Ausstellung "Dub London - Bassline of a City"

Mit Dub Poetry gegen Rassismus

05:57 Minuten
Der Dub-Produzent Mad Professor mit seinem Soundsystem bei einem Konzert in England 1998.
Dub-Produzent Mad Professor mit seinem Soundsystem bei einem Konzert 1998. © imago images / Brigani Art
Von Natalie Klinger · 05.10.2020
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Vordergründig geht es in der Ausstellung "Dub London" um die Musik der afrokaribischen Einwanderer in Großbritannien. Doch die Geschichte des Dub lässt sich nicht ohne jene des strukturellen Rassismus in England erzählen.
Wenn einer erklären kann, was Dub Reggae ist, dann Mad Professor. Mad Professor ist ein Urgestein der Londoner Szene. Auf seinem Label Ariwa hat er mehr als 300 Dubalben veröffentlicht, fast ein Dutzend davon mit der jamaikanischen Dublegende Lee "Scratch" Perry. In einem Kurzfilm der Ausstellung "Dub London" erzählt der exzentrische Musiker, wie das Genre aus dem Kult der B-Seite entstand: "Auf der A-Seite einer Soulplatte war die Gesangsversion. Auf der B-Seite, da war derselbe Song, aber ohne Stimme."
Soul, so Mad Professor, war die wichtigste Inspirationsquelle für Reggaekünstler in Jamaika. Sie übernahmen das Konzept der Instrumentalversion und nannten sie "the version".
"Dub entsteht im Studio. Der Produzent wird zum Musiker", sagt Mad Professor. Hall und Echo zählen zu den charakteristischen Merkmalen des Genres. Die Bassline rückt in den Fokus. "Man entfernt in der Instrumentalversion Teile der Rhythmusgruppe und manipuliert sie durch Effekte so, dass sie den Hörer bis ins Weltall transportiert."

Zuflucht finden in der Musik

Fast eine halbe Million afrokaribische Menschen kamen nach dem Zweiten Weltkrieg aus Jamaika, Trinidad und anderen ehemaligen Kolonien nach Großbritannien. Sie sollten beim Wiederaufbau des Landes helfen – auch das erzählt die Ausstellung. Die Einwanderer wurden als Windrush-Generation bekannt, benannt nach einem der ersten Schiffe, auf dem sie den Atlantik überquerten. Ihr Alltag im Vereinigten Königreich war von Rassismus geprägt. Dub bot ihnen Zuflucht. Sistah Sheeba Levi-Stuart war Teil der Bewegung. Sie kommt als Zeitzeugin in der Ausstellung in jamaikanischem Dialekt zu Wort:
"Besonders als Jugendliche fühlten wir uns von der Gesellschaft ausgeschlossen. Dub gab uns das Gemeinschaftsgefühl, das anderswo fehlte. Es war auch ein Weg, unsere Herkunft zu erforschen, denn Dub ist Ausdruck der afrikanischen Seele: Freiheit und Rhythmus."
Auf privaten Tanzpartys dichteten Londoner Musiker wie Linton Kwesi Johnson ihre eigenen Verse auf die "Versions", also die abgewandelte Instrumentalversion. Dub Poetry war ein Ventil für den Verdruss über eine Welt, in der sie als Minderheiten kein Gehör fanden. Damit knüpften sie an die sozialkritische Tradition von Reggaekünstlern wie Bob Marley an.

Erschreckend aktuelle Songs

Auf "New Crass Massahkah" singt Linton Kwesi Johnson etwa über ein Feuer im gleichnamigen Stadtteil, bei dem in den 80ern aus bis heute ungeklärter Ursache 13 schwarze Jugendliche ums Leben kamen.
Gerade angesichts des Windrush-Skandals wirkt seine Musik erschreckend aktuell. Viele, die damals als Jugendliche die Dubbewegung miterlebten, reisten als Kinder ohne Pass nach Großbritannien ein. Das Innenministerium schob einige von ihnen vor zwei Jahren unrechtmäßig in die Karibik ab. Der Song "Inglan is a Bitch" handelt vom Rassismus, den Kwesi Johnson tagein, tagaus erfahren musste. Darin heißt es: "England is a bitch, there's no escaping it, England is a bitch, and I don't lie, I tell the truth."

Londons aktive Reggaeszene

Nach Jamaikas Hauptstadt Kingston hat London bis heute die meisten Spezialläden für Reggae. Das ist ein Indiz dafür, wie aktiv die Szene ist. Und jeder, der schon einmal beim Notting Hill Carnival war, weiß das.
Aus riesigen Lautsprecherstapeln, den Soundsystems, schallt jedes Jahr zum Karneval im August Reggae und Dub auf die Straßen von Notting Hill. Das Soundsystem von Channel One turmt inmitten des Museums. Nach dem Feuer im Grenfell-Turm 2017 gedachte die Crew der überwiegend schwarzen Opfer.
Viel, so scheint es, hat sich seit damals nicht verändert. Die Ausstellung verdeutlicht: Im Kampf gegen den Rassismus hat Großbritannien noch einen weiten Weg vor sich – und Dub damit immer noch eine hallende, bassdröhnende Dringlichkeit.

Die Ausstellung "Dub London: Bassline of a City" ist noch bis zum 31. Januar im Museum of London zu sehen.

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