Zuschlagen und Zugucken
"Schauen Sie sich das Gesicht dieses jungen Mannes genau an!" Jessi Heinen steht auf einer kleinen Bühne, das Mikrofon in der Hand: "Wenn der hier wieder rauskommt, sieht das ganz anders aus!" Das Publikum gröhlt. Und zahlt.
Business as usual in Deutschlands einziger Kirmes-Box-Bude. Jeden Abend wird hier zugelangt. Runde um Runde. Jeder, der es sich zutraut, darf antreten. Wer einen von Heinens Männer innerhalb von zwei Runden auf die Bretter schickt, streicht 500 Euro ein. Doch das geschieht so gut wie nie.
Heines Uropa hat die Boxbude gegründet, heute tourt der Urenkel mit seinen acht Kämpfern über die Volksfeste. Ein Blick hinter die Kulissen der letzten Boxbude Deutschlands.
Die Boxerhymne "Eye of the tiger" dröhnt aus den Lautsprechern über den Rummelplatz. Jesse Heinen steht breitbeinig auf der Bühne, zwischen zwei rot-schwarzen Sandsäcken, mustert durch die Sonnenbrille das Publikum. "Live Boxen-Live" glitzern große silberne Buchstaben über dem Fahrgeschäft.
Rechts dreht der Zirkusflieger seine Gondeln, links gehen Ponys gemächlich im Kreis der Reitbahn. Es riecht nach Bratwurst und gerösteten Mandeln. Kleinfamilien, junge Paare, Enkel mit ihren Großeltern schlendern an der Boxbude vorbei. Jesse Heinen schüttelt den Kopf:
"Uninteressant. Scheiße. ... Leute bleiben stehen, aber das reicht mir nicht, ich brauch ja Leute, die mitboxen. Und hier boxt keiner von. Das ist meistens so das Klientel, das ich brauch, so die Jungs, die hierherkommen. Die schlafen jetzt, glaube ich, alle noch."
Jesse Heinen geht drei Schritte nach links. Zur Uhr, über der "Nächster Kampf" steht, schiebt den großen Zeiger 30 Minuten nach vorne. Auf 17 Uhr 30.
"Ich mach das schon von Kleinauf, als kleiner Spund hier rumgerannt und die Seile hier festgeknotet und die Ringseile hier mit festgemacht. Und immer mit dabei. Ich habe zehn Jahre geboxt hier bei uns. Da hatte ich natürlich noch eine andere Gewichtsklasse. 65 Kilo. Jetzt habe ich 85. Viele umgehauen."
Der 33-Jährige schüttelt den Kopf, steigt die sechs Stufen von der Bühne hinunter, geht nach links, am Boxzelt vorbei, zu den Wohnwagen.
"Wir haben hier Schlafwagen dabei, sprich Wohnwagen, 1,2,3,4 Wohnwagen, dabei dann hier der Aufenthaltsraum für die Leute, der Raum, wo die ein bisschen trainieren können, der Raum wo die Leute verarztet werden können..."
Breitbeinig fläzt sich Heinen in einen blau-weißen Liegestuhl, schiebt die Sonnenbrille auf die Stirn. Der Wohnwagen der Oma steht hinten links, vorne der 414-PS-LKW, der die Boxbude schleppt, dann noch die 200-PS-Zugmaschine für seinen US-Wohnwagen.
"Wir kommen da eigentlich aus so einer Boxbudenfamilie. Und wir haben selber alle geboxt. Ich, mein Vatter, mein Bruder, mein Onkel, meine Schwestern nicht, das wollten wir nicht. Und heute bin ich hier dran, heute tu ich das Geschäft hier weiterführen."
Als Boss am Ring. Seit acht Jahren managt der 33-Jährige die Boxbude, leitet ein Familienunternehmen
"Erst einmal Familie Heinen, ich habe drei Kinder, zwei Jungs, Zwillinge, die sind sieben, das Mädchen ist neun, dann Mutter, Oma, Schwester, das ganze Programm, Familienbetrieb halt."
Im großen Boxzelt parken Maggy Heinen und Freundin Ginger ihre pinkfarbenen Puppenwagen. Ginger klettert in den Ring, turnt an den Seilen. Maggy tänzelt vor einem schweren braunen Boxsack. Schlägt links, rechts, links. Träge schwingt der Sack hin und her. Er ist ein gutes Stück größer als die Neunjährige. Und bestimmt doppelt so schwer…
Maggy: "Normalerweise hat man so Bandagen um, tut manchmal ein bisschen weh, aber nur manchmal."
Ginger: "Tut das weh?"
Maggy macht einen Ausfallschritt nach links. Der Pferdeschwanz wippt, die Totenkopfohrringe wackeln. Noch eine Kombination, diesmal rechts, links.
Maggy: "… oder so rum. Aua, tut weh."
Maggy reibt sich die roten Fäuste. Ihre Freundin Ginger grinst. Seit drei Wochen kennen sie sich. Die Elfjährige vom "Landhaus Imbiss" und die Neunjährige von der Boxbude. In der Schule sitzen sie nebeneinander. So lange hier Volksfest ist. Danach ziehen sie weiter. In unterschiedliche Richtungen. Jetzt aber sind erstmal die Hausaufgaben dran. Maggy geht zum Puppenwagen.
"In Sachunterricht sollen wir lernen mit Kindern umzugehen, und dann hatten wir halt die Puppen von meiner Freundin der kleinen Schwester ... und dann müssen wir die jetzt rumschieben und abends in so ein Bett tun und so ... und das schreiben wir dann auf, wie ein Tagebuch soll das sein, mit meinem Kind bin ich in den Park gegangen und so, und dafür kriegen wir dann Noten"."
Für das Boxenbuden-Rummelplatz-Tagebuch...
Draußen, vor der Boxbude, fachsimpeln zwei junge Männer. Vorgestern standen sie auch schon hier, erzählen sie, gestern auch:
Thomas und Jörg: ""Das ist ja die Gondel da oben, da hat der Chef selbst dran geboxt und dann sind die Leute da am Sandsack ein bisschen aufgewärmt, noch so, ein bisschen Angst haben wir schon, aber wird schon, muss schon."
