Ende für den "Außenposten des freien Denkens"
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Der "Bookworm" im Herzen Pekings ist Café, Bibliothek und Treffpunkt für Dichterinnen, Autoren, Musikerinnen und andere Kulturschaffende. Jetzt wird der Mietvertrag nicht verlängert. Angeblich passt der Laden nicht mehr in die Nachbarschaft.
Jane Austen, Franz Kafka, Toni Morrison: Jede Holzstufe hat eine andere Farbe und trägt den Namen einer Schriftstellerin oder eines Schriftstellers. Die schmale, steile Außentreppe an dem rosafarbenen Gebäude im Pekinger Stadtteil Sanlitun führt durch zwei Glastüren in den "Bookworm".
Der "Bookworm" ist Café, Restaurant und Kneipe – aber auch Bibliothek, Buchladen und Kulturzentrum. Autoren stellen hier ihre neuen Bücher vor, Wissenschaftler ihre Thesen, Musiker ihre Lieder.
Paul Adkins hat zehn Jahre in Peking gelebt und ist auf Geschäftsreise in der Stadt. Der Australier hat gehört, dass der "Bookworm" schließen muss – und ist deshalb vorbeigekommen:
"Ich höre einfach den Gesprächen um mich herum zu. Es ist intellektuell, es ist offen, es geht um Ideen. Und es ist eine Art von Gemütlichkeit, diese Kombination hier aus Büchern und den Holzregalen. Ich bin in meiner Pekinger Zeit immer sehr gerne hier hingekommen. Es ist wie ein Außenposten der Freiheit, der freien Gedanken und des freien Denkens. Etwas, das man sonst so selten in China findet."
Instititution auch für Intellektuelle aus Ausland
Im Jahr 2005 hat der "Bookworm" eröffnet – und hat sich schnell zu einer Institution entwickelt. Für Ausländer, die in Peking leben, aber auch für chinesische Kulturschaffende. Etwas, das von den Behörden nicht geschätzt, aber geduldet wurde – bis jetzt. Der "Bookworm" bekommt seinen Mietvertrag nicht mehr verlängert. Das Gebäude ist in die Jahre gekommen und die Stadt Peking ist seit zwei Jahren dabei, Läden und Lokale abzureißen, die nicht ins saubere Stadtbild passen.
Kristin aus den USA lebt seit vielen Jahren als Autorin in Peking:
"Es hat sich so viel verändert in den vergangenen Jahren. Sie haben viele Bars und Clubs zerstört – oder Läden, die anscheinend nicht die richtigen Sicherheits- oder Brandschutzstandards hatten. Die Substanz dieses Gebäudes ist in der Tat nicht die beste, und es kann sehr gut der Grund sein, warum sie schließen müssen. Die Behörden haben einfach entschieden: Das hier ist nicht sicher - und außerdem soll die Nachbarschaft einen anderen Charakter haben."
Offizieller Grund ist meist der Brandschutz
Die Säuberungskampagne der Pekinger Stadtregierung steht bei Kritikern auch im Verdacht, dazu zu dienen, unliebsame Einrichtungen und auch Menschen loszuwerden. Versteckte Punkrock-Konzertclubs mussten ebenso weichen wie Wanderarbeiter aus ihren halblegalen Unterkünften. Offizieller Grund ist meist der Brandschutz. Unsichere, illegale und halblegale Strukturen sind nicht erwünscht. Tatsächlich liegt der "Bookworm" in einem alten Gebäude mit viel Holz. Ein paar Meter weiter steht ein neues Hotel, das etwa zehnmal so hoch ist und gläsern glänzt.
Helen Wing ist Lyrikerin aus England. Sie lebt in Peking – und hat im "Bookworm" immer wieder geschrieben und Workshops gegeben:
"Es ist eine Schande, eine richtige Tragödie. Der 'Bookworm' ist der einzige Ort hier, der Schreiber zusammenbringt: Journalisten, Lyriker, Historiker, Romanautoren, Sach- oder Drehbuchautoren. Es war auch der erste Ort, der in Peking einen jährliches Literaturfestival organisiert hat, das unglaublich populär wurde. Ein Literaturfestival, wo jeder dabei sein wollte, der irgendetwas mit China oder mit dem Schreiben zu tun hatte. Der 'Bookworm' hat die Literatur und auch den kulturellen Austausch verschiedener Gruppen gefördert wie meines Wissens kein anderer Ort in Peking."
Der "Bookworm" hat auf seiner Internetseite angekündigt, einen neuen Ort in Peking suchen zu wollen. In der Hoffnung, dass sich, wenn sich eine Tür schließt, eine andere öffnet. Am Sonntag soll der "Bookworm" an dieser Stelle zum letzten Mal öffnen – in Peking geht dann eine Ära zu Ende.