Schonungslos, spannend, komisch

Der 1980 geborene US-Autor Joey Goebel wurde bereits für seine ersten beiden Romane von der Kritik gelobt und mit John Irving und T. C. Boyle verglichen. Nun hat er mit "Heartland" - einem entlarvenden Blick auf die faulen Stellen der US-Gesellschaft - sein erstes Meisterstück vorgelegt.
Blue Gene Mapother ist millionenschwerer Erbe eines Tabak-Tycoons und wohnt in einer Wohnwagensiedlung zusammen mit einer Sammlung von Plastikspielfiguren aus den 80er-Jahren und zwölf Schusswaffen. Seit einem Unfall, von dem er ein Hinken zurückbehalten hat, entwickelte er sich zum Aussteiger und jobbt als Lagerarbeiter in einem Supermarkt, später als Flohmarktverkäufer von seinen geliebten Action-Heroes aus Plastik. Der Endzwanziger will sein Geld selbst verdienen und bescheidet sich mit einem Stundenlohn von 6 Dollar 50. Mit seiner Familie hat er gebrochen, für seinen Bruder, der im Bezirk für die Kongresswahlen kandidiert mit dem klaren Lebensziel, einmal US-Präsident zu werden, ist er White Trash. Aber sein Bruder braucht ihn: Er kann mit den einfachen Leuten sprechen, und das kommt im Wahlkampf gut an. Also versucht ihn sein Bruder John ins Wahlkampfteam zu holen, was diesem schließlich gelingt, denn Blue Gene ist überzeugt, dass sein 13 Jahre älterer Bruder die "alten amerikanischen Werte" vertritt. Doch dann muss er durch einen Zufall erfahren, dass sein Bruder in Wahrheit sein Vater ist, der als 13-Jähriger eine 12-Jährige schwängerte, und seine Mutter seine Großmutter. Das Familiengeheimnis muss unter allen Umständen gewahrt bleiben, dem Wahlkampf zuliebe.

Der Autor Joey Goebel, Jahrgang 1980, wurde bereits mit seinen ersten beiden Romanen mit John Irving und T. C. Boyle verglichen und hat mit seinem dritten, 700 Seiten starken Roman "Heartland" einen großen Wurf gelandet. Ihm gelingt es, den Leser über die lange Strecke zu fesseln und bis zum Ende die Spannung zu halten. Aber sein Buch ist auch eine subtile, weil zunächst überparteiische Karikatur der USA unter George W. Bush, der kein einziges Mal im Roman erwähnt wird, weil Politiker John selbst eine Miniaturversion des ungeliebten Präsidenten ist. Wie dieser war er kokain- und alkoholabhängig, wie dieser ist er ein "wiedergeborener Christ". Seine Mutter Elizabeth glaubt, dass Gott ihr prophezeit habe, John werde eines Tages Präsident und den Weg bereiten für den "wiederkehrenden Messias".

Goebel entwickelt einen schonungslosen Blick auf die vielen faulen Stellen der US-Gesellschaft, bleibt aber immer auf eine unprätentiöse Art liebevoll mit seinen Figuren und der absurden Welt, in der sie leben. Ihm gelingt oft eine beträchtliche Situationskomik, und sein Panoptikum von skurrilen Figuren wirkt nie übertrieben. Er ist kein anarchistischer Fundamentalist wie Chuck Palahniuk, aber er hat dessen Gespür für Abgründe. Er ist kein Mythograph wie Philip Roth, obwohl die Familenkonstellation etwas von klassischer Tragödie hat. Joey Goebel gelingt das Kunststück, die Bigotterie des amerikanischen Sendungsbewusstseins zu dekonstruieren, aber auch den bisweilen typisch humanen Pragmatismus aufleuchten zu lassen, der im Roman so etwas wie ein Happy End zustande bringt. Joey Goebel ist mit Sicherheit eine der stärksten jungen Begabungen der US-Literatur, und mit "Heartland" hat er sein erstes Meisterstück vorgelegt.

Rezensiert von Marius Meller

Joey Goebel: Heartland
Roman
Aus dem Amerikanischen von Hans M. Herzog
Diogenes, Zürich 2009
714 Seiten, 22,90 Euro