Grell leuchten die Farben der Boxbuden-Deko-Malerei. Bikinischönheiten überlebensgroß neben dunkelhäutigen Muskelmännern. Ein grinsender Uncle Sam. Promoter-Legende Don King. Hübsche Frauen, harte Kerle.
Thomas: "Ich habe zwei Monate Thai-Boxen, ein Jahr Kickboxen-Erfahrung"."
Jörg: ""Sieben Runden, ne ich denke mal drei, das hängt davon ab, wie schnell der andere k.o. ist"."
Thomas, der kleinere mit heller Nylonjacke, die Schirmmütze auf dem Kopf, ballt die Fäuste, macht einen Ausfallschritt. Schwankt ein bisschen. Heute wollen sie antreten, das haben sie sich versprochen. Sein Freund Jörg grinst. Beide sind Anfang 20, haben schon zwei Bier intus. Als Vorbereitung auf den Kampftag. Zehn Euro haben sie jetzt noch in der Tasche. Das reicht noch nicht mal für den Eintritt. Doch wer zum Kampf antritt, ist umsonst dabei. Und die Siegprämie können sie gut gebrauchen,
""Leichtgewicht 100 Euro, Mittelgewicht 150 Euro, Schwergewicht, ne, Moment, ich glaube die haben mehr Gewichtsklassen, 60-70 100 Euro, 70 bis 80 200 Euro und Schwergewicht 350 Euro, irgendwie sowas, gibt mir mal Feuer"."
Thomas zündet sich eine Zigarette an. Nichts bewegt sich auf der Bühne. Kein Mensch ist zu sehen, die Sandsäcke baumeln träge von der Deckenkonstruktion. Eine leere Plastiktüte weht über die Metallstufen. Die Zeiger unter dem Schild "Nächster Kampf" stehen mittlerweile auf sechs Uhr.
Seite an Seite schieben Maggy und Ginger ihre Puppenwagen über den Rummelplatz. Unterhalten sich kurz mit der Frau vom Mäuseroulette, holen sich beim Bäcker eine Butterbrezel. Fragen ihn, ob seine Tochter noch Windpocken hat
""Auf der Reise hat man ganz viele Freundinnen, und wenn man sich dann mal wieder trifft ist das so cool"."
Fast jeden Nachmittag nach der Schule ziehen sie gemeinsam über den Rummel.
""Wir kennen hier schon alles auswendig. Wenn man Schausteller ist, dann kann man alle Dinge umsonst nutzen. Dann muss man sich halt vorstellen, ich bin von Jesse Heine von 'live boxen live', und dann kann man umsonst rein."
Maggy winkt kurz nach links. Da ist der "Rotor", ihr Lieblingsgeschäft. Dann kommt die "Wilde Maus", die "Niagara-Fälle", dann die Geisterbahn.
Maggy guckt auf die Uhr. Es ist 20 nach sechs. Jetzt müssen sie zurück. Zur Boxbude...
Um 18.30 Uhr betritt Jesse Heinen wieder die Bühne. Trägt jetzt ein rot-weiß-gestreiftes Hemd und eine schwarze Stoffhose. Herren- statt Turnschuhe. Durch die Sonnenbrille mustert der 33-Jährige die Rummelplatzbesucher, die sich in kleinen Gruppen zwischen den Ständen hindurch schieben. Die Mischung gefällt ihm immer noch nicht. Heinen schiebt den großen Zeiger noch eine halbe Stunde vor. Geht nach hinten ins Zelt. Holt sich ein Mineralwasser .Setzt sich neben den Boxring
"Ich bin ja zwei, drei Monate im Winter unterwegs, um neue Leute zu suchen. Meistens fahre ich nach Osteuropa, das sind harte Jungs, die haben nicht viel, sage ich jetzt mal. Das ist ja auch für die Jungs jetzt hier ne Erfahrung. Und vor allem bekommen die von uns ja auch ein Supertrainingsprogramm. Also die werden hier richtig gedrillt bei uns."
Training, Kampf, Kost und Logis. Dafür steigen die Boxer Abend für Abend in den Ring. Ein erweitertes Training - wenn man Jesse Heinen glauben darf. Für alles andere braucht er Extra-Genehmigungen. Publikums-Boxer gegen gut ausgebildete Amateure. Die sind fit genug, damit sie niemand auf die Bretter schickt. Und Heinen keine K.o-Prämie zahlen muss. Diszipliniert genug, damit das Publikum auf seine Kosten kommt.
"Wir könnten sicherlich in de ersten Runde Leute niederstrecken, das machen wir aber nicht, weil 'the show must go on' und die Leute sollen eine gute Show geboten kriegen, aber ne gute Schau ist nicht unbedingt, die Leute zusammenzuschlagen..."
Heinen nimmt noch einen Schluck Mineralwasser aus der Flasche. 400 Zuschauer passen in das Zelt, sagt er. Dann kocht hier die Stimmung. Und die Kasse stimmt auch. Für den letzten Familienbetrieb im Boxgeschäft
"Eine Generation vor mir haben das alle betrieben, wo heute jetzt Großväter sind. Die haben gesagt, ich tue mir den Stress nicht mehr an. Und deren Söhne haben andere Geschäfte, Karussells und so weiter... normalerweise wäre ja von meiner Mutter der Bruder dran gewesen … der müsste ja eigentlich diese Bude weiterführen. Der hat früher auch geboxt und da hat er gesagt, er hat dafür keinen Bock. Den ganzen Tag rumärgern mit den Idioten, die hier rumkommen."
Heinen blickt auf die Uhr. Steht auf. Streckt sich. Zeit sich mit den Idioten rumzuärgern. Stimmung zu machen. Wie jeden Abend...
"'Hier komm, geh Karussell fahren, geh weg hier, wir hauen Dir die Fresse dick', das ist aber auch genau das was die Leute hören wollen. Auch ein gutes Beispiel. Blaue Augen, blutige Nasen, das gibt es immer, das ist Standard."
Aus den Boxen dröhnt wieder die Boxer-Ballade "Eye of the Tiger". Mit federndem Schritt betritt Jessi Heinen die Bühne:
"So meine Damen und Herren, in wenigen Minuten geht es ab hier: Boxbegeisterte Fans, kommen Sie alle zum wandernden Fightclub, hier in wenigen Augenblicken wird zugeschlagen, hier in wenigen Augenblicken kann man teilnehmen am Boxen. Natürlich auf eigene Gefahr, auf eigenes Risiko."
