Andrzej Stasiuk: "Beskiden-Chronik. Nachrichten aus Polen und der Welt"
Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
299 Seiten, 23 Euro
Präziser Stilist, robuster Reisender
06:09 Minuten
Andrzej Stasiuks Buch versammelt „Nachrichten aus Polen und der Welt“ - und besticht durch Neugier auf die Wirklichkeit. Statt den polnischen Autoritarismus direkt zu kritisieren, beschreibt der Autor lieber Alltag und Sorgen in der Provinz.
Seit nunmehr 36 Jahren lebt der aus Warschau stammende Schriftsteller Andrzej Stasiuk in den Beskiden, einer abgelegenen Bergregion an der Grenze zur Slowakei. Hat er sich dahin zurückgezogen? Das wäre gewiss die falsche Formlierung angesichts Stasiuks Geburtsjahr 1960 und seiner fortwährenden Popularität nicht nur in Polen, sondern auch im deutschsprachigen Raum.
Seine Bücher - Romane, Erzählungen, Essays, literarische Reisereportagen - sind nicht der Monolog eines Bergbewohners, sondern vermessen eine Welt: Jene Länder und Regionen in Europas Osten, in der ehemaligen Sowjetunion und in Mittelasien, die aus hiesiger Perspektive oft genug fälschlich der "Peripherie" zugeordnet werden.
Emotionale und intellektuelle Neugier
Außerdem, was nicht ganz unwichtig ist: Andrzej Stasiuk, der präzise Stilist und robuste Reisende, scheint ein ungemein sensibler Familienmensch zu sein - begabt zu Freundschaft und emotionaler und intellektueller Neugier, nicht zu vergessen seine feine Ironie.
Auch deshalb ist sein neues Buch "Beskiden-Chronik. Nachrichten aus Polen und der Welt" mehr als die Ansammlung literarischer Feuilletons, Skizzen, Porträts und Miniatur-Erzählungen, die er in den letzten Jahren für eine polnische Wochenzeitschrift verfasst hatte. Wer darin jedoch noch einmal jene warnenden und auch bitternotwendigen Sätze zu finden hofft, die über den auch in Polen drohenden Autoritarismus geschrieben wurden und werden, könnte enttäuscht sein - dies vielleicht aber sogar zum eigenen Erkenntnisgewinn.
Stasiuk nämlich, der aus seiner Abneigung gegen die gegenwärtige Warschauer Regierung und gegen Teile des Klerus keinen Hehl macht, verbleibt nicht im Rhetorischen, sondern beschreibt fallweise lieber das Alltags-Tun und die täglichen Sorgen seiner schweigsamen bäuerischen Nachbarn, die sich vor der Globalisierung fürchten und deshalb die Kaczynski-Partei wählen.
Genauer Blick für die Enge der Provinz
Soll einer aus ihnen schlau werden! Für Stasiuk beginnt es jedoch genau da, beim Beobachten und nicht beim Herabsetzen.
"Und so gehe ich hin und her zwischen dem Globus und dem Fenster, zwischen Mikro und Makro, um einen kühlen Verstand zu bewahren, um nicht ins Abstrakte zu verfallen, um nicht an irgendwelche Märchen zu glauben, dasss mein Land dies, dass mein Land das, dass mein Land jenes, dass mein Land sonst was."
Wobei Andrzej Stasiuk, skeptisch gegenüber der Selbstbezogenheit manch großstädtischer Intellektuellen-Milieus und deren wie eine Monstranz umher getragenen Oberflächen-Kosmopolitismus, auch einen genauen Blick für das Sture und Enge der Provinz hat, wo man ja ebenfalls glaubt, alles drehe sich nur um einen selbst, um das eigene Leid und um die eigene Scholle.
"Ihr müsst uns einfach etwas antun"
Hinreißend etwa diese Passage aus dem slowakischen Kosice:
"Irgendwann fragte mich jemand, was die Polen über die Slowakei dächten. Ich antwortete wahrheitsgemäß, sie dächten gar nichts. Das Gespräch entwickelte sich in die Richtung, dass man dagegen etwas unternehmen musste."
"Ach", sagte ich zum Schluss, "ihr müsstet uns einfach etwas antun, ein ordentliches Unrecht. Anders geht’s nicht."
Was jedoch anders geht, und erfreute oder auch gelangweilte Leser von hiesigen Diarist*innen wie Ernst Jünger, Peter Handke, Christa Wolf oder Botho Strauß könnten dies mit größtem Vergnügen entdecken: Literarische Notate müssen keineswegs stets dunkel dräuend und bedeutungshubernd daherkommen.
Im Gegenteil - und eine ähnlich modeste Einsicht würde man sich gegenwärtig auch so manch orakelndem Corona-Kommentator wünschen: In der Tat darf die Gattung des Feuilleton nicht einer heimlichen Metaphysik oder dilettantischen Eschatologie zum Opfer fallen. Das darf nicht sein, denn das Feuilleton muss frisch und intelligent auf die laufenden Ereignisse reagieren, über die letzten Dinge kann man ja im Krankenhaus nachdenken.