Kaiserreich

Mit der Bagdadbahn ins Schutzgebiet

Lüderitz in Namibia
Die Stadt Lüderitz im Süden von Namibia war bis 2013 nach einem Bremer Tabakhändler benannt. Die Kolonie "Deutsch-Südwestafrika" bestand von 1884 bis 1915. © dpa / picture alliance / Thomas Schulze
Von Matthias Dell |
Deutschlands Kolonialzeit war nur kurz, hinterließ aber viele frivole und exotische Assoziationen. Ein dringend notwendiger Sammelband zeigt, wie koloniale Bilder und Ideen nach dem Ende der "Schutzgebiete" weiterlebten.
Vor einem Jahr, im Januar 2013, herrschte im deutschen Feuilleton großer Aufruhr. Ein Verlag hatte angekündigt, in Absprache mit dem Autor in der Neuauflage eines Kinderbuchs auf einen diskriminierenden Begriff zu verzichten. Der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer kommt im Vorwort des von ihm herausgegebenen Buchs "Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte" auf den Streit um das N-Wort in Otfried Preußlers "Die kleine Hexe" zurück.
Das überrascht gleich zweimal. Zum einen spricht der Bezug auf die Debatte für die große Aktualität des Bandes. Zum anderen führt Zimmerers Beitrag den Feuilletons deren Ignoranz vor Augen: Wenn ein wissenschaftlicher Sammelband nachträglich einen Punkt machen kann in einer Debatte, die verschiedene Zeitungen intensiv geführt haben, dann ist es um die argumentativen Selbstreflexionskräfte des deutschen Kulturjournalismus nicht gut bestellt.
Zur Besserung ist "Kein Platz an der Sonne" nur zu empfehlen. Das Buch stellt in 31 Einträgen Rezepte gegen das Verdrängen deutscher Kolonialgeschichte und ihrer Folgen vor. Auch wenn in den letzten Jahren vermehrt Darstellungen zum deutschen Kolonialismus erschienen sind, beschränkt sich das verbreitete Wissen über ihn darauf, dass die deutsche Kolonialzeit kurz gewesen sei und man folglich nichts zu wissen brauche.
Gerade aber das erste Kapitel "Vorstellungswelten" zeigt, wie koloniale Bilder und Ideen nach dem Ende der deutschen "Schutzgebiete" weiterleben. Der "Sarotti-Mohr" ist ein relativ bekanntes Beispiel dafür. Bis heute vermittelt er noch ‒ umbenannt in "Sarotti-Magier der Sinne" ‒ die gleichen frivolen und exotischen Assoziationen, die, wie Volker Langbehn ausführt, in der Wirtschaftswunderzeit erst entschieden und bewusst reinszeniert wurden durch Werbung: als "imaginäre Kompensation" für den Verlust einer "nationalen und homogenen Identität" nach dem Zweiten Weltkrieg.
"Die schwarzen Landsleute machen sich das Leben beneidenswert leicht"
Christof Hamann und Alexander Honold beschreiben anregend, wie der Kilimandscharo als alpines Déjà-vu zum Mythos deutscher kolonialer Fantasien werden konnte. Malte Fuhrmann beleuchtet die ökonomischen Interessen und politischen Konkurrenzen um den Bau der "Bagdadbahn", im Zuge dessen es schon um blühende Landschaften ging und gegen das sich schon 1904, also vor dem Ersten Weltkrieg, eine Front aus Russland, Frankreich und Großbritannien formierte. Marianne Bechhaus-Gersts Text über die Kolonialschriftstellerin Frieda von Bülow mag die Leser ans heutige Fernsehprogramm erinnern. "Alles in allem machen sich die schwarzen Landsleute das Leben beneidenswert leicht", wird Bülow dort zitiert, ein Satz, der so fast in einem Treatment zu den zahllosen ZDF- oder Degeto-Afrika-Schmonzetten stehen könnte.
Die Begegnungen mit der Gegenwart, deren geschichtliches Hinterland "Kein Platz an der Sonne" erschließt, sind zweifellos die größte Herausforderung an das Verständnis der Leser. Spätestens nach der Lektüre von Anja Laukötters kurzer Geschichte des Berliner Völkerkundemuseums muss man arge Zweifel an der Entscheidung haben, im wiederaufzubauenden Berliner Schloss die ethnologischen Sammlungen unterzubringen. Man kann freilich auch mit der Autorin hoffen, dass dadurch eine dringend notwendige Auseinandersetzung über Raubkunst, Exotisierung und deutschen Paternalismus an Öffentlichkeit gewinnt.

Jürgen Zimmerer (Hg.): Kein Platz an der Sonne. Erinnerungsorte der deutschen Kolonialgeschichte
Campus, Frankfurt und New York 2013
524 Seiten, 39,90 Euro

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