld bekommt oder ein Hobby, für das man Geld bekommt."
Georgia Palmer, Fahrerin und auch Sprecherin der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU, der Freien Arbeiterinnen und Arbeiter Union, sowie Mitinitiatorin der Deliver Union-Kampagne, einer europaweiten Initiative für bessere Arbeitsbedingungen bei den Startup-Essenslieferdiensten Foodora und Deliveroo.
Georgia Palmer: "Und das geht dann eben weiter mit der Frage, was erkennt das Unternehmen als Arbeitszeit an und was wird in die Freizeit der Arbeiterinnen delegiert. Also ob´s jetzt Schichtplanung ist, ob´s Fahrradreparaturen sind und ob´s die deutlich längeren Erholungszeiten sind, die man braucht bei so einem Job. Also da gibt´s ganz viele verschiedene Aspekte, die also aus Arbeiterinnensicht ganz klar Teil der Arbeit sind, aber eben vom Unternehmen nicht als solche anerkannt und nicht als solche entlohnt werden."
Radfahrer mit pinken und türkisen Liefer-Rucksäcken von Foodora und Deliveroo stehen zusammen an einer Straßenecke.
Lieferdienst-Fahrer von Foodora und Deliveroo protestieren bei einer Fahraddemo in Berlin gegen die Arbeitsbedingungen bei den Lieferdiensten.© imago / Christian Mang

Modernes Tagelöhnertum

Bei Deliveroo sind die meisten Fahrer selbstständig und verdienen pro Lieferung fünf Euro. Bei Foodora haben sie einjährig befristete Minijob- oder Midijobverträge und erhalten einen Stundenlohn von neun Euro; einige wenige haben Vollzeitverträge.
Trotz der befristeten Festanstellungen fällt es allerdings schwer, von regulärer Beschäftigung zu sprechen, denn auch bei Foodora müssen die Fahrer ihre Arbeitsmittel, Rad und Smartphone, selber mitbringen. Außerdem werden die Stunden, in denen das Rad repariert oder die Schichten geplant werden müssen, nicht bezahlt.
Georgia Palmer: "Also es gibt ja immer irgendwie dieses Bild vom Tagelöhnertum, was da auch wieder so ein bisschen aufscheint, also dieses, dass man sozusagen konkurriert um die Aufträge, eben ganz stark bei Deliveroo, aber auch teilweise bei Foodora dann, dass man um die Schichten konkurriert im Frühling, wenn es zu wenige Schichten für zu viele Fahrerinnen gibt."
Dass Arbeit wieder verstärkt dem Markt ausgesetzt ist, hat durchaus mit der herrschenden neoklassischen Volkswirtschaftslehre zu tun, die an den Wirtschaftsfakultäten quasi monopolartig gelehrt wird und sich über Politikempfehlungen neoklassischer Ökonomen dann im Arbeitsalltag niederschlägt. Arbeit hat in der neoklassischen Volkswirtschaftslehre ihre hervorgehobene Position im Wertschöpfungsprozess verloren. Sie ist nicht mehr der Hauptproduktionsfaktor wie noch in der klassischen Ökonomie, sondern nur ein weiterer, neben Kapital, Boden und heute auch Wissen. Wer wie viel von der Wertschöpfung erhält, bestimmt, aus Sicht der Neoklassiker, einzig und allein der Markt. Womit die Verteilungsfrage sich in Luft auflöst. Aus der Sicht der Soziologie schaut man anders auf die Arbeit und ihre geschichtliche Entwicklung.
Philipp Staab: "Wir kommen nach unserem Selbstverständnis aus einer Epoche, die man in den Sozialwissenschaften Fordismus getauft hat, die erstmalig, das war das Neue am Fordismus, geprägt war von einer Kombination von Massenproduktion und Massenkonsumtion. Sie hatten also eine Welt, in der sich sehr einfach gesprochen, Arbeiter die Produkte, die sie herstellten, auch leisten konnten."
Philipp Staab, Soziologe und zurzeit Fellow am Institut für die Geschichte und Zukunft der Arbeit in Berlin.

