Wolf Lotter: "Innovation"
Streitschrift für barrierefreies Denken.
Edition Körber, Hamburg
220 Seiten, 18 Euro
Alte können mehr ausrichten als der jugendliche Held
Essayist Wolf Lotter schafft es, die Ökonomie philosophisch, soziologisch und kulturell zu beleuchten - ganz ohne Kalkulationstabellen. Ín seinem neuen Buch attackiert er den Innovationsbegriff in der Wirtschaft.
An typischen Streitschrift-Formulierung fehlt es bei Wolf Lotter nicht: "Alternativlos heißt in Wahrheit innovationsunfähig", schreibt der Autor. Oder: "Die Bürokratie ist der Atommüll der modernen Organisation. Man wird ihn nur sehr schwer los, und selbst dann ist das Zeug immer noch lange gefährlich."
Im Gespräch bekräftigt er die Innovationsunfähigkeit vieler Unternehmen: "Sie reden über Erneuerungen, verhindern sie aber systemisch." Immer noch vollziehe sich Fortschritt im Austausch von Personen, während überkommene Strukturen unangetastet blieben.
Das entspräche einem Klischee: "Wir haben so ein abendländisches Bild vom jungen Helden, der den alten erschlägt, und halten kritiklos daran fest." In der neuen, wissensbasierten Ökonomie sei dies aber völlig verkehrt. So fordert der Text: "Es wird Zeit, dass der Generationendiskurs mit seiner Pubertät fertig wird. Die Wissensgesellschaft braucht Erwachsene, ganz gleich, wie alt sie sind."
Innovativ auch noch mit 55
Selbst Lotters eigenes Alter von 55 Jahren mache ihn keineswegs innovationsunfähig. Im Gegenteil: "Alte können mit Erfahrung und Knowhow in der Wissensgesellschaft sogar noch mehr ausrichten, als der jugendliche Held, der nur dreinschlagen kann und behauptet, dass das, was er hat, besser ist als das, was da ist."
Dazu benötige man freilich eine gemeinsame Innovationskultur, die allzu oft blockiert wird: "Fast alle Organisationen spielen Alt und Jung gegeneinander aus." Ein martialisches Bild vom technischen Fortschritt begünstige dies: "Von der Dampfmaschine bis Digitalisierung heißt es immer 'Friss oder stirb'. Das dahinterliegende Modell würde man in der Politik einen Putsch nennen."
Zukunftsfeindliche Utopien
Wenn aber die Suche nach besseren Lösungen, ja nach Weltverbesserung, der Sinn aller Innovation sei, brauche man eine neue Kooperationskultur, die sich allerdings vom alten Team-Gedanken abwenden müsse: "Es ist nicht das Team, das uns in Zukunft Sicherheit gibt, sondern Personen, die wissen, was sie können und was sie tun", sagt Wolf Lotter.
Sie bildeten dann das Rückgrat einer starken Zivilgesellschaft. Die alten Wir-Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts lehnt der Autor dagegen ab. Sie hätten mit Kooperation nichts zu tun, sondern verlangten nur Unterordnung und Mitläufertum.
Ebenso sei utopisches Denken und die Propagierung von "Visionen" ein Irrweg. Damit verlängere man nur gegenwärtige Wünsche in die Zukunft und versuche dann, sie gewaltsam durchzusetzen. Innovation sei dagegen ergebnisoffen: "Utopien sind gefährlicher Unsinn, auch wenn er immer wieder aus dem Sumpf der Geschichte gezogen wird."