Max Porter: "Lanny". übersetzt von Matthias Göritz und Uda Strätling
Kein & Aber, 2019. 224 Seiten, 22 Euro
In seiner Literatur ist Musik drin
04:35 Minuten
"Erzählst du am Lagerfeuer eine Geschichte, die nicht taugt, stehen die Leute auf und gehen." Ein Gespräch mit Großbritanniens literarischem Wunderkind Max Porter über mündlichen Erzählstil und die Brexit-Befindlichkeiten seiner Landsleute.
Das kleine englische Dorf in Max Porters neuem Roman schwatzt und schmatzt, ächzt, flucht, säuft und atmet - während draußen im Wald Altvater Schuppenwurz lauert.
Diese Sagengestalt, halb Waldschrat halb Pflanze, heißt im englischen Original Dead Papa Toothwort. Ein Name, wie ihn auch ein cooler Rapper tragen könnte. Kein Zufall, erklärt mir der Schöpfer von Dead Papa Toothwort, der junge britische Literaturstar Max Porter:
"Er steht für die Märchen - und Fabeltradition, die ja auf mündlicher Überlieferung beruht. Und klar - wenn Du am Lagerfeuer eine Geschichte erzählst, die nicht taugt, die keinen Rhythmus und keine Energie hat, dann stehen die Leute eben auf und gehen. Warum sollte ein Buch also keine musikalische Seele haben? Ich höre beim Schreiben Musik, die groovt, viel afrikanische Blues-Musik. Vielleicht hat das einen Effekt. Ja. Und: Beim Schreiben kann man ja eine Figur erfinden, deren Sprache sehr besonders ist. Und Altvater Schuppenwurz ist eine Art Prediger, dessen Sprache die Energie von Hip-Hop und Poesie atmet."
Ein sympathischer, bodenständiger Slacker
Max Porter ist Jahrgang 1981, auffällig groß, ein sympathischer, bodenständiger Slacker mit offenem Blick und coolen Klamotten.
Seine Dissertation in Kunstgeschichte ließ er vor einigen Jahren sausen, um unabhängiger Buchhändler zu werden. Sein Engagement brachte ihm den Preis als "Young Bookseller of the Year" ein, einige Jahre als Lektor im renommierten Granta-Verlag schlossen sich an.
Und dann schrieb Porter seinen Debüt-Roman "Trauer ist das Ding mit Federn", mit einer riesigen, sprechenden Krähe als Trauerhelfer. Eine Sensation von einem Buch.
Ebenso eigenartig wie die Erzählungen selbst ist die Form von Max Porters Romanen: radikale Hybride, zwischen Novelle, Gedichtsammlung und einer Abfolge dramatischer Dialoge. Angereichert mit fließenden, ungemein musikalischen Bewegungen zwischen Gedanken, Träumen, Fantasien und Wünschen der verschiedenen Charaktere - und besonders im neuen Roman "Lanny" mit vielen aktuellen Verweisen auf die gespaltene britische Gesellschaft, auf fremdenfeindlichen Ressentiments, auf Sozialneid und Orientierungslosigkeit. "Lanny" kann, neben vielen anderen Lesarten, auch als "Post-Brexit"-Roman gelten.
"Es gibt niemanden mehr, der wirklich dagegenhält"
Und tatsächlich beeunruhigt Max Porter die aktuelle politische Situation in seinem Heimatland massiv:
"Da ist gerade jede Menge Hass in Großbritannien, und ich habe keine Idee, wie man das wieder befrieden kann. Jahrelang haben wir uns über die lustig gemacht - der lächerliche Boris Johnson, die putzige Theresa May mit ihren komischen Schuhen. Tanzt wie ein Roboter. Plötzlich sind all diese Witze unwitzig, leer und hohl, weil es niemanden mehr gibt, der wirklich dagegenhält..."
Für Max Porter gehört sein Heimatland geografisch, politisch und kulturell untrennbar zu Europa. Die drohende Abspaltung macht ihn fassungslos.
"Die besten Analysen finde ich in der Literatur"
Rettung aus der verfahrenen Situation erwartet er höchstens von der Kunst:
"Die besten Analysen finde ich in der Literatur. In 'Anna Karenina', wo eine zerstörerische Person ein fragiles Ganzes zusammenstürzen lassen kann - das gibt mir auch das Gefühl, dass es immer schon solche Verrückten gegeben haben muss - vor allem in Großbritanien. Wir sind immer von totalen Knalltüten regiert worden, und die normalen Leuten hatten darunter zu leiden und mussten sich einen Reim darauf machen. Sie mussten mit der Kunst gegenhalten. Das tröstet mich, wenn ich mal wieder in großer Sorge bin."
Seine Leser tröstet Max Porter gleich mit, genauso wundersam und magisch wie es seine Krähe im Debütroman vermocht hat.