Heinen steht breitbeinig auf der Bühne. Wiegt den Oberkörper langsam hin und her. Taxiert das Publikum. Scannt die, die stehenbleiben nach potentiellen Gegnern.
"Da stehen irgendwelche Jungs da vorne vor und schmeißen sich in die Brust, was weiß ich so Bodybuildertypen, 63-er Oberarm, sind ja ganz schöne Kleiderschränke. Die stehen dann da unten zwischen den Leuten und die ragen dann da ja raus. Und wenn ich die dann entsprechend anspreche, die fallen mir ja auf. Oder so ne krumme Nase, die fällt mir auch auf. Und dann sage ich: 'Ey, willst nicht mal mitmachen?' Da sagt das Publikum, da kriegen die auf die Fresse. Guck Dir den Typ an, das ist ja ein Unvieh. Ich weiß vorher schon, dass der nicht gewinnen kann, der kann sich nämlich gar nicht bewegen."
"Noch Gegner da? Was ist mit Dir Langer, sollen wir Dir mal ein paar auf's Maul hauen? Blackman mach mit, gegen den Leichten, hau den um. Kannst Party machen mit der Kohle"."
Der dunkelhäutige Hüne in der zweiten Reihe winkt ab. Gut 100 Leute drängen sich vor der Boxbude. Langsam betreten jetzt Heinnes Boxer die Bühne, dehnen sich, bandagieren in aller Ruhe die Hände
""In wenigen Augenblicken starte ich, in wenigen Augenblicken lasse ich Gegner zu. Aber bitte nur Gegner. Und keine Opfer. Jungs, die zuschlagen können, austeilen, einstecken, die sind n der richtigen Adresse, alle anderen sollen Kinderkarussell fahren gehen. 18 Jahre muss man sein, man sollte Erfahrung mitbringen, wenn nicht, gibt es blaue Augen, blutige Nasen."
Rummelplatzbesucher gaffen. Recken die Hälse. Gut 150 Leute hängen an Heinens Lippen, beobachten die Boxer bei ihren Aufwärmübungen. Thomas und Jörg stehen schwankend in der zweiten Reihe. Ihre letzten zehn Euro haben sie für Bier umgesetzt. Thomas drängt nach vorne:
"Was ist mit Dir? Du hast mich doch eben gefragt, ob du teilnehmen dürftest? Du fällst ja schon um, wenn du hier hochkommst. Nen paar Bier getrunken? Dann geh mal wieder runter, das geht gar nicht."
Schwankend tritt Thomas den Rückzug an. Seine Freunde johlen. Auf der Bühne schnürt ein Boxer die braunen Handschuhe. Ein anderer streift die Pratzen über. Ein knallrotes Kunststoff-Schlagkissen
"So, wir zeigen jetzt mal ein paar Jibs, ein paar Schläge, dass Sie sehen können, was für einen Stil wir boxen (…) Action: klack, klack, klack, gerade mal 19 Jahre jung, ein Supertalent, hat einen Superpunch. Hat schon einige Leute niedergestreckt, die sich hier angemeldet haben."
Jib auf Jib donnert der Boxer in die Pratzen. Schnelle Kombinationen. Die Schläge klatschen. Von einer Bühnenseite zur anderen.
"Power, tack, tack, tack, genau , reicht, stopp. (Applaus)"
Nach einer halben Stunde hat Heinen fünf Gegner zusammen. Helfer schnüren ihnen auf der Bühne die Handschuhe.
An der Kasse / Einlass:
"Kannst Du klein machen? Weiß ich Junge. Wie lange dauern die Kämpfe, so eine Stunde zusammen? Ja, ungefähr. Wieviel? Dreimal, zweimal, zwei Zehner, Kasse..."
Das Publikum drängt zur Kasse. Dort steht Heinens Mutter, elegant, mit dunklem Schal, verkauft die Tickets. Sechs Euro kostet der Eintritt pro Person:
Im Zelt, hoch über dem Ring, hängt ein großer Flachbildschirm. Auf dem flimmern Box-Szenen. Langsam füllt sich das Zelt. Maggy sortiert mit ihren Freundinnen die Flaschen hinter der kleinen Bar...
"Das hier ist Mia Steinbauer, meine Freundin von 'happy family', wo wir eben waren. Das ist Luisa Ahrent."
Und ihre Freundin Ginger kommt gleich auch noch zur Verstärkung.
Maggy / Kunden / Freundin: "Bitteschön, ich hätte gern zwei Bier bitte. Wenn Du rechnen kannst."
Maggy reicht zwei Bierflaschen über die Theke, ihre Freundin kassiert fünf Euro. Gut 80 Zuschauer stehen um den Ring. Es ist noch viel Platz. Draußen auf der Bühne macht Jessi Heinen weiter Stimmung. Drinnen erklärt Maggy ihren Freundinnen die Ringregeln.
"Da kommt gleich ein Mann da rein. Und unserer Mann da. Und dann boxen die beiden gegeneinander. Und ein anderer stoppt die Zeit. Und dann sagen die: Erste Runde, zweite Runde. Und wir haben leider keinen Gong, so wie wir es gewohnt sind, aber dafür haben wir einen Mann, der immer redet dann. Und mein Papa steht da vorne mit dem Mikrofon und sagt immer 'Hau rein' und so.... ja"
Ein Mittfünfziger, ganz in schwarzer Lederkluft, die schulterlangen schwarzen Haare streng nach hinten gekämmt, bestellt zwei Bier. Für sich und seine Freundin. Mustert fachmännisch den Ring:
"Ich war damals Kickbox-Meister bei Sandokan, in der zweiten Runde habe ich ihn weggemacht, da gab es 350 Mark. Und da habe ich einen auf Szene gemacht, so auf Rocky Balboa, mein Bruder und so, alles, was da um den Ring war, die waren so stolz"."
Gut 15 Jahre ist das her. Unzählige Male hat seine Frau die Geschichten seitdem gehört. Von der einmalige Atmosphäre, vom Kick im Ring, dem Adrenalinstoß.
""Ich habe meiner Frau gesagt, wir wollen mal ein bisschen was gucken, bisschen live. Normaler Boxkampf da bist du 350 Euro los und das ist auch nichts anderes."
