800 Jahre Magna Charta

Inspiration für die Freiheitskämpfer dieser Welt

Seltenes Exemplar der Magna Charta, das in New York versteigert wurde.
Die Magna Carta wurde erst später in ein international gültiges Symbol für Freiheit und Menschenrechte uminterpretiert. © dpa / picture alliance / Justin Lane
Von Ruth Rach |
Nelson Mandela hat sich auf sie berufen. Den Gründungsvätern der USA diente sie als Anregung. Ihre wichtigsten Prinzipien werden in politischen Debatten, Gerichtssälen und Meinungsspalten auch heute noch heraufbeschworen. Vor 800 Jahren wurde die Magna Carta vom tyrannischen King John in Runnymede an der Themse besiegelt - höchst widerwillig.
Erst zerstritt er sich mit seinen französischen Vasallen, dann überwarf er sich mit dem englischen Adel, und schließlich machte er sich auch noch Papst Innozenz den Dritten zum Feind. King John, König Johann, schon in jungen Jahren mit dem Spitznamen Lack-land, also "Ohne-Land" bedacht, hatte keine glückliche Hand. Sein älterer Bruder, der charismatische Richard Löwenherz, hatte im Ausland kriegerische Lorbeeren geerntet.
Johann Ohneland hingegen, der nach Löwenherz im Jahr 1189 den Thron bestieg, wurde eigentlich nur wegen einer Niederlage bekannt. Und sie war so folgenschwer, dass sie in England bis heute noch nachgespielt wird.
Empfindliche Einschränkung der Macht
Schauplatz: eine Wasserwiese in Runnymede bei Windsor an der Themse. Hier wird König Johann am 15. Juni 1215 von revoltierenden englischen Baronen gezwungen, einen Freibrief zu besiegeln, der seine Allmacht empfindlich einschränkt. Die Adeligen weigern sich, ihrem Herrscher überhöhte Steuern zu zahlen, nur um seine extravaganten Kriegsabenteuer zu finanzieren. Das Dokument, ursprünglich auf Lateinisch abgefasst, gilt als eines der wichtigsten Schriftstücke in der Geschichte der Freiheitsrechte und wird später unter dem Namen "Magna Carta" weltbekannt.
Nur vier Exemplare haben überlebt, zwei davon sind in der Britischen Nationalbibliothek in London. Dort werden sie wie heilige Reliquien ausgestellt. Claire Breay, Leiterin der Handschriftenabteilung, deutet auf einen schlichten Pergamentbogen, auf dem 4000 Wörter stehen, in fortlaufendem Text, ohne Schnörkel. Sie zitiert einen Absatz, auf den sich Politiker wie Rebellen schon seit 800 Jahren berufen:
"Kein freier Mann soll verhaftet, gefangengesetzt, seiner Güter beraubt, geächtet, verbannt oder sonst angegriffen werden; noch werden wir ihm etwas zufügen, oder ihn ins Gefängnis werfen lassen, als durch das gesetzliche Urteil von Seinesgleichen, oder durch das Landesgesetz."
Konkrete Lösung für ein praktisches Problem
Der Text klinge zwar ungeheuer progressiv, sagt Claire Breay. Ursprünglich hätten jedoch nur die englischen Adeligen von den Zugeständnissen profitiert sowie freie Bürger, von denen es damals nicht allzu viele gab.
"Die Magna Carta war zunächst nur ein Friedensvertrag, eine praktische Lösung für ein ganz konkretes Problem. Erst später ist sie in ein international gültiges Symbol für Freiheit und Menschenrechte uminterpretiert worden, und wurde zum Kampfesruf des Einzelnen, der sich gegen die Willkür von Organisationen und Herrschern zur Wehr setzt."
Claire Breay ist Ko-Kuratorin einer großangelegten Ausstellung in London, in der die Entwickling der Magna Carta dokumentiert wird. Im 17. Jahrhundert half der Freibrief dem englischen Parlament, sich vor den gröbsten Übergriffen seines Königs zu schützen. Im 18. Jahrhundert verhinderte die englische Presse mithilfe der Magna Carta, dass ihr vom König ein Maulkorb umgebunden wurde.
Bis heute inspirierend
Weitere Exponate zeigen, wie die Magna Carta in die Kolonien hinausgetragen wurde und Freiheitskämpfe in aller Welt inspirierte. Wir hören die Stimmen von Mahatma Ghandi, Nelson Mandela, Aung San Suu Kyi. Und sogar die Ballade von der Magna Carta, von Kurt Weill komponiert und im Jahr 1940 in New York uraufgeführt.
800 Jahre Magna Carta. Das Jubiläum wird in Großbritannien mit zahlreichen Sonderveranstaltungen gefeiert. Am Rande sind allerdings auch kritische Stimmen zu hören. Die Organisation Justice Alliance warnt, die Prinzipien des Freibriefs seien erneut in Gefahr. Nicht vor der Willkür totalitärer Könige, sondern vor der Macht globaler Konzerne, vor dem Zugriff weltweit vernetzter Finanzmärkte. Und vor staatlichen Lauschangriffen im Zeitalter der digitalen Überwachung.
Es gibt ein Gesetz für die Reichen und ein anderes für die Armen, singt der Aktivist Tom Robinson. Anstatt Gedenkfeiern und historische Spiele zu veranstalten, wäre es vielleicht sinnvoller, so meint er, über eine neue Magna Carta nachzudenken, um die Rechte der Bürger auch im 21. Jahrhundert zu schützen.
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