Felxibilisierung in der digitalen Ökonomie

Philipp Staab: "Erkauft wurde dieser Wohlstandsgewinn, in Deutschland dann etwa in der Nachkriegszeit, u.a. dadurch, dass diese Arbeiter relativ rigiden Herrschaftsmechanismen in der Arbeit unterworfen waren. Man hat immer dasselbe gemacht am Fließband, jeden Tag dieselbe Tätigkeit, körperlich belastend. Dafür ging man am Ende nach einigen Zeiten der Kämpfe um gute Löhne usw. mit einem einkömmlichen Einkommen nach Hause. Im Postfordismus, also dem, was man so landläufig etwa als Dienstleistungsgesellschaft beschreibt, haben wir dann eine Welt erlebt, die stärker von Freiheiten und Autonomie in der Arbeit geprägt war, im Industriellen wie im Dienstleistungssektor, das allerdings zunehmend, ab den 1980er-Jahren, um den Preis von Lohnstagnation in den hochentwickelten Ländern.
Der digitale Kapitalismus heute, wie wir ihn in Ansätzen in Leitunternehmen der digitalen Ökonomie sehen, etwa bei Google, Facebook, Amazon, Apple und ähnlichen Unternehmen, ist möglicherweise eine neue Epoche, die sich dadurch auszeichnet, dass man zwar die Freiheiten, die darin bestehen, dass Arbeitnehmer nicht mehr so stark an Betriebe gekoppelt sind, dass sie vielleicht als freie Mitarbeiter in den Peripherien eher von großen Unternehmen tätig sind, auf einmal koppeln kann an die Rückkehr von relativ rigiden Kontrollmechanismen. Etwa wenn Sie an die Amazon Picker denken über diese smartphoneartigen Handscanner. Denken Sie an die Fahrradkuriere etwa von Unternehmen wie Foodora oder Deliveroo, über die Apps, die Softwareprogramme, die sie auf ihren Geräten, auf ihren Handys mitführen."
Georgia Palmer: "Das funktioniert so, dass wir uns immer in einem bestimmten Gebiet in der Stadt, je nachdem für welchen Bezirk wir eingetragen sind, befinden müssen, um uns einloggen zu können. Das überprüft die App, indem sie unser GPS-Signal trackt. Und wenn es dann einen Auftrag gibt für uns, nachdem wir uns eingeloggt haben, dann piepst es eben, und dann kriegen wir den ersten Auftrag. Dann kriegen wir gesagt, wo wir hin müssen, und wenn wir dann da gesagt haben, dass wir das Essen abgeholt haben, dann kriegen wir die Adresse von den Kundinnen."

Philipp Staab: "Da haben Sie auf einmal die Möglichkeit Bewegung, also Bewegung durch den Raum, direkt nachverfolgbar zu machen. Sie können Bewegungsprofile erstellen, Sie können Wege direkt vorgeben, lauter Dinge, die Sie für klassische Dienstleistungsjobs im Postfordismus gar nicht konnten. D.h. was Sie da eigentlich haben, Sie haben so was wie die Rückkehr vom Fließband, das jetzt halt in der Hosentasche mit herumgetragen wird. Das ist Steuerung der Arbeit zum Zwecke der Profitmaximierung."
Georgia Palmer: "Genau. Es ist eben so, dass die App während der gesamten Schicht, also während wir rumgeschickt werden, immer aufzeichnet, wie schnell wir sind. Die App weiß dann z.B. auch, wie viele Aufträge in der Stunde wir abgeschlossen haben. Sie weiß, wann wir uns zu spät eingeloggt haben, auch wenn´s nur zwei Minuten sind. Sie weiß, wenn wir öfter mal Aufträge nicht sofort annehmen, sondern bisschen dafür brauchen. Alle diese Sachen werden eben aufgezeichnet und daraus werden dann so Statistiken erstellt. Und die werden dann wiederum mit den Statistiken anderer Fahrerinnen verglichen und zu so einer Art Ranking sortiert. Und bei Foodora ist es eben so, dass anhand dieses Rankings sich entscheidet, wer einen Bonus bekommt. Also die besten 15 Prozent der Fahrerinnen bekommen nur einen Bonus. D.h. man weiß jetzt nicht so genau, was man für Vorgaben erfüllen muss. Man weiß eigentlich nur, dass man eben konstant überwacht wird und dass man irgendwie theoretisch, wenn man diesen einen Euro mehr pro Stunde möchte, dann sich Mühe geben muss, irgendwie besser zu sein als seine Kolleginnen."
Eine Fahrerin von Foodora steht in Berlin im Bezirk Mitte an ihrem Fahrrad.
Die Arbeitsmittel wie Fahrrad oder Kleidung müssen die Fahrerinnen und Fahrer selbst stellen.© picture alliance / Wolfram Steinberg