Draußen auf der Bühne präsentieren sich die Heinen-Boxer immer noch dem Publikum, drinnen machen sich die Herausforderer warm. Ein Hüne mit kurzgeschorenen Haaren in Sweatshirt und Jeans schlägt locker auf einen Sandsack ein. Unterhält sich nebenbei mit einem zweiten Herausforderer. Auf Polnisch. Kritisch beäugt der alte Kickboxer die beiden Aspiranten:
"ob es getürkt ist oder ich ... ich weiß nicht, ob es gestellt ist. Der mit der Mütze oder der, ich schätze mal, die füttern die Leute ein bisschen an, ist vielleicht von fünf einer dabei, er nen normaler Passant ist"."
Animateure gehören zur Szene, seit es Schaukampfattraktionen gibt, sagt er. Sie sollen das Publikum anlocken, Mitkämpfer motivieren. Die Stimmung anheizen.
Vor der rechten Ringecke tänzelt sich Herausforderer Sascha warm. Ein blonder Schlaks, 32 Jahre alte, schütteres blondes Haar bis auf die Schulter, dürre, lange Arme, an deren Ende die großen braunen Boxhandschuhe wie Fremdkörper wirken.
Sascha: ""Ab 85 Kilo aufwärts... ich habe hier hin und wieder mal trainiert, einfach so just for fun, weil es gute Laue macht."
Sascha tänzelt. Schlägt die Boxhandschuhe immer wieder gegeneinander. Den Namen seines Gegners hat er vergessen, sagt er.
"Ich weiß es nicht, das werden wir sehen, ich hoffe mal kein Brecheisen."
Auf der anderen Ringseite steht der Gegner: Kampfname: Sebastian aus Hannover. Er hat Saschas Aufwärmübungen gesehen, unterhält sich entspannt mit seinen Teamkollegen.
Der Ringrichter mit der Stoppuhr um den Hals geht in Position. Jessi Heinen schließt die schweren Vorhänge. Sascha klettert in den Ring, auf der anderen Seite sein Herausforderer:
Sascha: "Ich wollte mal Boxer werden... das war mein Jugendtraum... irgendwann geht es ja mal aufwärts. Jeder fängt mal klein an."
Beginn Runde eins: Sascha stürmt tänzelnd nach vorne, schlägt eine Gerade. Locker weicht Sebastian aus.
"Hau ihn um Sascha, Sascha, in die Schnauze, auf die Fresse Mann"."
Ein Freund feuert Sascha an, das Publikum johlt. Saschas Geraden werden immer krummer, kommen immer mehr von der Seite. Wie eine Windmühle bewegt er die Arme. Sebastians Haken kommen immer öfter ans Ziel…
Schiedsrichter / Heinen: ""Ende der ersten Runde, lass sie erst einmal Luft holen."
Pause nach einer Minute. Sascha klammert sich in seiner Ecke an die Seile. Die blonden Haare hängen strähnig nass über die Schläfen, ein Schweißfleck breitet sich auf seinem roten T-Shirt aus…
In der zweiten Runde bricht Saschas Deckung vollends zusammen. Sebastian treibt ihn durch den Ring. Landet einen Treffer nach dem anderen. Mit gebremster Schlagkraft…
Sascha kassiert den zweiten Kopftreffer. Ihm geht die Luft aus. Er bringt die Fäuste kaum noch auf Brusthöhe. Jesse Heinen greift zum Mikrofon.
Heinen: "Abbruch, das wird nichts. Ein Applaus em Sportsmann"."
Raus aus dem Ring, ran an die Theke. Sascha gibt die Boxhandschuhe ab, bestellt sich ein Mineralwasser. Sein Freund klopft ihm auf die Schulter. Saschas Unterlippe blutet.
Sascha: ""Geht, ... ja die sind fix, weil sie ständig trainieren. Ausdauer ist sehr sehr wichtig beim Boxen, ne, und wenn man die Kondition nicht hat, ist der Trainierte natürlich weitaus besser."
Hinter seinem Rücken läuft der zweite Kampf. Patrick aus Leverkusen lässt nichts anbrennen. Gelassen beobachtet Jesse Heinen den Kampf....
Heinen: "Wenn wir dann sehen, dass die Leute boxen können, eine Chance haben zu siegen, dann ist mir die Zeit egal. Dann boxen wir zwölf Mal drei Minuten. Bloß die Leute überschätzen sich auch oft. 'Ja komm, ich kämpfe gleich zwölf Runden.' Und ich sage, mach erst mal zwei, wenn Du die überstehst, kannst Du auch zwölf boxen. Oder sechs oder fünf oder Amateurzeit vier Mal zwei Minuten."
In den vier ersten Kämpfen ist nach zwei Runden Schluss. Nach 45 Minuten steigt der letzte Herausforderer in den Ring. Mario aus Stuttgart. Der dunkelhaarige 1,90-Meter-Mann greift in die Hosentasche, holt ein Mundschutz heraus, schiebt ihn zwischen die Zähne. Wartet entspannt in seiner Ringecke:
Heinen: "Der hat einen Mundschutz drin."
Zweite Runde.
Heinen: "Sehr präsent. Hau ihn. Komm, komm, komm jetzt. Aufpassen. (Applaus)"
Mario sieht man die Box-Erfahrung an. Er treibt seinen Gegner. Blockt die Schläge. Bringt einen Treffer nach dem anderen an. Thomas aus Neuss steckt ein, wankt, doch er fällt nicht.
Zwei Runden à eine Minute sind zu kurz für Mario. Keine Chance auf ein K.o. Am Ende steht ein klarer Punktsieg für den Stuttgarter Herausforderer. Das gibt einen kräftigen Applaus, aber keine Prämie.
Das Publikum verlässt das Boxzelt. Jesse Heinen schaltet das Headset aus. Geht nach vorne. Auf die Bühne. Blickt auf die blinkenden Fahrgeschäfte:
"Der mit dem kurzarmigen T-Shirt, der konnte Boxen. Und der aus Stuttgart und der mit der krummen Nase. Die anderen waren Straßenschläger, ne."
Heinens Bilanz der ersten Runde: 170 Zuschauer, kein Kampf verloren. Der 33-Jährige streicht sich über den kleinen Kinnbart. Sieht für einen Augenblick lang müde aus...
