"Das hat auch mit ihrem Ego zu tun"

Moderation: Jörg Degenhardt |
Christian Longardt, Chefredakteur der "Kieler Nachrichten", führt das politische Scheitern von Susanne Gaschke (SPD) auf ihre Persönlichkeit zurück. Die Oberbürgermeisterin, gegen die ein Disziplinarverfahren läuft, habe das Amt unter- und sich selbst überschätzt, so Longardt.
Jörg Degenhardt: Ist sie Opfer einer Intrige oder hat sie sich einfach zu sehr auf schlechte Berater verlassen? Der Fall der gestern zurückgetretenen Oberbürgermeisterin von Kiel, Susanne Gaschke, SPD, wirft jedenfalls viele Fragen auf. Ausgangspunkt war dabei ein Vergleich mit einem vermögenden Augenarzt. Dem wurden per Eilentscheidung rund 3,7 Millionen Euro an Zinsen und Säumniszuschlägen erlassen, sofern er im Gegenzug seine offene Steuerschuld begleicht. Gegen die frühere Oberbürgermeisterin läuft ein Disziplinarverfahren, und die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen des Anfangsverdachts der Untreue. Hohe Wellen hat das Thema seit Wochen bei den "Kieler Nachrichten" geschlagen, Chefredakteur ist dort Christian Longardt. Guten Morgen, Herr Longardt!

Christian Longardt: Ja, guten Morgen!

Degenhardt: Frau Gaschke sprach von einer Hetzjagd, sie könne die politischen, persönlichen und medialen Angriffe nicht mehr aushalten. Bevor wir Ihren Kommentar erörtern, hören wir mal, was Frau Gaschke selbst dazu gesagt hat.

"Susanne Gaschke: Wenn ich heute durch die Stadt gehe, dann begegnet mir kein Hass. Es gibt Fragen und auch Kritik, vor allem aber begegnet mir ganz viel Zuwendung, auch Sorge und Mitgefühl. Wildfremde Menschen schreiben mir Briefe, schicken mir Blumen nach Hause, nehmen mich einfach in den Arm. Hass begegnet mir nur in manchen Äußerungen der Parteipolitik dieses Rathauses. Hass begegnet mir im Verhalten von manchen Funktionären der Landesregierung."

Degenhardt: Klare Worte von Frau Gaschke, gestern geäußert. Herr Longardt, wie kommentieren Sie denn heute in den "Kieler Nachrichten" ihren Rücktritt?

Longardt: Ja, wie kommentieren wir ihn? Wir sind natürlich froh, dass jetzt, nach neun Wochen Affäre die Geschichte mit dem Rücktritt zunächst einmal beendet ist. Das war auch für uns in der Redaktion eine ganz besondere Situation, ein ganz ungewöhnlicher Fall. Und, ja, wir sind in gewisser Weise auch erleichtert.

Degenhardt: Was war denn so ungewöhnlich an diesem Fall? War es der Fall, dass hier eine Seiteneinsteigerin in die Politik gewechselt ist?

Longardt: Auch das, auch das. Allerdings war es zunächst mal ein sehr ungewöhnlicher Fall, dass ein Steuererlass in dieser Höhe gewährt worden ist. Das ist in Deutschland höchst selten. Eine Sozialdemokratin, die einem reichen, vermeintlich reichen Augenarzt Millionen erlässt, das ist schon eine Riesengeschichte, das muss man auch vor dem Hintergrund sehen, dass die Sozialdemokraten ja nun gerade gegen Steuersünder härter vorgehen wollen. Dann gab es diese legendäre Rede vor der Ratsversammlung im August, als sie der Opposition vorwarf, man betreibe ein zerstörerisches Spiel, dabei mit den Tränen kämpfte und schließlich – für uns ist Susanne Gaschke auch eine ehemalige Kollegin. Sie hat hier im Haus volontiert.

Degenhardt: Und sie ist eine sehr emotionale Kollegin, eine sehr emotionale Bürgermeisterin gewesen, muss man ja jetzt sagen. Wir haben sie gerade im O-Ton gehört. Können Sie sich denn erklären, wie sie dazu kommt, dass sie von so vielen angeblich gehasst wird im Rathaus.

Longardt: Also das ist völlig unverständlich. Das hat auch mit ihrem Ego zu tun, nehme ich mal an. Ich glaube, sie hat das Amt unterschätzt, und sie hat sich selbst überschätzt. Es ist eben auch ein Unterschied, ob man bei der "Zeit" die Kinderseite betreut oder ob man eine Verwaltung mit 4500 Mitarbeitern leitet.

Degenhardt: Das ist eine ziemlich deutliche Aussage, muss ich mal sagen. Was lehrt uns denn jetzt dieser Fall? Welche Schlüsse sind daraus zu ziehen?

Longardt: Ach. Frau Gaschke überhöht das Thema. Sie glaubt immer, das habe zu tun mit einer Seiteneinsteigerin. Ich glaube, das hat vor allem mit ihrer Person zu tun, und wir haben aus dem Rathaus sehr früh gehört, dass sie mit diesem Amt nicht recht warm geworden ist, dass sie beratungsresistent war, dass sie auch falsche Berater hatte. Noch mal: Ich glaube, sie hat das Amt ganz einfach unterschätzt.

Degenhardt: Sie machen heute auch eine kleine Bilanz ihrer Amtszeit auf. Was wird denn von ihr bleiben?

Longardt: Nun, wenn wir noch mal ganz zurückblicken – sie hat eigentlich ganz passabel angefangen. Sie hat einen frischen Eindruck hinterlassen, sie hat auch erst Akzente gesetzt. Bleiben wird von ihr zum Beispiel die Erinnerung an eine Initiative für Wohnungsbau. Sie hat sich sehr dafür eingesetzt, dass Studenten hier in Kiel besseren Wohnraum bekommen. Aber am Ende ist doch ein großer Schatten auf ihre Amtszeit gefallen durch all das, was sie im Zusammenhang mit dem Fehler, der ihr da unterlaufen ist, sich selbst geleistet hat. Ich denke vor allem hier an die Angriffe auf den Ministerpräsidenten und den Innenminister.

Degenhardt: Und wie geht es jetzt weiter an der Förde? Wann wird ein neuer Oberbürgermeister oder eine neue Oberbürgermeisterin gewählt?

Longardt: Das kann jetzt relativ schnell gehen, aber maximal sechs Monate. Es ist die große Frage, ob die SPD und die CDU eigene Bewerber aufstellen oder ob sie zu dem Schluss kommen, dass es vielleicht in dieser Situation besser wäre, wenn man einen gemeinsamen Kandidaten präsentiert. Einen Kandidaten, der vielleicht etwas mehr die Interessen der Bürger und Bürgerinnen Kiels im Auge hat und nicht so sehr sich selbst.

Degenhardt: Das waren klare Worte von Christian Longardt. Er ist der Chefredakteur bei den "Kieler Nachrichten". Unser Thema war der Rücktritt der Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke am gestrigen Tage.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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