Totale Kontrolle per App

Das Ranking schlägt sich also auf die Bezahlung nieder. Bonus-gekoppelt bei Foodora, während bei Deliveroo Fahrer mit schlechten Statistiken erst später als andere Zugriff auf das Schichtplanungssystem erhalten. Was wiederum schlechte Schichten mit wenig Bestellungen bedeutet und entsprechend weniger Aufträge und Verdienst.
Georgia Palmer: "Genau. Und ob das jetzt auch so ist, dass auf Grundlage von diesen Statistiken dann auch entschieden wird, ob der Vertrag verlängert wird z.B. oder nicht, das wissen wir eben nicht, weil wir keine Einsicht darin haben. Aber es liegt jetzt aus meiner Sicht nicht besonders fern, das zu vermuten, dass das dann natürlich auch für solche Überlegungen zur Grundlage genommen wird.
Philipp Staab: "Die Frage der Intransparenz und deswegen auch Herrschaftsförmigkeit von Algorithmen ist eine absolut entscheidende für das digitale Zeitalter, die sozusagen an ganz verschiedenen Stellen in der digitalen Ökonomie und auch jenseits dessen permanent aufploppt."
Es ist ebenfalls ein Algorithmus, der die Schichten nach den Bedürfnissen der Unternehmen, d.h. der jeweils antizipierten Marktlage Woche für Woche plant und dann an die Fahrer vergibt. Für die Kuriere heißt das, dass sie keine Kontrolle über das Arbeitsvolumen haben. Wenn sie also nicht genügend Arbeitsstunden zugeteilt bekommen oder die zugeteilten Schichten zeitlich ungünstig liegen, haben sie die Möglichkeit, über WhatsApp-Gruppen, zeitaufwändig und unbezahlt, mit Kollegen Schichten zu tauschen.
In der Forschung wird von "algorithmischem Management" gesprochen, denn Algorithmen machen die Steuerung, Kontrolle und Disziplinierung von räumlich dezentralen Arbeitsabläufen möglich.
Phillipp Staab: "Wir haben es mit einer Rückkehr von technischer Kontrolle zu tun, etwas, das ich auch als digitalen Taylorismus bezeichne. Ich glaube, das Neue an der aktuellen Digitalisierungswelle, in der wir uns gerade befinden, findet tatsächlich eher im tertiären, also eher im Dienstleistungssektor, als im industriellen Bereich statt. Nicht, weil im Industriesektor nichts passiert, da passiert ne ganze Menge, also das Stichwort Industrie 4.0 steht da ja symptomatisch für.
Aber Sie knüpfen im industriellen Sektor an an Rationalisierungs- und Technisierungstraditionen, die sind fast schon 100 Jahre alt. Während Sie im Dienstleistungssektor, das war auch die große Hoffnung, die immer mit dem Ausbau der Dienstleistungsgesellschaft verbunden war, einen Sektor haben, der in großen Teilen, man nennt das in der Soziologie, rationalisierungsresistent sein sollte. Da sollten technische Maßnahmen grade nicht zu Einsparung und zur strengeren Kontrolle von Arbeit eingesetzt werden können, weil die Leute die ganze Zeit Interaktionen erbringen, interaktive Dienstleistungen in der Pflege oder im Einzelhandel und ähnliches. Da sehen Sie heute den Zugriff von digitalen technischen Möglichkeiten; das ist sozusagen historisch auch wirklich neu.

