Zygmunt Bauman: Das Vertraute unvertraut machen
Ein Gespräch mit Peter Haffner
Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 2017
186 Seiten, 20,60 Euro
Das Vermächtnis eines großen Soziologen
Der letzte Gesprächsband mit dem im Januar 2017 verstorbenen Soziologen Zygmunt Bauman ist beides zugleich: Geschichtsstunde und Gegenwarts-Analyse. Und dazu ein berührendes Lesevergnügen.
Als Zygmunt Bauman Anfang dieses Jahres starb, wurde er aus einem arbeitsreichen Leben gerissen. Das mag ein wenig seltsam klingen, war der polnisch-britische Soziologe bei seinem Tod doch immerhin 91 Jahre alt. Er selbst empfand jedoch sein beeindruckendes, ab Mitte der achziger Jahre weltweit rezipiertes Oeuvre noch längst nicht als abgeschlossen. Davon zeugen auch seine letzten Gespräche mit dem Schweizer Publizisten Peter Haffner, die soeben unter dem Titel "Das Vertraute unvertraut machen" bei Hoffmann und Campe erschienen sind.
Bauman, 1925 im damaligen Posen geboren, blickt hier nochmals auf sein Leben zurück, in dem sich die totalitären Schrecken des 20. Jahrhunderts spiegeln: 1939 vor den einrückenden Deutschen mit seiner jüdischen Familie in die Sowjetunion geflohen, Geheimdienstoffizier im stalinistischen Nachkriegs-Polen, aufgrund der "West"-Kontakte seines Vaters 1953 entlassen und schließlich 1968 im Zuge der antisemitischen "Säuberungen" als Soziologieprofessor von der Warschauer Universität gejagt und ins Exil gedrängt.
Reflexionsfreude statt nebulöses Abstrahieren
Nach einem kürzeren Aufenthalt in Israel erhielt Bauman 1971 einen Ruf an die Universität Leeds, wo er dann auch seine zahlreichen Bücher schrieb, von den viele längst zu Klassikern geworden sind: "Die Moderne und der Holocaust" etwa oder "Flüchtige Moderne", deren Thematik ihn bis zuletzt umtrieb. Wie, so fragt er sich im Gespräch mit Haffner - prägnant und ohne jegliche salbadernde Weitschweifigkeit - lassen sich die Abhängigkeitsverhältnisse von heute beschreiben, wo die festjustierte Beziehung zwischen Kapitalist und gewerkschaftlich organisierter (Industrie-)Arbeiterschaft längst verschwunden ist?
Und wie eine innere Mitte finden, "wenn für die heutige Konsumgesellschaft ein zufriedener Kunde die größte Bedrohung darstellt" und immer neue Bedürfnisse kreiert werden - auch im privaten Bereich, wo z.B. im "Online-Dating" marktgängige Wettbewerbsmuster immer mehr die subtile Kunst des Flirtens verdrängen? "Als ich jung war, war der Albtraum, ein Nonkonformist zu sein. Heute ist der Albtraum, der Grandiosität der individuellen Aufgaben nicht gewachsen zu sein."
Erinnerung an ein geglücktes Privatleben
Man möchte diesem hellwachen Greis ewig zuhören, da er doch als unser Zeitgenosse lieber präzise Fragen stellt anstatt als grämlicher Kulturpessimist ein erwartbares Lamento anzustimmen. Und so unbefriedigend seine (Nicht-)Erinnerungen an die jungen Jahre im stalinistischen Herrschaftsapparat auch sein mögen, so pauschal und unreflektiert seine - wohl aus familiärer Vater-Abwehr stammende - Verdammung des Zionismus: Immer wieder sind da Passagen, augen-öffnend und rührend zugleich.
Da ist etwa die Erinnerung an seine Lebensliebe Janina, mit der er 61 Jahre lang verheiratet war und die als intellektuelle Partnerin für sein Leben wohl ebenso entscheidend war wie die Engländerin Dorine für den etwa gleichaltrigen jüdisch-französischen Soziologen André Gorz, mit dem er in mancher Hinsicht vergleichbar ist. Lässt ein geglücktes Privatleben also auf ein Denken schließen, das sich bei aller Reflexionsfreude dem nebulös Abstrahierenden verweigert? Zygmunt Baumann beschreibt es als "das Vergnügen, dass es auf einen ankommt in einer Sache, die nicht nur für einen selber wichtig ist."
Dieses wunderbare letzte Buch ist Vermächtnis und Geschenk zugleich.