Zeitschrift für Geschichtswissenschaften

Die DDR gestützt - und doch überlebt

Die Ehrentribüne auf der Karl-Marx-Allee während der Militärparade am 7. Oktober 1989 in Ost-Berlin mit dem sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow (2.v.l.), dem DDR-Staatsratsvorsitzenden und SED-Generalsekretär Erich Honecker (3.v.l.), Raissa Gorbatschowa (hinter Honecker), die Gattin des sowjetischen Präsidenten und Willi Stoph (3.v.r.), Ministerpräsident der DDR.
Historisches Ereignis auch für die ZfG: der sowjetische Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow zu Gast in Berlin (7. Oktober 1989) © picture alliance/dpa/adn
Von Winfried Dolderer |
Die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (ZfG) war das Flaggschiff der historischen Forschung in der DDR. Was in der ZfG stand, entsprach dem Geschichtsbild der SED, bis die fest gefügten Weltbilder einstürzten. Wie positioniert sich das Medium heute?
In heutiger Terminologie würde man den irischen Wandermönch Columban den Jüngeren wohl einen Integrationsverweigerer nennen. Und umgekehrt dem Merowingerkönig Theuderich II. bescheinigen, dass sein Standpunkt sich von dem eines modernen Multikulti-Verächters nicht wesentlich unterschied. Columban, der Mönch und Migrant aus dem fernen Irland, gegen Theuderich, den einheimischen Herrscher im fränkischen Reich. Theuderich hielt es für das Beste, "dass derjenige, der von den Sitten des ganzen Landes abweicht, wieder dorthin zurückkehrt, woher er gekommen ist".
Am Ende musste Columban das Frankenreich verlassen, um nach einigen Irrfahrten in Norditalien eine neue Bleibe zu finden. Die Episode ist im aktuellen Heft der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft nachzulesen. Tillmann Lohse behandelt darin die Frage, wie sich Columban, der im Jahr 590 mit zwölf Gefährten die irische Insel verließ und im heutigen Ostfrankreich drei Klöster gründete, als Migrant im Spannungsfeld zwischen Heimat und Heimatlosigkeit einrichtete.
Zum Konflikt mit der Mehrheitsgesellschaft kam es, weil die irischen Zuwanderer an ihrem angestammten Osterritus festhielten und das Osterfest eine Woche früher feierten als die fränkischen Christen. Zunächst verlangte Columban, diese müssten den irischen Ritus übernehmen. Später bat er nur noch darum, sich mit seinen Gefährten in einer – so der Autor - "rituellen Parallelgesellschaft" einrichten zu dürfen.
Zitat: "Denn es steht fest, dass wir in unserer Heimat sind, solange wir keine Regeln dieser Franken übernehmen, sondern in der Einöde sitzend, niemandem lästig, bei den Regeln unserer Vorfahren bleiben."
Integrationsanforderungen der Mehrheitsgesellschaft auf der einen, das Beharren von Migranten auf hergebrachter kultureller Identität auf der anderen Seite: Wir finden hier im Spiegel einer sehr fernen Vergangenheit einen sehr gegenwärtigen Konflikt.
Exemplarisches Gestalten und musterhaften Themen
Um solche Spiegelungen geht es in diesem Heft, das der historischen Migrationsforschung gewidmet ist. Einer jungen Disziplin, die sich nach den Worten von Mitherausgeber Michael Borgolte mit "exemplarischen Gestalten und musterhaften Themen der Geschichte" befasst:
"Exemplarisch für die Ambiguität menschlicher Lebenslagen stehen die Migranten, die ... ihre vertraute Umgebung aufgeben... Tatsächlich sind Migranten keineswegs nur Opfer, wie häufig suggeriert wird... Es ist kein Zynismus, wenn man feststellt, dass Aufgabe oder Verlust der angestammten Lebenswelt auch neue Freiheiten ... eröffnen können."
Neben dem Beitrag Lohses stehen zwei weitere Fallstudien, die ebenfalls im ersten nachchristlichen Jahrtausend angesiedelt sind. Annette Schmiedchen behandelt die oftmals über hunderte bis tausende Kilometer führenden Wanderungsbewegungen von Angehörigen der brahmanischen Priester- und Gelehrtenkaste im alten Indien. Unter dem Titel "Muslime im christlichen Asyl" thematisiert Jenny Rahel Oesterle eine Episode aus der Frühgeschichte des Islam, als die Anhänger Mohammeds in Mekka eine bedrängte Minderheit waren und einige auf Weisung des Propheten eine Zeitlang Zuflucht im christlichen Königreich Axum im heutigen Äthiopien suchten.
Hat eine parlamentarische Monarchie bessere Chancen?
Die Zeitschrift für Geschichtswissenschaft löst mit diesem Heft den Anspruch ein, neben Themen der deutschen und neuesten Geschichte auch weiter entfernte Regionen und zurückliegende Epochen im Blick zu behalten. Ein Migrantenschicksal hat sie zudem in gewissem Sinne selber, den Umzug aus dem Osten in den Westen Berlins, der dem Wechsel der politischen Systeme folgte. Gegründet 1953 als stramm linientreues Zentralorgan der DDR-Historiographie, hat sie die DDR doch überlebt. Seit 1994 erscheint sie monatlich im Berliner Metropolverlag.
Das aktuelle Heft bietet neben dem Migrationsschwerpunkt auch eine Historikerkontroverse – zu der Frage, ob nach 1918 eine parlamentarisch erneuerte Monarchie bessere Überlebenschancen gehabt hätte als die Weimarer Republik. Der Bremer Historiker Lothar Machtan, Autor einer Biographie des letzten kaiserlichen Kanzlers Max von Baden, ist dieser Meinung:
"Solch ein Werdegang der politischen Ordnung erscheint mir sogar nachgerade als Königsweg zur sicheren Begründung einer souveränen Reichsregierung."
Kontrahent ist Peter Brandt, der energisch widerspricht.
"Ein wesentlicher Aspekt der mangelnden Legitimität der Weimarer Republik ... war ... die Identifikation des neuen Regimes mit dem Versailler Frieden. Eine ... parlamentarische Monarchie hätte sicherlich einen ähnlich harten Friedensvertrag akzeptieren müssen... Anzunehmen, die Weiterexistenz der ... Monarchie hätte die innenpolitische Polarisierung ... in Grenzen gehalten, scheint mir unrealistisch."
Auch in Italien habe die Monarchie den Aufstieg des Faschismus nicht verhindert, argumentiert Brandt.
Mehr zum Thema