Berlinale-Reihe mit indigenen Filmen

Gegen das Folklore-Klischee

Von Wolfgang Martin Hamdorf |
Bei der filmischen Darstellung indigener Völker geht es häufig mehr um die bunte exotische Oberfläche als das Verständnis für die kulturelle Identität. Die Berlinale-Sonderreihe "NATIVe" versucht den Klischees entgegenzuwirken.
1997 wird im U-Bahnhof des Pariser Louvre ein Wandgemälde enthüllt. Es bildet den spirituellen Kosmos des indigenen Volkes der Huichol im Süden Mexikos ab. Zum feierlichen Akt sind hohe Politiker gekommen, Bürgermeister und Präsidenten. Der Künstler ist nicht dabei. Er wurde nicht eingeladen, er wurde nicht einmal bezahlt.
Der mexikanische Filmemacher Nicolás Echevarría setzt die Episode bewusst an den Anfang seines Dokumentarfilms über den 74-jährigen indigenen Künstler Santos de la Torre, weil sie charakteristisch ist für den Umgang mit der indigenen Kultur: Geliebt wird die bunte exotische Oberfläche, tiefer geht das Verständnis für die kulturelle Identität nicht.

Alles zur Berlinale:
Unser Berlinale-Blog
Unser Berlinale-Portal

"Eco de la Montaña" eröffnete mit großartigen Bildern von Menschen und Landschaften das Programm der "NATIVe". Der 67-jährige Regisseur Nicolás Echevarría ist ein Veteran des mexikanischen Kinos .Er setzt sich in seinen Filmen seit Jahren intensiv mit den indigenen Kulturen seiner Heimat auseinander. Für seine Filme lebte er bei den Huichols in der westlichen Sierra Madre.
"Gut, das war meine Leidenschaft, da hing ich wirklich dran, und mit diesem Interesse für das indigene Kino war ich damals noch ein Pionier. Aber die indigene Kultur hat mich immer als Filmemacher und niemals als Anthropologe oder Ethnologe interessiert, ich wollte die indigenen Geschichten über Bilder erzählen."
Dokumentation und Solidarisierung
Diese dokumentarische Auseinandersetzung mit den indigenen Kulturen war bereits in den 60er- und 70er-Jahren für die politisch engagierten Filmemacher des "nuevo cine latinoamericano", des "Neuen Lateinamerikanischen Film" ein ganz wichtiges Anliegen. Dabei ging es immer auch darum, sich mit den indigenen Völkern zu solidarisieren, bewusst gegen die offizielle eurozentrierte Geschichtsschreibung des Subkontinentes. Erst später kamen die Kooperativen und die Eigeninitiativen der indigenen Gemeinschaften dazu.
Diese unterschiedlichen Ausgangspunkte spiegeln sich auch im Filmprogramm der "NATIVe" wider. Man habe keinen Anspruch auf ethnologische oder anthropologische Reinheit, sondern setze auf die Vielfalt der Ansätze,sagt die Kuratorin der Reihe Maryanne Redpath.
"Wir sind nicht so radikal, dass wir sagen, wie manche puren indigenen Filmfestivals, dass wir nur Filme nehmen, wo alles von indigenen Quelle kommt, also Regie, Drehbuch, auch die Storys und so weiter. Also wir haben das so ein kleines bisschen aufgelockert und mischen uns in die Grauzonen ein, also im Programm dieses Jahr gibt es Filme von indigenen Filmemachern als auch nicht indigenen Filmemachern."
18 kurze, mittellange und abendfüllende Filme von Mexiko bis ins abgelegene Patagonien sind in der Reihe zu sehen, die meisten davon Dokumentarfilme. Viele davon sind eine Antwort auf die lange Vereinnahmung des eigenen Bildes, gegen die Reduzierung auf Folklore-Klischees, etwa auf den mit bunten Federn geschmückten exotischen Statisten im Abenteuer- oder Historienfilm, über die so genannte "Entdeckung" und Eroberung Amerikas durch die spanischen Konquistadoren. Dem versuchen die indigenen Filmemacher eine eigene Vision ihrer Kultur entgegenzusetzen.
"Es geht um das Bild (...), wie kann man mit Medien wie Video oder Film das Bild zurückerobern? Natürlich, dann nehmen die die Kamera in die Hand und das ist sehr unterschiedlich gezeigt in verschiedenen Filmen quer durch das Programm. Manchmal auch sehr lustvoll und sehr humorvoll, ich finde das auch ganz toll.(...) Es fordert einen heraus, näher zuzuhören, zu gucken, was da los ist, und auch darüber nachzudenken. Und das ist überhaupt so ein Ziel der Berlinale Native."
Zahlreiche Facetten des indigenen Lebens
Dokumentiert werden Riten und Bräuche, etwa ein mehrtägiges Fruchtbarkeitsfest im Mato Grosso in Brasilien. Andere setzen sich mit der eigenen Geschichte auch im Rückgriff auf alte Archivbilder auseinander. Ein Dokumentarfilm aus Ecuador zeigt das Leben von indigenen Ringerinnen. Erzählt wird auch vom Kampf um die eigenen Rechte, gegen den Landraub und die Vertreibung aus den ursprünglichen Siedlungsgebieten.
Die Reihe präsentiert zahlreiche Facetten des indigenen Lebens auf dem Subkontinent, eine Vielzahl von Sprachen, Völkern und Filminitiativen. Die Entwicklung der digitalen Kameratechnik hat auch kleine Filmgruppen in noch so abgelegenen Regionen des Amazonas oder der Anden befördert. Die Reihe macht aber auch deutlich, dass die indigene Kultur in Lateinamerika immer auch Produkt eines Fusions- und Wandlungsprozesses ist, dass es die ethnologisch reine, oder unverfälschte Kultur des sogenannten "edlen Wilden" nicht gibt. Sehr eindrucksvoll zeigen das einige Filme über religiöse Riten und Bräuche:
"Also die Verschmelzung zwischen indigener Religion, Kultur und die angekommene christliche Religion ist zu sehen in mehreren Filmen. Und das ist auch manchmal superschräg, wie das sich verschmolzen hat und wie die indigenen Kulturen an ihren alten Religionen und Traditionen doch noch festhalten und durchgesetzt haben und durchsetzen können in religiösen Zeremonien, das ist ganz toll."
Mehr zum Thema