China baggert in Afrika

Die "Sandmafia" am Victoriasee

Der Victoria-See in Uganda
Am Victoriasee in Uganda wird so langsam aber stetig das empfindliche Ökosystem gestört. © dpa / picture alliance / Pat Morris / ardea.com
Von Simone Schlindwein |
Sand ist eine knappe Ressource. Das macht sich auch am Victoriasee in Uganda bemerkbar, wo chinesische Unternehmen Unmengen an Sand abbaggern lassen. Obwohl das nach ugandischem Recht illegal ist.
Am Strand vor Ugandas Hauptstadt ist immer viel los. Von hier aus sieht der Victoriasee mit seinen Dutzenden hügeligen Inseln aus wie ein Meer. Wenn der Wind pfeift, treibt dieser meterhohe Wellen über die gigantische Fläche. Heute ist es windstill. Dutzende kleine und größere Boote schaukeln im seichten Wasser. Fischer laden ihre Beute aus, die sofort weiterverarbeitet wird. An unzähligen kleinen Holzbuden sitzen Frauen auf Schemeln, filetieren und frittieren eifrig die Fische für ihre Gäste. Wie überall an den Ufern des gigantischen Sees, an dem rund 20 Millionen Menschen leben, verdienen sich auch hier viele ihr Einkommen mit dem Fischfang. Auch der 24-jähirge Hakim Abdulaye Kakiro, der gerade einen großen Eimer voller zappelnder Fische aus dem Boot wuchtet.
"Das hier ist der Victoriabarsch. Der bringt mir viel Geld ein, fast 20.000 Schillinge. Das ist gut. Doch man muss mittlerweile sehr weit hinausfahren, um diesen zu fangen. Hier in Ufernähe gibt es nur noch wenige Fische, hier fange ich nur die kleinen für 5000 Schillinge. Für die großen muss man sehr weit hinaus."
Der Fischbestand im Victoriasee schrumpft seit ein paar Jahren dramatisch. Ein Grund ist die extreme Überfischung, weswegen die Regierung das Fischen in Ufernähe vorrübergehend untersagt hat. Doch das Fischsterben hat noch andere Ursachen.
Neben dem Strand ragt eine Anlegestelle in den See hinein. Von hier aus werden Schiffe be- oder entladen: Manche bringen Bananen oder Kokosnüsse, die auf den Inseln wachsen und in Kampala verkauft werden. Regelmäßig legen hier aber auch größere Frachter an: voll beladen mit Sand. Mit Schaufeln und Schubkarren löschen Arbeiter die Ladung. Sie häufen gewaltige Sandberge am Ufer an, dann fahren die Boote wieder hinaus.

"Der Schlauch reicht bis zum Boden des Sees hinunter"

Ungefähr eine Stunde dauert die Fahrt mit einem kleinen Motorboot hinaus auf den See: Der Wind pfeift auf hoher See. Die Wellen sind hoch. Das Wasser ist trüb und riecht leicht faulig, wie eine abgestandene Pfütze.
Ziel ist eine schwimmende Plattform. Männer wuchten hier einen dicken Schlauch an Deck des anliegenden Frachters. Sand quillt mit großem Druck aus dem Rohr, daneben knattert ein Dieselgenerator. Langsam füllt sich der Bauch des Schiffs. Einer der Männer erklärt, was sie hier tun.
"Der Schlauch reicht bis zum Boden des Sees hinunter, er pumpt dort unten Sand ab. Hier oben kommt Wasser und Sand heraus. Wir lassen den Bauch des Schiffs volllaufen, das Wasser fließt hier seitlich ab und der Sand fließt hier in das Boot."
Täglich pumpen die Männer Sandladungen im Umfang von zwölf Lastwagen aus dem See. Wohin sie den Sand liefern, wollen sie nicht sagen. Denn was hier vor den ugandischen Ufern geschieht, ist illegal, aber äußerst lukrativ. Sand gehört zu den Rohstoffen, die weltweit stark gefragt sind.
Nur wenige Kilometer vom Ufer des Sees entfernt, wird gebaut. Chinesische Ingenieure errichten eine Leitplanke an einer Brücke über den Sumpf. Hier entsteht eine Schnellstraße zum Flughafen. Ob beim Bau von Häusern, Brücken oder Staudämmen – überall wo Zement, Beton oder Asphalt verarbeitet wird, ist Sand der Hauptbestandteil. Sand und Kiesel machen derzeit 85 Prozent der global geförderten Rohstoffe aus, so eine Studie der UN-Umweltagentur UNEP. Das ist weit mehr als Kupfer oder Kobalt. Und mit zunehmender Urbanisierung mittlerweile auch in Afrika – steigt die Nachfrage. UNEP warnt: Die letzten zugänglichen Sandvorkommen liegen in den großen Südwasserseen – vor allem im Victoriasee. Hier gibt es abertausende Kilometer sandige Strände und Sumpfgebiete.

