Damir Ovčina: "Zwei Jahre Nacht". Roman
Aus dem Bosnischen von Mascha Dabić
Rowohlt Berlin, Berlin 2019
750 Seiten, 26 Euro
Nur Straßen und Pistolen tragen Namen
06:27 Minuten
Gedemütigt, vergewaltigt und exekutiert: Der Krieg in Bosnien hat tiefe Wunden gerissen. Damir Ovčina beschreibt in seinem Roman "Zwei Jahre Krieg" diese Zeit: Kaum erträglich sind die geschilderten Schrecken.
"Zwei Jahre Nacht" erzählt vom Überleben in einem Lager, das bis dahin ein Stadtteil von Sarajewo war. Ein 18-Jähriger, dessen Mutter gerade gestorben ist, besucht ein Mädchen im Stadtteil Grbavica. Doch abends fahren weder Bus noch Straßenbahn zurück. Die Serben haben das zentral gelegene Viertel besetzt und belagern Sarajewo. Für sie ist der junge Bosnier ein "Türke". Die Nacht hat begonnen.
Der namenlose Erzähler geht zurück zur Wohnung, in der er das Mädchen getroffen hat. Unten im Haus wohnt eine kaum ältere Serbin mit ihrer Großmutter. Sie hilft ihm erst aus Nächstenliebe, dann aus Liebe, und es ist vor allem diese lebensgefährliche, keusch erzählte Beziehung, die das Buch erträglich macht.
Zwangsdienst in einer Arbeitsbrigade
Damir Ovčina, Jahrgang 1973 und Schuldirektor in Sarajewo, schont die Leser nicht. Wer nicht Serbe ist in Grbavica, wird als Feind nach Lust und Laune drangsaliert, erpresst, gedemütigt und entführt, deportiert, gefoltert, vergewaltigt und exekutiert.
Ovčinas Erzähler muss mit anderen Bosniern in einer Brigade arbeiten, die die zahlreich herumliegenden Leichen einsammelt und verscharrt. Auf Bitten des Brigadekommandeurs spricht der Nichtgläubige an jeder Grube einige Worte wie ein islamischer Religionsgelehrter. "Als ich Hodža war" lautet der Originaltitel des Romans.
Immer wieder zückt ein Serbe beim Anblick der "Türken"-Brigade voller Hass die Waffe, und der Kommandeur muss sich vor seine Arbeiter stellen. Er missbilligt die Verbrechen und verspricht den Müttern Hilfe, die ihn weinend nach verschwundenen Angehörigen fragen. Bald wird er den Vorgesetzten lästig und verschwindet spurlos.
Nur die Liebe macht das Lesen erträglich
Der Erzähler muss nun an die Front, er erweitert in Sichtweite des Elternhauses Schützengräben, und abends spielt er rührselige Schlager für die Soldaten, während sie Frauen vergewaltigen. Als zwei Soldaten den als Hodža bekannten jungen Mann zum Gebetsruf zwingen wollen, erschießt er sie und flieht.
500 Seiten nehmen die kaum erträglichen Horrorgeschichten des halben Brigadejahres ein. Der junge Mann schreibt sie auf, um Zeugnis abzulegen. Vor den Verfolgern versteckt er sich zweieinhalb Jahre lang in den leerstehenden Wohnungen des Hauses, versorgt von der geliebten Nachbarin.
Ihre gemeinsame Zeit ist kurz, immer läuft die Tonspur der Schüsse und Einschläge mit, der vorbeifahrenden und bremsenden Autos, der Schritte und Stimmen draußen. Mehr als einmal muss er aufs Dach fliehen, die Hand am Kolben des erbeuteten Gewehrs.
Drängende Sprache ohne Verben
Der Tod der Mutter am Vorabend des Zerfalls von Bosnien-Herzegowina, das halbe Jahr Arbeitsdienst, die Jahre im Versteck – eigentlich sind es drei Bücher, von Todesangst und Stil zusammengehalten. Die Sprache zählt gedrängt auf, sie verzichtet auf Verben ebenso wie auf Namen.
Menschen haben Verwandtschaftsgrade oder Funktionen wie Zuständige und Wachmänner. Stadtteile, Straßen, Häuser tragen dagegen Namen, ebenso Automarken, Gewehre und Pistolen. Körper, tote wie lebende, werden nicht beschrieben, nicht einmal in der Liebe, die nur im Dialog stattfindet.
In der panischen Welt hat das seit langem Bekannte Namen, das Neue, überwältigend nah Gerückte noch nicht. Auch den Leser überfällt das Geschehen oft. Er muss raten, wovon gerade die Rede ist. Mit der Antwort ist sofort der Schrecken präsent.