"Du wirst hier ja am Tag hier draußen gelöchert, weil hier kommen so viele Idioten, ich sehe denen das sofort an, die wollen eh nicht boxen, die wollen sich mit Dir nur unterhalten, die wollen nur mal hochkommen."
Jesse Heine grinst. Geht zur Uhr. Und schiebt die Zeiger vor: Nächster Kampf: 21.30 Uhr.
Heines Uropa hat die Boxbude gegründet, heute tourt der Urenkel mit seinen acht Kämpfern über die Volksfeste. Ein Blick hinter die Kulissen der letzten Boxbude Deutschlands.
Die Boxerhymne "Eye of the tiger" dröhnt aus den Lautsprechern über den Rummelplatz. Jesse Heinen steht breitbeinig auf der Bühne, zwischen zwei rot-schwarzen Sandsäcken, mustert durch die Sonnenbrille das Publikum. "Live Boxen-Live" glitzern große silberne Buchstaben über dem Fahrgeschäft.
Rechts dreht der Zirkusflieger seine Gondeln, links gehen Ponys gemächlich im Kreis der Reitbahn. Es riecht nach Bratwurst und gerösteten Mandeln. Kleinfamilien, junge Paare, Enkel mit ihren Großeltern schlendern an der Boxbude vorbei. Jesse Heinen schüttelt den Kopf:
"Uninteressant. Scheiße. ... Leute bleiben stehen, aber das reicht mir nicht, ich brauch ja Leute, die mitboxen. Und hier boxt keiner von. Das ist meistens so das Klientel, das ich brauch, so die Jungs, die hierherkommen. Die schlafen jetzt, glaube ich, alle noch."
Jesse Heinen geht drei Schritte nach links. Zur Uhr, über der "Nächster Kampf" steht, schiebt den großen Zeiger 30 Minuten nach vorne. Auf 17 Uhr 30.
"Ich mach das schon von Kleinauf, als kleiner Spund hier rumgerannt und die Seile hier festgeknotet und die Ringseile hier mit festgemacht. Und immer mit dabei. Ich habe zehn Jahre geboxt hier bei uns. Da hatte ich natürlich noch eine andere Gewichtsklasse. 65 Kilo. Jetzt habe ich 85. Viele umgehauen."
Der 33-Jährige schüttelt den Kopf, steigt die sechs Stufen von der Bühne hinunter, geht nach links, am Boxzelt vorbei, zu den Wohnwagen.
"Wir haben hier Schlafwagen dabei, sprich Wohnwagen, 1,2,3,4 Wohnwagen, dabei dann hier der Aufenthaltsraum für die Leute, der Raum, wo die ein bisschen trainieren können, der Raum wo die Leute verarztet werden können..."
Breitbeinig fläzt sich Heinen in einen blau-weißen Liegestuhl, schiebt die Sonnenbrille auf die Stirn. Der Wohnwagen der Oma steht hinten links, vorne der 414-PS-LKW, der die Boxbude schleppt, dann noch die 200-PS-Zugmaschine für seinen US-Wohnwagen.
"Wir kommen da eigentlich aus so einer Boxbudenfamilie. Und wir haben selber alle geboxt. Ich, mein Vatter, mein Bruder, mein Onkel, meine Schwestern nicht, das wollten wir nicht. Und heute bin ich hier dran, heute tu ich das Geschäft hier weiterführen."
Als Boss am Ring. Seit acht Jahren managt der 33-Jährige die Boxbude, leitet ein Familienunternehmen
"Erst einmal Familie Heinen, ich habe drei Kinder, zwei Jungs, Zwillinge, die sind sieben, das Mädchen ist neun, dann Mutter, Oma, Schwester, das ganze Programm, Familienbetrieb halt."
Im großen Boxzelt parken Maggy Heinen und Freundin Ginger ihre pinkfarbenen Puppenwagen. Ginger klettert in den Ring, turnt an den Seilen. Maggy tänzelt vor einem schweren braunen Boxsack. Schlägt links, rechts, links. Träge schwingt der Sack hin und her. Er ist ein gutes Stück größer als die Neunjährige. Und bestimmt doppelt so schwer…
Maggy: "Normalerweise hat man so Bandagen um, tut manchmal ein bisschen weh, aber nur manchmal."
Ginger: "Tut das weh?"
Maggy macht einen Ausfallschritt nach links. Der Pferdeschwanz wippt, die Totenkopfohrringe wackeln. Noch eine Kombination, diesmal rechts, links.
Maggy: "… oder so rum. Aua, tut weh."
Maggy reibt sich die roten Fäuste. Ihre Freundin Ginger grinst. Seit drei Wochen kennen sie sich. Die Elfjährige vom "Landhaus Imbiss" und die Neunjährige von der Boxbude. In der Schule sitzen sie nebeneinander. So lange hier Volksfest ist. Danach ziehen sie weiter. In unterschiedliche Richtungen. Jetzt aber sind erstmal die Hausaufgaben dran. Maggy geht zum Puppenwagen.
"In Sachunterricht sollen wir lernen mit Kindern umzugehen, und dann hatten wir halt die Puppen von meiner Freundin der kleinen Schwester ... und dann müssen wir die jetzt rumschieben und abends in so ein Bett tun und so ... und das schreiben wir dann auf, wie ein Tagebuch soll das sein, mit meinem Kind bin ich in den Park gegangen und so, und dafür kriegen wir dann Noten"."
Für das Boxenbuden-Rummelplatz-Tagebuch...
Draußen, vor der Boxbude, fachsimpeln zwei junge Männer. Vorgestern standen sie auch schon hier, erzählen sie, gestern auch:
Thomas und Jörg: ""Das ist ja die Gondel da oben, da hat der Chef selbst dran geboxt und dann sind die Leute da am Sandsack ein bisschen aufgewärmt, noch so, ein bisschen Angst haben wir schon, aber wird schon, muss schon."
Grell leuchten die Farben der Boxbuden-Deko-Malerei. Bikinischönheiten überlebensgroß neben dunkelhäutigen Muskelmännern. Ein grinsender Uncle Sam. Promoter-Legende Don King. Hübsche Frauen, harte Kerle.
Thomas: "Ich habe zwei Monate Thai-Boxen, ein Jahr Kickboxen-Erfahrung"."
Jörg: ""Sieben Runden, ne ich denke mal drei, das hängt davon ab, wie schnell der andere k.o. ist"."