Flexibilität heißt Flexibilität für die Unternehmen

Gerade ist Amazon in Berlin mit dem Lieferdienst Amazon Flex in Erscheinung getreten. Wer ein Auto hat, kann für Amazon Pakete ausfahren.
"Seien Sie Ihr eigener Chef und arbeiten Sie nach Ihrem Zeitplan, um mehr Zeit zu haben, Ihre Ziele und Träume zu verwirklichen. Werden Sie Amazon-Flex-Lieferpartner und nutzen Sie die geballte Power von Amazon".
Amazon-Fahrer können sich bei Amazon auch ein kleines Gerät bestellen, eine Art Halter für Smartphones mit zwei Gumminoppen, die ununterbrochen auf das Handy tippen. Wobei die eine Noppe die App refresht, während die andere die hereinkommenden Arbeitsaufträge sichert, um die anonyme Fahrer konkurrieren.

Georgia Palmer: "Was man nicht so vergessen sollte, hinter all diesen neuen Begrifflichkeiten von gig economy und eben diesen Argumentationen, dass es irgendwie so toll wäre, das man einfach auf dem Rückweg von der Arbeit eben noch mal schnell so ein Paket ausliefern kann usw., diese ganzen Narrative kennen wir ja alle zur Genüge, ist eben, dass es letztlich natürlich einfach darum geht, die Kosten des Unternehmens so weit wie möglich zu drücken und die Profite so weit wie möglich zu maximieren.
Ein Paketbote übergibt zwei Amazon-Pakete.
Auf dem Weg nach Hause kurz noch Pakete ausliefern - so stellt sich Amazon den Lieferdienst vor.© imago/STPP
Und natürlich auch, dass diese Flexibilität eine Flexibilität der Unternehmen ist. Also dass sie eben eine möglichst anonyme, breite Masse an jederzeit verfügbaren Arbeiterinnen haben, die sie sich leisten können, weil sie für diese Bereitschaft nichts bezahlen. Das ist genau das Gleiche bei diesen click workern, das ist genau das Gleiche bei Uber, bei Amazon jetzt mit diesem spezifischen Modell und bei Deliveroo und Foodora letztlich in gewisser Weise auch. Und es ist mir wichtig, das immer noch mal dazu zu sagen, weil diese neuen Begriffe das teilweise so ein bisschen überdecken. Das klingt immer so nach neu und nach Innovation und nach schöne neue Arbeitswelt."
Es sieht ganz danach aus, als ob der neue Arbeitsmarkt der Plattformökonomie der Idealvorstellung der Neoklassiker ziemlich nahe käme. In der Volkswirtschaftslehre wird der Arbeitsmarkt konzipiert als Markt, auf dem sich Anbieter von Arbeitskraft und Nachfrager derselben treffen, wodurch sich für die Arbeit ein bestimmter Preis ergibt. Ein Preis, der alle Arbeitskräfte vom Markt nimmt. Es gibt keine Arbeitslosigkeit mehr. Und dieser Preismechanismus nun soll, so die Neoklassiker, nicht durch Eingriffe von außen gestört werden. Beispielsweise dadurch, dass der Staat einen Mindestlohn festsetzt oder Gewerkschaften mit Unternehmen einen Tariflohn aushandeln. Derartige Regelungen ziehen eine den Markt verzerrende Lohnuntergrenze ein, unter die der Lohn dann nicht mehr fallen kann. Das, so die Neoklassiker, stört den Preisbildungsmechanismus am Arbeitsmarkt, der idealtypischerweise frei von Regulierungen ist.

