Claudia Durastanti und ihr Roman "Die Fremde"

"Meine gehörlose Mutter ist wie eine Romanfigur"

12:58 Minuten
Porträt einer jungen Frau mit schwarzen schulterlangen Haaren und schwarzem Shirt vor schwarzem Hintergrund: Das Gesicht mit den markanten dunkeln Augenbrauen und dunkeln Augen tritt hell hervor. Die Frau schaut ernst, klar, aber auch ausdruckslos in die Kamera.
Claudia Durastanti, Jahrgang 1984, ist in New York geboren und kam als kleines Mädchen nach Italien. Als Kind tauber Eltern flüchtete sie sich in die Welt der Bücher. © Lucas Agutoli
Claudia Durastanti im Gespräch mit Joachim Scholl · 11.03.2021
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Claudia Durastanti wuchs in einem süditalienischen Dorf als Kind tauber Eltern auf. Ihre Mutter sprengte stets die starren Regeln der Konventionen und foppte die Dorfbewohner mit ausgedachten Geschichten. Davon erzählt Durastanti in „Die Fremde“.
Claudia Durastanti wurde 1984 in Brooklyn geboren. Doch aufgewachsen ist sie in einem konservativen süditalienischen Dorf. Damals habe sie sich als Kind in die Welt der Bücher zurückgezogen, erzählt sie. Denn die Familienverhältnisse waren mehr als ungewöhnlich und sprengten die streng festgelegte Normalität.
Die Mutter arbeitete nicht, sie malte höchstens ein bisschen, verschwandt auch mal. Ähnlich der Vater: Auch er hatte keinen richtigen Beruf, zockte im Casino. Mal war Geld da, oft keins – und immer herrschte Chaos. Hinzu kam: Beide Eltern waren taub. Sie konnten nicht hören und nur sehr schwer sprechen.
Die Auseinandersetzung mit der Sprache in ihrer Familie, die sehr intime, eigene und fehlerhafte Art zu sprechen, bildeten den Ausgangspunkt für das Buch, sagt die Schriftstellerin, die heute in London lebt. Ihr Buch "Die Fremde" changiert zwischen Autobiografie, Roman und Essay.

"Sie war eine Bombe"

Hinzu kamen die Erfahrungen der Tochter mit dem exzentrischen Verhalten der Mutter, das sie als seltsam und desorientierend erlebte: "Sie fiel komplett aus der ihr zugeschriebenen Rolle", sagt Durastanti. "Sie war eine Art Bombe, die bei ihren Explosionen viele Facetten hinterließ" - eine romanhafte Figur.
Weil die Mutter als Gehörlose anders sprach, hielt man sie in dem kleinen Ort automatisch für eine "Fremde", eine Ausländerin. Daraus machte sich die Mutter einen Spaß und erfand sich selbst neu, sie veräppelte die Leute und erzählte ausgedachte Geschichten.
"Meine Mutter war eine unabhängige Frau, sie war eine Feministin, sie war Exzentrikerin und sie hat viel getrunken", sagt Durastanti. Zu ihrem Stolz gehörte es, als "Fremde" und eben nicht als behinderte Person gesehen zu werden.

Neuerfindung als "Fremde"

Als Kind sei ihr das zunächst peinlich gewesen. Hinzu kam Wut, dass die Mutter sich offenbar nicht so akzeptieren konnte, wie sie auf die Welt gekommen war.
"Aber dann habe ich verstanden, dass ihre Entscheidung, als Fremde wahrgenommen zu werden oder sich zur Fremden zu machen, auch ein Zeichen von Freiheit war", meint die Schriftstellerin.
(huc)

Claudia Durastanti: Die Fremde
Übersetzt aus dem Italienischen von Annette Kopetzki
Zsolnay-Verlag, 304 Seiten, 24 Euro

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