Thomas, der kleinere mit heller Nylonjacke, die Schirmmütze auf dem Kopf, ballt die Fäuste, macht einen Ausfallschritt. Schwankt ein bisschen. Heute wollen sie antreten, das haben sie sich versprochen. Sein Freund Jörg grinst. Beide sind Anfang 20, haben schon zwei Bier intus. Als Vorbereitung auf den Kampftag. Zehn Euro haben sie jetzt noch in der Tasche. Das reicht noch nicht mal für den Eintritt. Doch wer zum Kampf antritt, ist umsonst dabei. Und die Siegprämie können sie gut gebrauchen,
""Leichtgewicht 100 Euro, Mittelgewicht 150 Euro, Schwergewicht, ne, Moment, ich glaube die haben mehr Gewichtsklassen, 60-70 100 Euro, 70 bis 80 200 Euro und Schwergewicht 350 Euro, irgendwie sowas, gibt mir mal Feuer"."
Thomas zündet sich eine Zigarette an. Nichts bewegt sich auf der Bühne. Kein Mensch ist zu sehen, die Sandsäcke baumeln träge von der Deckenkonstruktion. Eine leere Plastiktüte weht über die Metallstufen. Die Zeiger unter dem Schild "Nächster Kampf" stehen mittlerweile auf sechs Uhr.
Seite an Seite schieben Maggy und Ginger ihre Puppenwagen über den Rummelplatz. Unterhalten sich kurz mit der Frau vom Mäuseroulette, holen sich beim Bäcker eine Butterbrezel. Fragen ihn, ob seine Tochter noch Windpocken hat
""Auf der Reise hat man ganz viele Freundinnen, und wenn man sich dann mal wieder trifft ist das so cool"."
Fast jeden Nachmittag nach der Schule ziehen sie gemeinsam über den Rummel.
""Wir kennen hier schon alles auswendig. Wenn man Schausteller ist, dann kann man alle Dinge umsonst nutzen. Dann muss man sich halt vorstellen, ich bin von Jesse Heine von 'live boxen live', und dann kann man umsonst rein."
Maggy winkt kurz nach links. Da ist der "Rotor", ihr Lieblingsgeschäft. Dann kommt die "Wilde Maus", die "Niagara-Fälle", dann die Geisterbahn.
Maggy guckt auf die Uhr. Es ist 20 nach sechs. Jetzt müssen sie zurück. Zur Boxbude...
Um 18.30 Uhr betritt Jesse Heinen wieder die Bühne. Trägt jetzt ein rot-weiß-gestreiftes Hemd und eine schwarze Stoffhose. Herren- statt Turnschuhe. Durch die Sonnenbrille mustert der 33-Jährige die Rummelplatzbesucher, die sich in kleinen Gruppen zwischen den Ständen hindurch schieben. Die Mischung gefällt ihm immer noch nicht. Heinen schiebt den großen Zeiger noch eine halbe Stunde vor. Geht nach hinten ins Zelt. Holt sich ein Mineralwasser .Setzt sich neben den Boxring
"Ich bin ja zwei, drei Monate im Winter unterwegs, um neue Leute zu suchen. Meistens fahre ich nach Osteuropa, das sind harte Jungs, die haben nicht viel, sage ich jetzt mal. Das ist ja auch für die Jungs jetzt hier ne Erfahrung. Und vor allem bekommen die von uns ja auch ein Supertrainingsprogramm. Also die werden hier richtig gedrillt bei uns."
Training, Kampf, Kost und Logis. Dafür steigen die Boxer Abend für Abend in den Ring. Ein erweitertes Training - wenn man Jesse Heinen glauben darf. Für alles andere braucht er Extra-Genehmigungen. Publikums-Boxer gegen gut ausgebildete Amateure. Die sind fit genug, damit sie niemand auf die Bretter schickt. Und Heinen keine K.o-Prämie zahlen muss. Diszipliniert genug, damit das Publikum auf seine Kosten kommt.
"Wir könnten sicherlich in de ersten Runde Leute niederstrecken, das machen wir aber nicht, weil 'the show must go on' und die Leute sollen eine gute Show geboten kriegen, aber ne gute Schau ist nicht unbedingt, die Leute zusammenzuschlagen..."
Heinen nimmt noch einen Schluck Mineralwasser aus der Flasche. 400 Zuschauer passen in das Zelt, sagt er. Dann kocht hier die Stimmung. Und die Kasse stimmt auch. Für den letzten Familienbetrieb im Boxgeschäft
"Eine Generation vor mir haben das alle betrieben, wo heute jetzt Großväter sind. Die haben gesagt, ich tue mir den Stress nicht mehr an. Und deren Söhne haben andere Geschäfte, Karussells und so weiter... normalerweise wäre ja von meiner Mutter der Bruder dran gewesen … der müsste ja eigentlich diese Bude weiterführen. Der hat früher auch geboxt und da hat er gesagt, er hat dafür keinen Bock. Den ganzen Tag rumärgern mit den Idioten, die hier rumkommen."
Heinen blickt auf die Uhr. Steht auf. Streckt sich. Zeit sich mit den Idioten rumzuärgern. Stimmung zu machen. Wie jeden Abend...
"'Hier komm, geh Karussell fahren, geh weg hier, wir hauen Dir die Fresse dick', das ist aber auch genau das was die Leute hören wollen. Auch ein gutes Beispiel. Blaue Augen, blutige Nasen, das gibt es immer, das ist Standard."
Aus den Boxen dröhnt wieder die Boxer-Ballade "Eye of the Tiger". Mit federndem Schritt betritt Jessi Heinen die Bühne:
"So meine Damen und Herren, in wenigen Minuten geht es ab hier: Boxbegeisterte Fans, kommen Sie alle zum wandernden Fightclub, hier in wenigen Augenblicken wird zugeschlagen, hier in wenigen Augenblicken kann man teilnehmen am Boxen. Natürlich auf eigene Gefahr, auf eigenes Risiko."
Heinen steht breitbeinig auf der Bühne. Wiegt den Oberkörper langsam hin und her. Taxiert das Publikum. Scannt die, die stehenbleiben nach potentiellen Gegnern.