Der Sieg der Neoklassiker

Stefan Kaufmann: "Das kann allerdings dazu führen, darauf wies der US-Nobelpreisträger Joseph Stieglitz neulich hin, dass der Preis für die Arbeit unter das fällt, was man zum Leben braucht."
Stephan Kaufmann, Wirtschaftspublizist.
Wo der Markt allein über den Preis für Arbeit entscheidet, spielt die Frage, ob sich eine Existenz damit sichern lässt, keine Rolle.
Fahrer: "Hast du auch nichts zu tun grade?" – "Ja, leider heute gibt's nicht viel Arbeit. D.h. ich werde nicht viel verdienen können."
Auf einer Bank sitzen Georgia Palmer, die für Foodora arbeitet, und ein Fahrerkollege von Deliveroo.
Fahrer: "Ich bin jetzt selbstständig geworden, ich war früher angestellt, das war, na ja, unterschiedlich, war auch nicht besser, aber jetzt die ganzen Stress und Druck ist auf mir." – "Ja – ich muss mich selbst darum kümmern, die richtige Schicht auszuwählen. Leider habe ich wirklich keine Möglichkeit, das zu kontrollieren, wenn es keine Bestellungen gibt, dann muss ich eigentlich hier warten – ich habe keinen Einfluss darauf. Die Deliveroo einerseits will uns alle selbstständig haben, heißt, sie würden gerne keine Kosten haben, sie bezahlen keine Versicherungskosten für uns und wir müssen uns alles versichern, wir müssen uns selbst kümmern um alle Geräte, Handy, Fahrräder, Rucksack usw., das ist alles gekauft, das ich jetzt habe. Aber andererseits sollten wir eigentlich ganz freie sein auszuwählen, wenn wir arbeiten wollen - das ist leider aber nicht so, weil die Deliveroo versucht, uns zu disziplinieren und deswegen gibt es so Schuldpunkte. Wenn man sich verspätet oder wenn man nicht zu seiner Schicht kommt, dann kriegt man keine gute Schicht, heißt, man wird nicht viel Geld verdienen können.
Also ist voll absurd, ist so beides gleichzeitig, die Nachteile vom Angestelltsein und die Nachteile vom Selbstständigsein – ja, das ist Scheinselbstständigkeit. Das ist ein bisschen wie das, was Foodora auch macht. Okay wir haben nicht das Risiko, wenn es wenig Bestellungen gibt, jedenfalls nicht so direkt wie bei euch, aber wir haben das halt auch, weil sie dann z. B. weniger Schichtplätze aufmachen und dann müssen wir uns quasi um die Schichten streiten mit anderen Fahrerinnen, und wenn wir dann, weil es einfach grade zufällig weniger Bestellungen gibt, was ja eigentlich so das Risiko von denen wäre, wie bei Deliveroo ja auch, dann haben wir halt das Problem, weil wir irgendwie nicht genug Schichten bekommen und dann nicht genug Geld kriegen."

Arbeitsmarktreformen und Deregulierung

Seit den 80er-Jahren des 20. Jahrhunderts werden die Arbeitsmärkte kontinuierlich reformiert, zu Ungunsten der Arbeitenden; hierzulande zuletzt maßgeblich unter Rot-Grün mit der Agenda 2010. Ergebnis der rot-grünen Arbeitsmarktpolitik war einerseits der Rückgang regulärer Normalarbeitsverhältnisse, andererseits die Zunahme unsicherer Arbeitsverhältnisse und die Ausdehnung des Niedriglohnsektors.
Die Politik hat die Globalisierung für die Agenda 2010 verantwortlich gemacht. Auf ähnliche Weise werden heute Digitalisierung und Automatisierung von Arbeit als Sachzwang deklariert, der weitere Arbeitsmarktreformen verlangt.
Stefan Kaufmann: "Der Diskurs über Globalisierung und Digitalisierung ähnelt sich tatsächlich, alldieweil bei beiden Begriffen unscharf ist, was sie bezeichnen. Sie haben aber einen starken Bedeutungsraum, sie produzieren einen Sound, eine Notwendigkeit, eine Forderung an uns alle. Ob das zu einer neuen Deregulierungswelle führt, ist noch nicht ganz klar. Klar ist schon, dass die Deregulierung der vergangenen Jahrzehnte offensichtlich nicht zurückgerollt wird, und eventuell wird es auch zu einer weiteren Deregulierung kommen. Um eine reine Deregulierung hat es sich allerdings weder bei der Agenda 2010 in Deutschland noch bei den Arbeitsmarktreformen in Südeuropa gehandelt, vielmehr handelt es sich um eine Reregulierung der Arbeitsmärkte.
Es ist ja gar nicht so, dass sich der Staat aus den Arbeitsbeziehungen herausgezogen hätte, sondern der Staat hat Gesetze geschaffen, mit denen die Arbeitnehmerseite geschwächt worden ist. Die Unternehmen fordern, um die Digitalisierung umzusetzen, einen flexibleren Umgang mit der Arbeitskraft. Und die Politik stellt sich dem prinzipiell offen gegenüber. Ausgedrückt wird das von der Politik, vom Bundesarbeitsministerium mit der Forderung nach einem neuen Normalarbeitsverhältnis, eine neue Normalität der Arbeitsbeziehungen soll eingeführt werden, wo die Flexibilität nicht mehr nur an den Rändern des Arbeitsmarktes stattfindet, sondern tatsächlich im Zentrum des Arbeitsmarktes."
Dass die klassische lohnabhängige Beschäftigung durch die Digitalisierung weiter unter Druck geraten wird, konstatiert das Bundesarbeitsministerium in einem Grünbuch zu Arbeiten 4.0. Dort heißt es:
"Im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung der Wirtschafts- und Arbeitswelt wird derzeit vielfach ein weiterer Anstieg der Solo-Selbständigkeit prognostiziert, die ohnehin in den letzten Jahrzehnten deutlich angewachsen ist."
Und weiter:
"Wie können wir in flexiblen Arbeitswelten sicherstellen, dass der Einzelne seine Existenz selbst sichern kann?"
Aber auch:
"Wie können wir ein neues Normalarbeitsverhältnis gestalten?"
Steffen Kampeter: "Die Digitalisierung fordert von uns ein, dass wir den Begriff des Regelarbeitsverhältnisses überdenken."
Steffen Kampeter, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände.

