Literatur

Geschichten vom Rand

Von Vanja Budde |
Frédéric Valin verdient sein Geld als Pfleger in einer WG geistig Behinderter. Der Beruf ist zwar kein großes Thema in seinen Geschichten, doch Menschen am Rand der Gesellschaft haben den Deutsch-Franzosen schon immer interessiert.
Um in der Konditorei Röttgen Kaffee zu trinken, muss man in Berlin mit der U-Bahn weit in den Nordwesten fahren, am Flughafen Tegel vorbei, immer weiter, bis zur Station Alt-Tegel. Frédéric Valin, ein schmaler Schlacks mit Strickmütze, hat diesen plüschigen Treffpunkt vorgeschlagen: Plastikblumen, 70 Sorten Kuchen und Torten, Schlagermusik.
Valin: "Das ist hier ne richtige Institution, Röttgen!"
Valin wohnt und arbeitet hier in der Nähe. Er kommt von der Frühschicht und entspannt sich in diesem Alt-Tegeler Café und Rentnerparadies mit einer Weißweinschorle. Der fußballbegeisterte 31-Jährige hat lange in Neukölln gewohnt, als das noch kein Trendbezirk war, sondern ein sozialer Brennpunkt.
"Aber irgendwann liefen mir da zu viele Leute rum, die so sind wie ich. Das wurde dann son bisschen langweilig."
Valin hat damals Werbetexte und Zeitungsartikel geschrieben, gebloggt, eine Lesebühne organisiert und abends Kurzgeschichten verfasst. Den ganzen Tag am Schreibtisch, das tat ihm nicht gut.
"Ich brauche das Soziale"
"Es gibt nicht besonders viele Jobs, die man, wenn man sie nicht gelernt hat, machen kann, die mit so Schreibtischarbeit gut korrespondieren. Aber Pflege ist da ein sehr gangbarer Weg, weil, ich bin ein Großfamilienkind: Ich brauche das Soziale. Das hat mir auch total gefehlt in der Zeit, in der ich dann alleine zu Hause am Rechner saß und das hole ich mir jetzt da auf Arbeit. Man managt ja quasi einen Haushalt und macht das dann viermal die Woche acht Stunden und kommt dann nach Hause und kann dann aber auch was anderes machen."
Frédéric Valin wurde 1982 in Wangen im Allgäu geboren, als Ältester von fünf Geschwistern. Sein Vater ist Franzose: ein anti-klerikaler Kommunist, der nur gebrochen Deutsch sprach – im ländlichen Bayern. Sein Vater hatte es schwer, sagt Frédéric Valin, das habe er als Kind deutlich gespürt. Vielleicht schreibt er deswegen so oft über Außenseiter.
"Das ist bestimmt ein Teil des Interesses. Außerdem lassen sich am Rand die interessanteren Geschichten erzählen. Ansonsten müsste ich ja Krimis schreiben. Ich meine, diese Krimiflut ist ja auch nur deswegen, weil sich die Mitte vorstellt, wie das wäre, wenn ihr Leben aufregend wäre."
Auf Veröffentlichung war er nicht besonders erpicht
Frédéric Valin ist zweisprachig aufgewachsen. Als Kind war er oft bei den Großeltern in der Normandie, als Jugendlicher las er sehr viel französische Literatur. André Gide und Boris Vian bewundert er bis heute. Literatur und Romanistik studierte er dann aber doch in Berlin und nicht im überteuerten Paris. Ein Praktikum bei seinem späteren Verleger war der Start für seine literarische Karriere.
"Irgendwann hatte ich dann die ersten Geschichten fertig und habe die dann Jörg gezeigt, also Jörg Sundermeier vom Verbrecher Verlag, und der meinte: Jut, das machen wir. (lacht) Dann stand ich da."
Anders als viele Autoren war Frédéric Valin aufs Veröffentlichen gar nicht so sehr erpicht. Er sagt, er suche nicht den Erfolg, noch viel weniger den Rummel um die eigene Person. Nicht aus Schüchternheit oder Bescheidenheit: Valin mag sich nicht in Selbstreflexionen ergehen, und den Literaturbetrieb nennt er eine Entzauberungsmaschine.
Unaufgeregter, knapper Stil
"Ich tu mich immer noch schwer damit, bei der Vorstellung, dass andere das lesen. Das gilt jetzt auch zum Beispiel gerade im Job, viele Kollegen wollen jetzt dieses Buch sehen und so weite, und ich denke mir: 'Um Gottes willen, also wenn die mich jetzt mit mancher dieser Figuren beispielsweise assoziieren, dann muss ich ja fortwährend mein Schreiben und was ich bin und das alles erklären' – und das ist anstrengend."
Der nachdenkliche, zurückhaltende Frédéric Valin schreibt Geschichten über illegale Flüchtlinge, über Geisteskranke, Alkoholiker und auf den ersten Blick ganz normale aber unglückliche Menschen. Seine Protagonisten beobachtet er mit distanzierter Kühle. Sein Stil ist unaufgeregt und knapp: Ausufernde, psychologisierende Beschreibungen kann er nicht ausstehen.
Zurzeit sitzt Frédéric Valin an seinem ersten Roman. Dabei hört er französische Bands wie diese hier: Noir Désir.
Zwei Kapitel sind schon fertig. Er muss sich ran halten: Im Herbst beginnt sein Fernstudium der Sozialpädagogik. Denn dass er eines Tages vom Schreiben leben kann, daran glaubt der nüchterne Beobachter Frédéric Valin nicht.
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