Pop in Zeitlupe
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Das vierte Album Julianna Barwicks ist erschienen. Ihre Musik will die Schnelligkeit der Gegenwart bremsen. Zwar gebe es in Barwicks Texten keine Tiefe, aber das Album sei eine gelungene Antithese zur Hektik des Mainstream-Pops, meint Rezensent Christoph Möller.
Das beste Stück auf Julianna Barwicks neuem Album "Healing Is A Miracle" gibt es gleich zu Beginn: Es heißt "Inspirit" und klingt wie Björk in Zeitlupe. Barwick schichtet ihre eigene Stimme übereinander. So wird sie zu einem scheinbar endlosen Hall und geht dann über in eine erhabene Bassmelodie.
Das Stück wirkt langsam. Doch Barwick hat es ziemlich schnell produziert, erzählt sie: "Das Stück ist in nur 30 Minuten entstanden. Es war der erste Song, den ich für die Platte gemacht habe."
Minimalis bestimmt die Platte
"Inspirit" besteht nur aus zwei Spuren: Stimme und Bass. Dieser Minimalismus bestimmt die ganze Platte: "Healing Is A Miracle" ist noch räumlicher als Barwicks bisherige Alben.
Das liegt auch an einem technischen Aspekt, erklärt sie: "Bei diesem Album habe ich zum ersten Mal Studiolautsprecher benutzt." Vorher habe sie alles mit Kopfhörern produziert. "Der Unterschied war, dass ich die Musik zum ersten Mal wirklich fühlen konnte. Ich konnte den Bass spüren. Es macht einen großen Unterschied, ob du Musik körperlich wahrnimmst oder nicht."
Die heilende Kraft des Körpers
Wer die Tiefe von Barwicks Sound auch in ihren Texten erwartet, wird enttäuscht. Worüber sie singt, ist vage und vor lauter Hall kaum zu verstehen. Meist geht es um den Körper und seine heilende Kraft - konkret und metaphorisch. Öffne dein Herz, heißt es an einer Stelle. Und im Stück "Oh, Memory" singt Barwick gemeinsam mit der Harfenistin Mary Lattimore über belastende Erinnerungen.
"Healing Is A Miracle" ist keine Musik, die engagiert die Gegenwart beschreibt. Das ist Barwick aber bewusst: "Ich weiß, was du meinst. Meine Musik kommt ohne viele Worte aus. Ich mache keine eindeutigen Aussagen. Es sind hauptsächlich Klang und Emotionen."
Belohnt wird, wer geduldig wartet
Aber reicht das für ein gutes Album? Klar, man kann "Healing Is A Miracle" als triviale Klang-Meditationen beschreiben. Der sich ewig im Hall verlierende Gesang, der Albumtitel "Healing Is A Miracle" (Heilung als Wunder) ist irgendwie banal.
Man kann dieses Album aber auch als akustische Kritik an der Moderne hören. Die Musik will die Schnelllebigkeit der Gegenwart ein bisschen bremsen. Und diese Form von verlangsamter Musik setzt auf Vertrauen: Darauf, dass die Zuhörenden dabeibleiben, obwohl sich diese Musik so behäbig dahinschleppt. Wer geduldig wartet, der wird bei diesem Album belohnt.
"Healing Is A Miracle" ist eine gelungene Antithese zur Hektik des Mainstream-Pop. Und das Album hat etwas Kathartisches: Julianna Barwick erinnert uns daran, wie schön es sein kann, sich einfach mal Zeit zu lassen. Und weil die Musik so langsam ist, treten die Details der einzelnen Sounds viel deutlicher in Erscheinung. Jeder Klang ist eine Welt für sich. Das Album gibt Halt in einer Zeit, die so haltlos wirkt wie schon lange nicht mehr.