Gefahr für das Ökosystem

"Sandabbau gab es hier schon immer, denn all unsere Gebäude hier sind ja auch aus Sand gebaut. Die Frage ist aber: Wie wurde es betrieben und wo? Bislang stammte der Sand von Ablagerungen an Stellen, wo der Abbau der Umwelt nicht schadet."
Matthias Bwanika klagt über Bluthochdruck. Seit über zwei Jahren kämpft der Vorsitzende des ugandischen Verwaltungsbezirks Wakiso gegen die Sandmafia, wie er sie nennt. In Wakiso liegen die größten und längsten Uferabschnitte und Inseln des Landes. Ein Großteil sind Sumpflandschaften in welchen Papyrus wächst, die natürliche Kläranlage des Sees. Dass dieses Ökosystem intakt bleibt, ist für viele Anrainer lebensnotwenig. Auch weil die Mehrheit der Bevölkerung hier vom Fischfang lebt. Aber das Ökosystem sei in Gefahr, fürchtet Bwanika.


"Jüngst erleben wir hier eine Invasion der Chinesen. Diese Investoren sind sehr eng vernetzt mit wichtigen Leuten ganz oben in der Politik: Konkret meine ich hier General Salim Saleh, der Bruder von Präsident Museveni. Die Chinesen haben Schiffe gebaut, mit gewaltigen Pumpen. Damit fahren sie in die Mitte des Sees. Mit Schläuchen saugen sie nicht nur Sand, sondern auch alles andere heraus. In sehr großen Mengen. Tonnenweise. Dann fahren sie das Schiff an den Hafen und laden es dort ab."
Ein Mann paddelt durch ein Sumpfgebiet am Victoriasee, Uganda. 
Sumpfgebiet am Victoriasee: Ein intaktes Ökosystem ist lebensnotwendig für die Bewohner.© imago/blickwinkel

Zahlreiche Briefe an Ministerien

Der kleine, untersetzte Bezirksvorsteher sitzt in einem heruntergekommenen Verwaltungsgebäude an seinem Schreibtisch. Er öffnet einen dicken Aktenordner mit der Aufschrift "Sandabbau" und blättert darin.
In den vergangenen Jahren hat Bwanika zahlreiche Briefe an verschiedene Ministerien geschickt; um auf den illegalen Sandabbau am See aufmerksam zu machen. Doch die Regierung hat im Umgang damit ein Problem: Sandabbau ist gesetzlich nicht reguliert, denn bislang gab es immer nur kleine Abbaugebiete. Jetzt zählt Bwanika aber allein in seinem Bezirk knapp zehn Unternehmen, die den Sand tonnenweise abtransportieren. Im parlamentarischen Untersuchungsbericht von 2016 ist allein im Lwera-Sumpf von 24 Abbaugebieten die Rede. Bwanika hat Fotos davon: Was einmal eine grüne Landschaft war, mit Vogelnestern und Schmetterlingen – sieht jetzt aus wie ein Industriegebiet. Bagger haben tiefe Spurrillen in der Sumpflandschaft hinterlassen. Die meisten Unternehmen stammen aus China.