"Da stehen irgendwelche Jungs da vorne vor und schmeißen sich in die Brust, was weiß ich so Bodybuildertypen, 63-er Oberarm, sind ja ganz schöne Kleiderschränke. Die stehen dann da unten zwischen den Leuten und die ragen dann da ja raus. Und wenn ich die dann entsprechend anspreche, die fallen mir ja auf. Oder so ne krumme Nase, die fällt mir auch auf. Und dann sage ich: 'Ey, willst nicht mal mitmachen?' Da sagt das Publikum, da kriegen die auf die Fresse. Guck Dir den Typ an, das ist ja ein Unvieh. Ich weiß vorher schon, dass der nicht gewinnen kann, der kann sich nämlich gar nicht bewegen."
"Noch Gegner da? Was ist mit Dir Langer, sollen wir Dir mal ein paar auf's Maul hauen? Blackman mach mit, gegen den Leichten, hau den um. Kannst Party machen mit der Kohle"."
Der dunkelhäutige Hüne in der zweiten Reihe winkt ab. Gut 100 Leute drängen sich vor der Boxbude. Langsam betreten jetzt Heinnes Boxer die Bühne, dehnen sich, bandagieren in aller Ruhe die Hände
""In wenigen Augenblicken starte ich, in wenigen Augenblicken lasse ich Gegner zu. Aber bitte nur Gegner. Und keine Opfer. Jungs, die zuschlagen können, austeilen, einstecken, die sind n der richtigen Adresse, alle anderen sollen Kinderkarussell fahren gehen. 18 Jahre muss man sein, man sollte Erfahrung mitbringen, wenn nicht, gibt es blaue Augen, blutige Nasen."
Rummelplatzbesucher gaffen. Recken die Hälse. Gut 150 Leute hängen an Heinens Lippen, beobachten die Boxer bei ihren Aufwärmübungen. Thomas und Jörg stehen schwankend in der zweiten Reihe. Ihre letzten zehn Euro haben sie für Bier umgesetzt. Thomas drängt nach vorne:
"Was ist mit Dir? Du hast mich doch eben gefragt, ob du teilnehmen dürftest? Du fällst ja schon um, wenn du hier hochkommst. Nen paar Bier getrunken? Dann geh mal wieder runter, das geht gar nicht."
Schwankend tritt Thomas den Rückzug an. Seine Freunde johlen. Auf der Bühne schnürt ein Boxer die braunen Handschuhe. Ein anderer streift die Pratzen über. Ein knallrotes Kunststoff-Schlagkissen
"So, wir zeigen jetzt mal ein paar Jibs, ein paar Schläge, dass Sie sehen können, was für einen Stil wir boxen (…) Action: klack, klack, klack, gerade mal 19 Jahre jung, ein Supertalent, hat einen Superpunch. Hat schon einige Leute niedergestreckt, die sich hier angemeldet haben."
Jib auf Jib donnert der Boxer in die Pratzen. Schnelle Kombinationen. Die Schläge klatschen. Von einer Bühnenseite zur anderen.
"Power, tack, tack, tack, genau , reicht, stopp. (Applaus)"
Nach einer halben Stunde hat Heinen fünf Gegner zusammen. Helfer schnüren ihnen auf der Bühne die Handschuhe.
An der Kasse / Einlass:
"Kannst Du klein machen? Weiß ich Junge. Wie lange dauern die Kämpfe, so eine Stunde zusammen? Ja, ungefähr. Wieviel? Dreimal, zweimal, zwei Zehner, Kasse..."
Das Publikum drängt zur Kasse. Dort steht Heinens Mutter, elegant, mit dunklem Schal, verkauft die Tickets. Sechs Euro kostet der Eintritt pro Person:
Im Zelt, hoch über dem Ring, hängt ein großer Flachbildschirm. Auf dem flimmern Box-Szenen. Langsam füllt sich das Zelt. Maggy sortiert mit ihren Freundinnen die Flaschen hinter der kleinen Bar...
"Das hier ist Mia Steinbauer, meine Freundin von 'happy family', wo wir eben waren. Das ist Luisa Ahrent."
Und ihre Freundin Ginger kommt gleich auch noch zur Verstärkung.
Maggy / Kunden / Freundin: "Bitteschön, ich hätte gern zwei Bier bitte. Wenn Du rechnen kannst."
Maggy reicht zwei Bierflaschen über die Theke, ihre Freundin kassiert fünf Euro. Gut 80 Zuschauer stehen um den Ring. Es ist noch viel Platz. Draußen auf der Bühne macht Jessi Heinen weiter Stimmung. Drinnen erklärt Maggy ihren Freundinnen die Ringregeln.
"Da kommt gleich ein Mann da rein. Und unserer Mann da. Und dann boxen die beiden gegeneinander. Und ein anderer stoppt die Zeit. Und dann sagen die: Erste Runde, zweite Runde. Und wir haben leider keinen Gong, so wie wir es gewohnt sind, aber dafür haben wir einen Mann, der immer redet dann. Und mein Papa steht da vorne mit dem Mikrofon und sagt immer 'Hau rein' und so.... ja"
Ein Mittfünfziger, ganz in schwarzer Lederkluft, die schulterlangen schwarzen Haare streng nach hinten gekämmt, bestellt zwei Bier. Für sich und seine Freundin. Mustert fachmännisch den Ring:
"Ich war damals Kickbox-Meister bei Sandokan, in der zweiten Runde habe ich ihn weggemacht, da gab es 350 Mark. Und da habe ich einen auf Szene gemacht, so auf Rocky Balboa, mein Bruder und so, alles, was da um den Ring war, die waren so stolz"."
Gut 15 Jahre ist das her. Unzählige Male hat seine Frau die Geschichten seitdem gehört. Von der einmalige Atmosphäre, vom Kick im Ring, dem Adrenalinstoß.
""Ich habe meiner Frau gesagt, wir wollen mal ein bisschen was gucken, bisschen live. Normaler Boxkampf da bist du 350 Euro los und das ist auch nichts anderes."
Draußen auf der Bühne präsentieren sich die Heinen-Boxer immer noch dem Publikum, drinnen machen sich die Herausforderer warm. Ein Hüne mit kurzgeschorenen Haaren in Sweatshirt und Jeans schlägt locker auf einen Sandsack ein. Unterhält sich nebenbei mit einem zweiten Herausforderer. Auf Polnisch. Kritisch beäugt der alte Kickboxer die beiden Aspiranten:
"ob es getürkt ist oder ich ... ich weiß nicht, ob es gestellt ist. Der mit der Mütze oder der, ich schätze mal, die füttern die Leute ein bisschen an, ist vielleicht von fünf einer dabei, er nen normaler Passant ist"."
