"Jamaika-Aus"
Das Wort des Jahres ist ein echtes Bedeutungswunderwerk, findet Arno Orzessek. Allerdings bedauert er, dass das Wort nicht aufzeigt, wer für das traurige "Jamaika-Aus" die Verantwortung trägt.
Das Land der Dichter und Denker ist in Wahrheit nicht weniger das Land der Auto- und Maschinenbauer, oder kurz: der Ingenieure. Das sieht man auch daran, wie genial wir selbst aus völlig disparaten Teilen unsere wunderbaren Substantiv-Komposita zu kleinen Ingenieurs-Kunstwerken zusammenschrauben.
Ein neues Bedeutungswunderwerk
Vor der Bundestagswahl, da war die Verbindung von "Jamaika" und "Aus" zwar sprachlogisch ohne weiteres möglich, aber schlicht nicht existent, vergleichbar dem Bindewort "Merkel-Vision" oder "VW-Ehrlichkeit". Was hat schon der Staatsname "Jamaika", selbst wenn man ihn zur teutonisch ausgesprochenen Mehrparteien-Metapher "Jamaika" promoviert, mit dem apokalyptisch gefärbten Hauptwort "Aus" zu tun, das in unserer Sprache die letzte semantische Haltestelle vor dem blanken "Nichts" markiert?
Zugegeben, damit sich "Jamaika" und "Aus" zu einem weiteren Bedeutungswunderwerk Made in Germany fügten, bedurfte es einer grellen Nummer der Selbstvermarktungs-Plattform Christian Lindner alias FDP... Schifft der sich mit breiter Brust auf die besagte Passage nach Jamaika ein, um beim Ausruf "Land in Sicht" den ganzen Dampfer zu versenken.
Zur Erinnerung: Dieses freidemokratische Ego-Spielchen mit dem Staatswohl wurde "lindnern" genannt – ein Tu-Wort, das Tat und Täter allemal klarer benennt als das abstrakt-traurige "Jamaika-Aus"..
Platz 2 und 3 gehen an "Ehe für alle" und #MeToo
Und damit zwei Auswahl-Kriterien der Gesellschaft für deutsche Sprache, nämlich "Signifikanz" und "sprachliche Qualität", überzeugender erfüllt als die zweitplatzierte "Ehe für alle" – die dem Wort-Sinn zuwider weder Kinder noch Tiere noch Künstliche Intelligenzen eingehen können.
Aber sei's drum. Die besagte Gesellschaft setzt ja auch den im Deutschen nicht restlos muttersprachlich-vaterländischen Ausdruck "#MeToo" auf Platz 3 – und begründet es mit gesellschaftlicher Relevanz.
Und da ist etwas dran. Mit "#MeToo" endet endgültig die Epoche, in der "sexuelle Belästigung" in zotige Nähe zum "Kavaliersdelikt" gerückt werden konnte. Deutsche Wortingenieurskunst hin oder her: Das Kompositum "Kavaliersdelikt-Belästigung" wird's wohl nie zum Wort des Jahres bringen. Besser steht es um die Chancen "MeToo-Überdruss".