Der General und der chinesische Manager

"Wir haben klare Regeln. Wer auch immer ein Unternehmen startet, welches die Umwelt betrifft, muss sich um ein Umweltverträglichkeitszertifikat bemühen. Ich bin dann dort persönlich hingegangen, um zu sehen, was da passiert. Die Situation war wirklich katastrophal und gefährlich. Die Bevölkerung erzählte mir, die Fischer seien vertrieben worden, sowie die Bevölkerung. Unsere Umweltbehörde NEMA kam daraufhin mit der Polizei. Sie haben die Maschinen beschlagnahmt und haben die Arbeiter festgenommen. Doch dann riefen hochrangige Leute in der Regierung den Polizeikommandanten an – Mitten in der Nacht. Sie haben ihm gedroht. Die Chinesen wurden sofort freigelassen. Da wurde mir klar: da sind ganz große Mächte am Werk."
Die "Mächte" von denen Bwanika hier spricht, sind landesweit bekannt: Es ist General Caleb Akandwanaho, bekannt als Salim Saleh. Der jüngere Bruder von Präsident Museveni hat das Land 1986 als Rebellenführer erobert. Bis heute ist er Musevenis Sicherheitsberater und Vorsitzender der "Operation Wohlstandsgenerierung". Salims Vize, Charles Angina, ist in der Broschüre der chinesischen Firma Mango Tree abgelichtet, die mit dem Schiff Sand abpumpt. Er steht direkt neben dem chinesischen Manager.
"Mango Tree ist eine sehr seltsame Firma. Sie haben sich als Schifffahrtsunternehmen registriert. Aber immer nachts sind sie rausgefahren zu den Inseln und haben Sand abgepumpt und dann verkauft. Ich habe auch Mitarbeiter von Mango Tree verhaften lassen. Daraufhin habe ich einen Anruf bekommen: von General Salim Saleh persönlich! Er hat sich für die Chinesen stark gemacht. Sie seien Investoren, hätten Millionen Dollar angelegt. Ich habe entgegnet: Das mag ja alles ok sein, doch es ist und bleibt eine Umweltkatastrophe."

Alle großen Bauprojekte sind in chinesischer Hand

Mango-Tree Manager Fan Shu Chun sitzt in Polo-Shirt, Jeans und Sandalen in einem chinesischen Restaurant in Kampala. Es ist viel los zur Mittagszeit. Viele chinesische Investoren treffen sich hier mit ihren Geschäftspartnern. Auch, weil fast alle großen Bauprojekte in Uganda von Chinesen umgesetzt werden. Die Staudämme am Nil, die Überlandstraßen, die neue Eisenbahnlinie – China zählt zu den wichtigsten Partnern der Afrikaner. Verhandelt werden diese Deals meist von Präsident Yoweri Museveni höchstpersönlich – bzw. von dessen Bruder Saleh. Auch Manager Chun lobt die guten Beziehungen zum zweitwichtigsten Mann im Land.


"Der Victoriasee ist der größte See der Welt, aber es gibt kaum Schifffahrtsverkehr. Um diesen aufzubauen, muss man Schifffahrtkanäle bauen, da der See nicht sehr tief ist für tiefliegende Frachtschiffe. Wir haben also jetzt in Uganda ein Schiff gebaut, das mit einem Bagger den Seeboden ausgräbt und den Kanal tiefer und breiter macht. Das ist wichtig für den neuen Transporthafen, der gerade gebaut wird. Unser Baggerschiff ist das einzige dieser Art auf dem Victoriasee."
Fischerboot am Victoriasee, Tansania
Auf dem größten See der Welt gebe es kaum Schiffsverkehr. © picture alliance/dpa/mageBROKER/Reinhard Marscha
Als Beweis zeigt er Fotos in einer Firmenbroschüre: ein 70 Meter langes Schiff mit einem gewaltigen Bauch. Ein Gigant im Vergleich zu den anderen Fähren und Transportbooten, die auf dem See bislang kreuzen. Das Schiff sieht seltsam aus: Seitlich ragt ein riesiger Schlauch heraus, ähnlich einem gewaltigen Staubsauger. Ein riesiges Förderband spannt sich über den Bug über das die Fracht – Geröll und Sand – aus dem Schiffsbauch hinaus ans Ufer transportiert werden soll. Manager Chun zeigt auf den Bohraufsatz am Ende des Schlauchs. Dies sei kein Sauger, sondern ein Bagger, versichert er.
"Die Ugander kennen diese Schiffe nicht. Sie denken, wir pumpen damit Sand ab. Dabei baggern wir Kanäle aus für den Hafen. Natürlich liegt da unten auch Sand am Seeboden. Aber auch Müll. Wir baggern alles aus. Am neuen Fracht-Hafen in Bukassa ist der See nur zwei Meter tief, da brauchen die Schiffe aber sechs bis acht Meter Tiefe, um anlanden zu können. Als wir unser Schiff fertig gebaut hatten und es im Jahr 2016 zum ersten Mal getestet haben, haben die Ugander uns beschuldigt, illegal Sand abzupumpen. Aber diese Leute verstehen nichts von unserem Geschäft."