Animateure gehören zur Szene, seit es Schaukampfattraktionen gibt, sagt er. Sie sollen das Publikum anlocken, Mitkämpfer motivieren. Die Stimmung anheizen.
Vor der rechten Ringecke tänzelt sich Herausforderer Sascha warm. Ein blonder Schlaks, 32 Jahre alte, schütteres blondes Haar bis auf die Schulter, dürre, lange Arme, an deren Ende die großen braunen Boxhandschuhe wie Fremdkörper wirken.
Sascha: ""Ab 85 Kilo aufwärts... ich habe hier hin und wieder mal trainiert, einfach so just for fun, weil es gute Laue macht."
Sascha tänzelt. Schlägt die Boxhandschuhe immer wieder gegeneinander. Den Namen seines Gegners hat er vergessen, sagt er.
"Ich weiß es nicht, das werden wir sehen, ich hoffe mal kein Brecheisen."
Auf der anderen Ringseite steht der Gegner: Kampfname: Sebastian aus Hannover. Er hat Saschas Aufwärmübungen gesehen, unterhält sich entspannt mit seinen Teamkollegen.
Der Ringrichter mit der Stoppuhr um den Hals geht in Position. Jessi Heinen schließt die schweren Vorhänge. Sascha klettert in den Ring, auf der anderen Seite sein Herausforderer:
Sascha: "Ich wollte mal Boxer werden... das war mein Jugendtraum... irgendwann geht es ja mal aufwärts. Jeder fängt mal klein an."
Beginn Runde eins: Sascha stürmt tänzelnd nach vorne, schlägt eine Gerade. Locker weicht Sebastian aus.
"Hau ihn um Sascha, Sascha, in die Schnauze, auf die Fresse Mann"."
Ein Freund feuert Sascha an, das Publikum johlt. Saschas Geraden werden immer krummer, kommen immer mehr von der Seite. Wie eine Windmühle bewegt er die Arme. Sebastians Haken kommen immer öfter ans Ziel…
Schiedsrichter / Heinen: ""Ende der ersten Runde, lass sie erst einmal Luft holen."
Pause nach einer Minute. Sascha klammert sich in seiner Ecke an die Seile. Die blonden Haare hängen strähnig nass über die Schläfen, ein Schweißfleck breitet sich auf seinem roten T-Shirt aus…
In der zweiten Runde bricht Saschas Deckung vollends zusammen. Sebastian treibt ihn durch den Ring. Landet einen Treffer nach dem anderen. Mit gebremster Schlagkraft…
Sascha kassiert den zweiten Kopftreffer. Ihm geht die Luft aus. Er bringt die Fäuste kaum noch auf Brusthöhe. Jesse Heinen greift zum Mikrofon.
Heinen: "Abbruch, das wird nichts. Ein Applaus em Sportsmann"."
Raus aus dem Ring, ran an die Theke. Sascha gibt die Boxhandschuhe ab, bestellt sich ein Mineralwasser. Sein Freund klopft ihm auf die Schulter. Saschas Unterlippe blutet.
Sascha: ""Geht, ... ja die sind fix, weil sie ständig trainieren. Ausdauer ist sehr sehr wichtig beim Boxen, ne, und wenn man die Kondition nicht hat, ist der Trainierte natürlich weitaus besser."
Hinter seinem Rücken läuft der zweite Kampf. Patrick aus Leverkusen lässt nichts anbrennen. Gelassen beobachtet Jesse Heinen den Kampf....
Heinen: "Wenn wir dann sehen, dass die Leute boxen können, eine Chance haben zu siegen, dann ist mir die Zeit egal. Dann boxen wir zwölf Mal drei Minuten. Bloß die Leute überschätzen sich auch oft. 'Ja komm, ich kämpfe gleich zwölf Runden.' Und ich sage, mach erst mal zwei, wenn Du die überstehst, kannst Du auch zwölf boxen. Oder sechs oder fünf oder Amateurzeit vier Mal zwei Minuten."
In den vier ersten Kämpfen ist nach zwei Runden Schluss. Nach 45 Minuten steigt der letzte Herausforderer in den Ring. Mario aus Stuttgart. Der dunkelhaarige 1,90-Meter-Mann greift in die Hosentasche, holt ein Mundschutz heraus, schiebt ihn zwischen die Zähne. Wartet entspannt in seiner Ringecke:
Heinen: "Der hat einen Mundschutz drin."
Zweite Runde.
Heinen: "Sehr präsent. Hau ihn. Komm, komm, komm jetzt. Aufpassen. (Applaus)"
Mario sieht man die Box-Erfahrung an. Er treibt seinen Gegner. Blockt die Schläge. Bringt einen Treffer nach dem anderen an. Thomas aus Neuss steckt ein, wankt, doch er fällt nicht.
Zwei Runden à eine Minute sind zu kurz für Mario. Keine Chance auf ein K.o. Am Ende steht ein klarer Punktsieg für den Stuttgarter Herausforderer. Das gibt einen kräftigen Applaus, aber keine Prämie.
Das Publikum verlässt das Boxzelt. Jesse Heinen schaltet das Headset aus. Geht nach vorne. Auf die Bühne. Blickt auf die blinkenden Fahrgeschäfte:
"Der mit dem kurzarmigen T-Shirt, der konnte Boxen. Und der aus Stuttgart und der mit der krummen Nase. Die anderen waren Straßenschläger, ne."
Heinens Bilanz der ersten Runde: 170 Zuschauer, kein Kampf verloren. Der 33-Jährige streicht sich über den kleinen Kinnbart. Sieht für einen Augenblick lang müde aus...
"Du wirst hier ja am Tag hier draußen gelöchert, weil hier kommen so viele Idioten, ich sehe denen das sofort an, die wollen eh nicht boxen, die wollen sich mit Dir nur unterhalten, die wollen nur mal hochkommen."
Jesse Heine grinst. Geht zur Uhr. Und schiebt die Zeiger vor: Nächster Kampf: 21.30 Uhr.