Das Normalarbeitsverhältnis ist Geschichte

Steffen Kampeter: "Früher war's so, man schnappte sich seinen Blaumann und seine Mittagspause, marschierte in den Betrieb, nine to five oder Frühschicht oder Spätschicht, weil die technologischen Möglichkeiten es vorgegeben haben. Heute ist die Situation eine völlig andere, sowohl bei Wissensarbeitern, aber auch in Industrie und Fertigung gibt es durch die Technologie völlig neue Formen von Produktion und Dienstleistung, die an dieses Schema nicht mehr gebunden sind. Darauf reagieren die Unternehmen so, dass sie flexibler werden, und die Arbeitnehmerinnen und -nehmer durchlaufen einen Kulturwandel, sie sehen überall mehr Flexibilität. Und deswegen, glaube ich, Arbeitszeit, wie wir sie im vergangenen Jahrhundert organisiert haben, muss sich grundlegend auch vom rechtlichen Rahmen unterscheiden, wie wir Arbeitszeit im Zeitalter der Digitalisierung im 21. Jahrhundert organisieren."
Dass das alte Normalarbeitsverhältnis nicht mehr zu halten ist, gilt offenbar als ausgemacht.
Stefan Kaufmann: "Und konsequenterweise schreibt das Arbeitsministerium, den Begriff ‚atypische Beschäftigung‘ nur noch in Anführungszeichen, weil das, was früher atypisch war, soll ja das neue Typisch sein oder werden. Insofern ist schon damit zu rechnen, dass die Deregulierung weitergeht. Oder zumindest die bereits weiträumig vorhandenen Möglichkeiten der Flexibilität, dass die ausgenutzt werden."
Steffen Kampeter: "Der Begriff 'atypische Beschäftigung', den finde ich ein bisschen altbacken, weil er davon ausgeht, es gibt 'ne typische Beschäftigung. Ich glaube, die typische Beschäftigung des 20. Jahrhunderts wird nicht mehr typisch im 21. Jahrhundert sein, sondern wir werden vielfältige Formen von Beschäftigung haben: abhängige Beschäftigung, selbstständige Beschäftigung. Und dieser romantische Rückblick auf das 20. Jahrhundert ist doch nur eine pseudointellektuelle Begründung für mehr Regulierung. Wir sollten im Gegenteil schauen, in welchem Rahmen wir diese Vielfalt von Beschäftigung ermöglichen, wir sollten keine Schranken für Selbstständigkeit machen, wir sollten sozial abgesicherte Formen von flexiblen, sozialversicherungspflichtigen angestellten Beschäftigungen machen, aber wir sollten nicht so tun, als ob das Gestern das Leitbild für das Morgen in der Digitalisierung ist. Das ist linke Sozialromantik, das ist nicht die neue Form von verantworteter sozialer Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts."
Stefan Kaufmann: "Die Unternehmen und die Politik haben also ein offensives Programm, sie haben offensive Ziele. Die Arbeitnehmerseite sieht sich als Betroffener der Digitalisierung, ist tatsächlich auch eher Betroffener der Digitalisierung, und die Gewerkschaften müssen jetzt irgendwie sehen, wie sie mit den neuen Anforderungen, die von Politik und Unternehmen an sie gestellt werden, wie sie damit umgehen, und das ist im Wesentlichen ein Abwehrkampf."
Georgia Palmer und ihr Kollege sitzen immer noch draußen.
Fahrer: "Und wir hier warten in die Kälte, bis etwas auf uns von den Algorithmus fließt, aber wir leider haben gar kein Auswirkung auf den Algorithmus. Diese Flexibilität bedeutet leider nicht, den freien Auswahl von Zeit ... Also diese Flexibilität ist auch wirklich Scheinflexibilität. Für mich bedeutet diese Flexibilität eigentlich, dass ich die Kosten meiner Arbeit bezahle – und ich weiß nie, ob ich etwas Geld nach Hause bringen kann nach einer ganzen Schicht. Wenn Leute von Flexibilität reden, dann ist das für mich Unsicherheit von Bezahlung, von Lohn – ja ich mein, letztlich sieht man ja ganz gut, dass es eigentlich nur um die Flexibilität der Unternehmen dabei geht, also uns als Arbeitsmasse möglichst flexibel einteilen zu können und überhaupt nicht um Flexibilität der Lohnabhängigen."

