Großmeister des Krautrock
Er war Bassist der einflussreichen deutschen Krautrockband CAN, spielte mit Musikern wie Brian Eno, komponierte Soundtracks und war ein Wegbereiter des Samplings: Holger Czukay. Jetzt ist der musikalische Anarchist im Alter von 79 Jahren gestorben.
Gesa Ufer: Er war ein Großmeister des Krautrock: Mit seiner Gruppe CAN nahm Holger Czukay das Sampling vorweg und beeinflusste Musiker wie Davie Bowie und Brian Eno. Heute Vormittag wurde bekannt, dass Czukay nur zwei Monate nach dem Tod seiner Frau tot aufgefunden wurde in seiner Wohnung, einem ehemaligen Kino in der Nähe von Köln, die gleichzeitig sein Studio war. Er wurde 79 Jahre alt. Mein Kollege Ralf Bei der Kellen ist Czukay-Kenner und -Fan und jetzt bei mir im Studio und doch deutlich geknickt. Hallo Ralf!
Ralf Bei der Kellen: Ja, ich bin extrem traurig, denn mit Holger Czukay ist ein Mann von uns gegangen, der war einmalig! Das kann man nicht anders sagen.
Gesa Ufer: Was macht für Dich den legendären Ruf dieses Musikers aus?
Ausbildung bei Stockhausen
Ralf Bei der Kellen: Erstmal, dass er eigentlich kein richtiger Musiker war. Zumindest er selbst hat sich immer als Versager dargestellt. Als Bass-Schüler in den frühen 1960er-Jahren hat ihm sein Lehrer schon gesagt: Das wird nichts.
Er erzählte immer gerne die Geschichte, dass er nach Köln ging, um bei Karlheinz Stockhausen zu studieren. Und dem hätte er gesagt: Herr Stockhausen, ich bin an allen Konservatorien und Hochschulen durch sämtliche Aufnahmeprüfungen gefallen. Worauf Stockhausen gesagt haben soll: Schöne Geschichte, ich nehme Sie!
Und Stockhausen war in mehr als einer Hinsicht für ihn prägend – Czukay erzählte immer wieder die Geschichte, wie er bei einer Uraufführung von Stockhausen anwesend war, wo es im Anschluss an die Aufführung eine Frage- und Antwort-Runde gab. Und da hätte ein Journalist Stockhausen vorgeworfen, er wolle doch mit seiner Musik nur einen Eklat provozieren, um aus diese dann Kapital zu schlagen. Worauf Stockhausen gesagt haben soll: Nee, es ginge ihm schon um die Musik – und Kapital zu schlagen, das habe er gar nicht nötig, er habe schließlich eine reiche Frau geheiratet.
Daraufhin beschloss der noch junge Holger, als Musiklehrer an ein Elitegymnasium in die Schweiz zu gehen, um sich dort eine reiche Erbin zu angeln und denselben Weg zu gehen wie Stockhausen. Gefunden hat er dort dann allerdings den späteren CAN-Gitarristen Michael Karoli…
Gesa Ufer: Czukay war Beides: Stockhausen-Schüler mit einer profunden musikalischen Vorbildung, und gleichzeitig auch ein musikalischer Anarchist und Dilettant …
Frankenstein als musikalisches Vorbild
Ralf Bei der Kellen: Genau, aber als solcher war er einfach absolut genial! Es gibt Lieder von CAN, wo er fast den ganzen Song über nur eine einzige Note spielt. Und mehr braucht‘s dann auch nicht – zumal, wenn man solche Musiker wie Jaki Liebezeit oder Michael Karoli neben sich hat. Wenn er auf seinen Soloplatten selbst Gitarre spielte, stellte er die Bandmaschine auf halbe Geschwindigkeit und spielte, wie er selbst sagte, "langsam, aber schön"!
Ich hab ihn mal nach seinem größten musikalischen Vorbild gefragt, worauf er wie aus der Pistole geschossen antwortete: "Frankenstein"! Das traf vor allem für die Zeit nach CAN zu, wo er sich ja immer stärker des Samplings bediente und oft aus Zufallsfunden aus der globalen musikalischen Mülltonne einen akustischen Klumpen Gold machte.
Später entwickelte er auch ein eigenes Instrument, das "Dictaphone". Dafür hat er einfach ein Stück Tonband genommen und quer durch den Raum gespannt. Dann hat er einen kleinen Kassettenrekorder genommen, den Tonkopf ausgebaut und ist dann mit diesem Tonkopf über das Band gegangen, was dann so einen seltsamen Singsang ergab. Die Journalistin Gabriele Meyerding hat ihn mal dazu befragt und meinte in ihrem Interview, dass das doch ziemlich eierig klingen würde. Darauf Czukay:
"Freu dich doch! Was ist daran schlecht, wenn es eierig klingt? Du musst nur wissen, was du aufnimmst, damit das, was dann eierig klingt, auch gut klingt!"
