Schwangerschaftsabbrüche

Warum wurde 2022 so häufig in Deutschland abgetrieben?

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Die Gynäkologin bereitet ihr Instrumente für einen Schwangerschaftsabbruch vor. Auf einem grünen Tuch sind verschiedene metallische medizinische Instrumente gelegt. Hände mit weißen Gummihandschuhen greifen nach den Instrumenten.
Mit Medikamenten oder einem medizinischen Eingriff: In Deutschland werden jährlich etwa 100.000 Schwangerschaften abgebrochen. (Symbolbild) © picture alliance / Keystone / Christian Beutler
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Die Zahl der Abtreibungen in Deutschland ist im vergangenen Jahr um fast zehn Prozent gestiegen. Woran liegt das? Eine eindeutige Antwort darauf gibt es nicht. Aber es gibt mehrere Erklärungsansätze.
Laut Statistischem Bundesamt wurden im Jahr 2022 in Deutschland rund 104.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, fast 10.000 mehr als im Jahr zuvor. Dabei sind die Zahlen weniger eindeutig, als sie auf den ersten Blick scheinen. Über die Ursachen kann man nur mutmaßen, denn sie werden nicht statistisch erfasst. Oft spielen mehrere Faktoren eine Rolle. Ansonsten gibt es verschiedene Erklärungsansätze.

Typische Gründe für Schwangerschaftsabbrüche

Nur vier Prozent der Abbrüche haben medizinische Gründe oder wurden aufgrund von Sexualdelikten durchgeführt. Der Rest wurde nach der sogenannten Beratungsregelung vorgenommen.
Die klassischen Beweggründe spielten nach wie vor eine große Rolle: Partnerschaftsprobleme, eine sehr unsichere Lebenssituation oder kein Kinderwunsch, sagt Beraterin Gabi Moster von pro familia. Ein anderer Erklärungsansatz: Vielen Schwangeren fehlen Zeit und Geld. Nach Corona seien Familien mit Kindern bereits erschöpft. Es sei immer schwieriger, Familie und Beruf zu vereinbaren.

Pränataltest auf Trisomien

Seit Juli letzten Jahres bezahlen die Krankenkassen den sogenannten nicht invasiven Pränataltest auf Trisomien häufiger als vorher. Eventuell entscheiden sich Eltern, die ein Kind mit Behinderung erwarten, häufiger für einen Abbruch, so die Sorge von Verbänden für Menschen mit Behinderungen.

Abschaffung des "Werbeverbots" - Paragraf 219a

Bis Mitte 2022 galt laut Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs die „Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft“ als Straftat. Unter anderem die CDU warnte im Bundestag: Die Zahl der Abtreibungen könnte steigen, weil Ärzte nun legal über Schwangerschaftsabbrüche informieren dürften, etwa auf ihren Websites. Der Bundestag hat das Gesetz abgeschafft.
Aber in den Gesprächen, die pro familia-Beraterin Gabi Moster mit Betroffenen führt, spielten weder Websites noch Pränataltests praktisch eine Rolle.

Geflüchtete Frauen aus der Ukraine

Wegen Russlands Krieg gegen die Ukraine sind mehr als eine Million Menschen nach Deutschland geflüchtet - der Großteil von ihnen Frauen, vor allem jüngere. Ihre Lebenssituationen sind prekär, von Unsicherheit und Zukunftsängsten geprägt.
Doch ist unklar, ob die Zahl der Abtreibungen durch den Zuzug von Ukrainerinnen gestiegen ist. Nationalität oder Aufenthaltsstatus der Behandelten erfasst das Statistische Bundesamt nicht.

Statistische Faktoren bei Abtreibungszahlen

Gynäkologin Nora Szász, die in ihrer Praxis in Kassel Schwangerschaftsabbrüche durchführt, sieht in dem Anstieg keine untypische Schwankung. Nach dem Corona-Babyboom gebe es zwar mehr Abbrüche als im Jahr 2021. Aber 2021 sei die Abtreibungsrate auch sehr niedrig gewesen. Die Zunahme im Gesamtvergleich also nicht so extrem. Tatsächlich pendeln die Zahlen seit rund zehn Jahren recht konstant um die 100.000er-Marke.
Laut Statistischem Bundesamt seien die Daten verlässlich, es bestehe Auskunftspflicht und es werde darauf geachtet, dass alle Meldestellen ihre Zahlen mitteilen. Gezählt werden alle Abbrüche, die Praxen und Krankenhäuser melden. Allerdings gebe es trotzdem Unsicherheiten. Es könnte auch sein, dass 2022 nicht mehr abgetrieben, sondern lediglich mehr gemeldet wurde – eine statistische Verzerrung.
Lotte Laloire, Pia Masurczak
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