Arbeitskraft, die jederzeit abrufbar ist

Was hier entsteht, ist eine prekäre, jederzeit abrufbare Arbeitskraft, mit der die Plattformunternehmen extrem flexibel auf Marktschwankungen reagieren können. Der Arbeitsforscher Staab spricht auch von "Kontingenzarbeitskraft".
Philipp Staab: "Mit Kontingenzarbeitskraft meinen wir Tätigkeiten, die aus den Sicherungsnetzen, die wir im Fordismus und im Postfordismus noch für Arbeit hatten, praktisch vollständig gelöst sind. Weil sie nicht Mitglieder von Betrieben sind, von Betriebsbelegschaften, keinen Zugriff zu betrieblichem Arbeitsrecht haben, nicht integriert sind in die betrieblich vermittelten Sozialversicherungen, kein Zugang zu betrieblicher Mitbestimmung etwa über Betriebsräte haben usw. Ich glaube, man kann das auf die Fahrradkuriere relativ gut sozusagen applizieren. Die Sicherheits- und Sicherungsmechanismen, die den Leuten in den klassischen Arbeitsgesellschaften ne gewisse Berechenbarkeit ihrer Lebenswege, ihres Alltags usw. ermöglicht haben, die sind für diese Leute eben gerade nicht gegeben, deren Leben wird dadurch im wahrsten Sinne kontingent."
Die Europäische Kommission hat kürzlich eine Gesetzesinitiative auf den Weg gebracht, die es geringfügig Beschäftigten, Beschäftigten mit sehr kurzen Arbeitsverträgen, aber explizit auch Beschäftigten, die über Onlineplattformen wie Deliveroo oder Uber arbeiten, erleichtern soll, ihre Rechte wahrzunehmen.
Steffen Kampeter: "Ich bin sehr zurückhaltend, dass Europa jetzt die Selbstständigkeit stärker regulieren soll. Selbstständige sind deswegen selbstständig, weil sie weniger reguliert arbeiten wollen als Angestellte. Und wenn Europa jetzt versucht, diesen Unterschied zwischen freiberuflich tätigen Wissensarbeitern und sozialversicherungspflichtig abhängig Beschäftigten zu verwischen, dann ist das ein großes Stoppschild für flexible Formen von Beschäftigung, und das behindert auch die Digitalisierung."
Fahrer: "Willst du vielleicht reinkommen?" – "Ja, lass uns mal reinsetzen, wenn wir noch länger warten müssen."
Die beiden Fahrer setzen sich jetzt doch in ein Café, denn es ist nachts draußen zu kalt zum Warten. Georgia Palmers Kollege hat außerdem das Problem, dass sein Fahrrad eine kaputte Speiche hat, und er nicht weiß, ob er die Schicht überhaupt gut hinter sich bringen kann.
Fahrer: "Ich hab eine Bestellung bekommen – leider oder doch nicht leider, heute bin ich zufrieden damit, Potsdamer Straße. Jetzt kann ich natürlich entscheiden, ob ich das nehmen will oder nicht, aber ich will es nehmen – du musst es annehmen. Und dann werde ich losfahren, danke." – "Hoffentlich klappt des mit deinem Fahrrad." – "Ja, ich hoffe, ich werde aufpassen." – "Ja, pass mal auf. Gute Schicht, viele Bestellungen!" – "Wünsch mir eine sichere Schicht." – "Das auch!" – "Ciao." – "Ciao."