In England waren CAN Stars
Gesa Ufer: Der englische Wikipedia-Eintrag zu Holger Czukay ist doppelt so lang wie der deutsche. Warum hat sich gerade die englischsprachige Welt so auf diesen Musiker gestürzt? Wofür steht Czukay dort?
Ralf Bei der Kellen: Ich glaube, da geht’s vor allem um CAN, die in England ja echte Stars waren. Das hängt nicht zuletzt mit dem Journalisten Ian McDonald zusammen, der ja wahrscheinlich Urheber des Begriffes "Krautrock" ist. Die Presse hob da total auf dieses deutsche Ding ab. Und von den deutschen Bands waren CAN einfach die besten.
Radiomoderator Alan Bangs hat mal gesagt, wo er auch hinkäme, überall würden die Leute ihn fragen, wie es Jaki Liebezeit ginge. Das waren einfach gute, innovative Musiker. Da ist Czukay erstmal mitgeschwommen.
Und später hatten die Briten einfach die besseren Antennen für seine Skurrilität. Und skurril war der Mann ja definitiv.
Ufer: Jeder, der ihn mal erlebt hat, schwärmt von Czukays Witz, von seiner im besten Sinne abgedrehten Art – Er muss auch im wirklichen Leben ein echter Freigeist gewesen sein.
Ein echter Freigeist
Ralf Bei der Kellen: Er ließ sich nicht festnageln. Man wusste im Interview auch nie, was jetzt der Wahrheit entspricht, und was er sich in dieser Sekunde gerade ausdenkt. Der konnte die ernsthaftesten Dinge so erzählen, das man gedacht hat: Jetzt ist die Phantasie aber mit ihm durchgegangen.
Und andere Dinge waren vollkommener Blödsinn, aber er erzählte die mit einer Art heiligem Ernst, dass man ihm das abnahm.
Meine Lieblingsgeschichte ist die, dass er mal in einer Nachtsendung mit dem britischen Moderator Alan Bangs saß, und der sagte, er hätte auf dem Lied "Rome Remains Rome" vom gleichnamigen Album die Stimme des Papstes als Sample benutzt. Worauf Czukay gleich erwiderte, dass er den Papst doch nicht benutzen würde, sondern feiern, zelebrieren.
Dann machte er eine kurze Pause und sagte: Benutzen würde er den Papst nur, wenn er sein Auto über den TÜV bringen wollte… Woraufhin Alan Bangs den Fehler beging und nachfragte.
Und Czukay erzählte, wie er eines Tages mit seinem VW Käfer Baujahr 1954 zum TÜV fuhr und der TÜV-Prüfer sagte: "Nein, also Ihr Auto ist nicht mehr verkehrssicher". Darauf, so Czukay, hätte er nicht lange mit dem Mann diskutiert, sondern wäre sofort zum nächsten Rathaus gegangen und hätte dort seinen Austritt aus der katholischen Kirche erklärt. Dort musste er natürlich auch einen Grund angeben. Und da hat er in den Fragebogen geschrieben: Weil mein Auto nicht mehr über den Tüv gekommen ist.
Mit diesem Ding ist er dann wieder zum Tüv gegangen, hat dem Prüfer das gezeigt, der hat nur Chinesisch verstanden und hat ihm dann – sicher ist sicher! – die Plakette für die nächsten zwei Jahre gegeben.
Und zum Schluss sagte er dann: "You see, Alan, the right decision at the right time makes everybody happy and content!!" Also: Du siehst, die richtige Entscheidung im richtigen Moment macht alle glücklich und zufrieden!"
"Das Ausland erkannte, dass das ernsthafte Kunst war"
Gesa Ufer: Einer, mit dem Holger Czukay lange Jahre Musik gemacht hat, war der Bassist Jah Wobble, der zunächst noch Bassit bei PIL war, der Band von John Llydon nach den "Sex Pistols". Mit ihm haben wir vorhin noch telefoniert, und er hat Folgendes zur Rolle Czukays im englischsprachigen Raum gesagt:
Jah Wobble: "In Deutschland wurden Can aufgefasst als seltsamer deutscher Versuch, Rock ´n‘ Roll zu machen. Und der konnte natürlich niemals so gut sein wie der echte aus Amerika. Aber es war mehr, viel mehr als das. Das deutsche Publikum konnte das nicht erkennen, und wir hier dachten: Warte mal, diese Band spielt 20 Minuten lange improvisierte Tracks wie 'Halleluwah', mit diesem powerhouse-mäßigen Schlagzeuger und diesen Texturen. Das sind Leute, die offensichtlich nicht nur irgendeinen Krach machen, sondern die Musique Concrète, Minimal und Messiaen verstanden haben. Das westliche Ausland, vor allem in Großbritannien, konnte erkennen, dass das ernsthafte Kunst war. Sie erkannten das Reduktionistische, Ironische – die Intelligenz."