Keine Lizenz für die Baggerarbeiten

Mango Tree habe eine Schiffbaulizenz und er habe sich um eine Baggerlizenz beworben, sagt Chun. Diese wurde ihm zu Beginn des Jahres von der Umweltbehörde verweigert, klagt der Manager. Jeder Tag, an dem das Schiff am Ufer liege, sei ein Verlustgeschäft. Auf die Frage, warum die Polizei auf die Initiative von Bezirksvorsteher Bwanika ein Verfahren wegen illegalen Sandabbaus eingeleitet und NEMA ihn im Februar in einem Brief ausdrücklich gemahnt hatte, "jeglichen Sandabbau im Victoriasee unverzüglich einzustellen", wird er verlegen und winkt ab. Er will nicht erklären, warum er 20 Millionen Dollar in ein Schiff investiert und 16 Hektar Land für eine Werft erstanden hat, ohne eine Lizenz für die Baggerarbeiten zu haben.
"Das ist eine wirklich seltsame Geschichte, die die Chinesen da erzählen. Ich war selbst auf dem Schiff – sechs Tage lang – und habe mir angesehen, wie das funktioniert."
Jerome Lugumira ist der für Böden und Rohstoffe zuständige Experte in der Umweltbehörde NEMA. Ugandas führender Sandwissenschaftler versucht jedem verlorenen Sandkorn im Land nachzugehen. Im vergangenen Jahr hat Mango Tree bei NEMA einen Antrag gestellt, aber nicht für Baggerarbeiten für den Schifffahrtskanal, wie Manager Chu dies behauptete, sondern für Sandabbau, erklärt Lugumira, der den Antrag bearbeitet hat.

Wöchentlich werden bis zu 1000 Tonnen abgepumpt

"Diese Leute lügen. Ich habe hier Fotos, die ich auf dem Schiff gemacht habe, die genau zeigen, wie das funktioniert. Hier sind die Bilder vom Bauch des Schiffes. Sieht das aus wie Material, das ausgebaggert wird? Das ist doch reiner Sand, oder? Das ist Hundertprozent Sand aus dem See. Ich war ja dort drauf. Das ist ihr Schiff und hier, diese Silos. Wir haben das mal ausgerechnet. Um diese Menge an Sand zu löschen, benötigt man bis zu 140 Lastwagen, um ihn abzutransportieren."
Ein Untersuchungsbericht des Parlaments schätzt, dass Mango Tree wöchentlich bis zu 1000 Tonnen aus dem See abpumpt. Lugumira sieht bereits gravierende Folgen des Sandabbaus.
"Was hier passiert ist das Gegenteil von dem, was die Regierung plant, um die Fischbestände zu erhöhen. Vergangenes Jahr wurden 14 Fischereibetriebe geschlossen, weil es kaum mehr Fische gab im See. Unsere Erhebungen zeigen jetzt: Die Bestände erholen sich. Aber mit diesem Sandabbau wird das gefährlich. Denn Fische legen ihre Eier am Strand ab. Viele kleine Fische verstecken sich im Sand vor größeren Raubfischen. Der Sandabbau wirbelt auch den Seeboden auf. Damit wird das Wasser über sechs bis 18 Stunden trübe. Das schadet der Photosynthese des Planktons, von welchem sich einige Fische ernähren. Also es schadet der Nahrungskette der Fische."
Im Februar hat Lugumira Mango Tree Manager Chu einen Brief geschrieben und ihm mit Verhaftung gedroht, wenn die nicht den Sandabbau auf dem See unverzüglich einstellen. Denn eins ist für Lugumira klar:
"Unser Gesetz erlaubt keinerlei wirtschaftliche Aktivitäten auf Flüssen und Seen. Das bedeutet: Sandabbau ist absolut illegal."
Auch er hat daraufhin Drohanrufe von General Saleh erhalten, der seine schützende Hand über die Machenschaften von Mango Tree hält. Lugumira spricht jetzt von der chinesischen Sandmafia, die den Victoriasee zerstört – mit schlimmen Folgen für Natur und die Menschen, die am See leben.
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