Die Verteilungsfrage kehrt zurück

In der neoklassischen Volkswirtschaftslehre geht man gemeinhin von Idealsituationen reiner Märkte aus. Die Arbeitsmärkte beispielsweise werden nicht von Mindest- oder Tariflöhnen verzerrt. Mit der sukzessiven Deregulierung der Arbeitsmärkte hat sich die Realität der neoklassischen Idealsituation ungestörter Arbeitsmärkte jedoch immer mehr angenähert, und es sind dabei immer mehr ungesicherte Arbeitsverhältnisse entstanden. Mit ihnen ist allerdings auch die Frage der gerechten Verteilung zwischen Arbeit und Kapital wieder zurückgekehrt.
Fahrerproteste: "Okay now you hear a second speech from Aline who has been a rider for three years – not already - nearly three years at Foodora, quite an exception. – Hallo, the second speech will be on German, because my English is not that fine, but if you have questions you can ask nearby, I think there are a lot of people who can translate this. Okay ich denke einige von euch Fahrern könnten ihr Fahrrad komplett hier auf diesen Haufen drauf werfen, so sehr, wie es runtergefahren ist nach einiger Zeit."
Georgia Palmer: "Es steht oft so die Frage im Raum, ist das überhaupt irgendwie gewerkschaftlich organisierbar, und da schwingt immer so bisschen mit, was können denn die Gewerkschaften machen, um das zu organisieren. Und ja dem entgegen finde ich es eigentlich total interessant, dass gerade die Fahrerinnen jetzt in allen Ländern, soweit ich das mitgekriegt hab, fast überall angefangen haben, sich selbstständig zu organisieren, also ohne dass irgendeine Gewerkschaft jetzt zu ihnen hingekommen wäre und gesagt hätte, wir machen das jetzt so und so, haben sich einfach spontan autonome, selbstorganisierte Gruppen von Fahrerinnen gebildet, die selber gesagt haben, trotz dieser Vereinzelung, trotz dieser Prekarietät, trotz der Tatsache, dass viele natürlich auch sagen, ich will den Job nicht für immer machen, wir wollen uns so nicht behandeln lassen und wir schließen uns jetzt zusammen und gucken, wie wir was dagegen unternehmen können."
Aline: "Ich selbst fahre bei Foodora jetzt drei Jahre, in Berlin bin ich damit die Fahrerin, die am längsten dabei ist. Mein Fahrrad ist komplett von Anfang an mit dabei gewesen, und mittlerweile könnte ich es fast so auf diesen Haufen drauf schmeißen. Einige Reparaturen sind längst überfällig, aber ich kann sie mir nicht leisten, weil ich mit diesem Job nicht genug verdiene. Foodora riskiert dadurch nicht nur unsere Sicherheit und unsere Gesundheit, sondern im schlimmsten Fall sogar unser Leben. Deswegen: Wir fordern volle Übernahme unserer Reparaturen, wir fordern das, bevor wir weitere Fahrten mit unseren kaputten Rädern abfahren müssen, wir fordern das, bevor es zu Unfällen kommt, wir fordern es nicht erst, wenn es zu spät ist, nicht erst wenn´s irgendwelche Verletzten oder Schlimmeres gibt. Wir fordern es jetzt."
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