Verleihung Ig-Nobelpreis

Warum Humor für Wissenschaftler wichtig ist

Elisabeth Oberzaucher erhält 2015 den Ig-Nobelpreis. Die Evolutionsbiologin hatte versucht zu berechnen, ob der marokkanische Sultan, Ismail der Blutrünstigen, tatsächlich 888 Nachkommen gezeugt haben könnte.
Elisabeth Oberzaucher erhielt 2015 den Ig-Nobelpreis. Die Evolutionsbiologin hatte versucht zu berechnen, ob der marokkanische Sultan, Ismail der Blutrünstige, tatsächlich 888 Nachkommen gezeugt haben könnte. © imago stock&people
Elisabeth Oberzaucher im Gespräch mit Ute Welty |
Gerade weil wissenschaftliches Arbeiten als langwierig und langweilig gilt, müssten sich Forscher ihren Humor bewahren, sagt die Biologin Elisabeth Oberzaucher. Denn Spaß wirke motivierend und trage dazu bei, mit der Gefahr des Scheiterns besser umgehen zu können.
Ute Welty: Den Nobelpreis kennen Sie natürlich, sehr wahrscheinlich auch den Alternativen Nobelpreis, und dann gibt es noch den Ig-Nobelpreis. Das muss man sich vorstellen wie eine Mischung aus Nobelpreisverleihung und Rocky Horror Picture Show. Schon der Name ist Anspielung und Wortwitz, denn Ig-Nobel bedeutet eigentlich so viel wie unwürdig oder gemein. An der renommierten Harvard University werden die Ig-Nobel-Spaßpreise für kuriose Forschung verliehen, und wer in diesem Jahr ausgezeichnet wurde, das weiß Gabi Biesinger:
An diese außergewöhnliche Preisverleihung kann sich wahrscheinlich noch bestens erinnern Elisabeth Oberzaucher. Die Verhaltens- und Evolutionsbiologin hat vor zwei Jahren den Ig-Nobelpreis zusammen mit Karl Grammer in der Kategorie Mathematik erhalten. Dabei ging es um die Potenz von Ismail dem Blutrünstigen. Der marokkanische Sultan soll nämlich 888 Nachkommen gezeugt haben. Guten Morgen, Frau Oberzaucher!
Elisabeth Oberzaucher: Guten Morgen!

Konnte Ismail 888 Nachfahren zeugen?

Welty: Wie kommt man als Evolutionsbiologin auf ein so spezielles Thema, oder hat sich Kollege Grammer ein persönliches Vorbild gesucht und wollte erst mal gucken, ob man sich nicht schon im Ansatz verhebt?
Oberzaucher: Nein, also eigentlich ist das eine sehr naheliegende Frage für uns, weil diesen unterschiedlichen Fortpflanzungsaussichten von Mann und Frau sehr viel unsere Hypothesen und Theorien zu menschlichem Verhalten eigentlich zugrunde liegen. Und deswegen war das eigentlich so eine ganz grundlegende Frage, der man einfach mal eben auf den Grund gehen musste, wo denn überhaupt die Grenzen der männlichen Fortpflanzungsmöglichkeiten eigentlich sind, vor allem deswegen, weil in manchen unserer Lehrbücher sogar so was drinsteht wie, die männlichen Fortpflanzungsaussichten seien unbegrenzt.
Welty: Aber es geht, es geht. Diese 888 Nachkommen kann ein Mann zeugen, wenn er sich ranhält – ob das dann noch Spaß macht, ist eine andere Frage –, aber welche Bedeutung hat denn der Spaß für die Wissenschaft?
Oberzaucher: Der Spaß ist für die Wissenschaftler viel wichtiger, als man glauben möchte, nicht nur als Motivator in einem doch recht langwierigen Alltag, den man so hat, sondern auch dafür – und da finde ich ihn ganz besonders wichtig –, damit man sich selbst und seine Forschung nicht zu ernst nimmt. Weil wenn man anfängt, sich zu ernst zu nehmen, dann wird man auch ein bisschen immun gegenüber Selbstkritik, gegenüber auch der Möglichkeit, scheitern zu können. Das Scheitern und sich selbst eben als falsch zu überführen quasi, also seine eigenen Ergebnisse zu widerlegen, das ist ganz zentral in der Wissenschaft. Dabei hilft uns der Humor, dass wir eben diese Distanz zu uns selbst, zu unserer Forschung beibehalten.
Welty: Fällt Wissenschaftlern das Scheitern noch schwerer als dem Durchschnitt der Menschen?
Oberzaucher: Ich glaube, wir sind da ganz menschlich in dem. Wir haben alle sehr gern recht, und dieses Rechthaben ist eben für den Wissenschaftler viel ungesünder als für uns im Alltag.
Welty: Ein solcher Preis wie der Ig-Nobel, der zielt natürlich ab auf das Skurrile, und der kann auch Züge annehmen wie bei der Goldenen Himbeere oder der Sauren Gurke, wenn VW beispielsweise den Ig-Nobel bekommt in Sachen Luftreinhaltung.
Oberzaucher: Das sind sie letztes Jahr.

Ig-Nobelpreis - begehrt unter Wissenschaftlern

Welty: Ja. Kann dieser Preis tatsächlich eine Auszeichnung sein für einen ernsthaften Wissenschaftler oder eine ernsthafte Wissenschaftlerin?
Oberzaucher: Der Ig-Nobelpreis ist sehr, sehr, sehr begehrt unter Wissenschaftlern, also mit der Goldenen Himbeere darf das überhaupt nicht verglichen werden. Es ist vielmehr so, dass sehr viele Wissenschaftler sich selbst vorschlagen, also an das Komitee ihre eigenen Arbeiten einschicken und sagen, ich hätte diesen Preis gern.
Welty: Ach, ich hätte da mal was?
Oberzaucher: Das ist beispielsweise schon ein Zeichen dafür, wie begehrt dieser Preis eigentlich ist, und es werden in der Regel ja auch Arbeiten ausgezeichnet, die in sehr anerkannten wissenschaftlichen Zeitschriften publiziert werden. Es ist jetzt nicht einfach nur so scherzhaft etwas Blödes mal hingetan, sondern da liegt schon ganz ernsthafte Forschung dem Ganzen zugrunde.
Welty: Und es gibt dann auch die Anerkennung unter Kollegen beispielsweise oder Kolleginnen in der Community?
Oberzaucher: Ja, wie bei jedem Preis gibt es diejenigen, die sich freuen und die Anerkennung spenden und die sich gut mitfreuen können, und dann gibt es die anderen, die eher das dann herunterspielen und neidisch sind. Aber ich glaube, das ist bei jedem Preis so.
Welty: Inwieweit laufen Wissenschaftler doch eher Gefahr, unfreiwillig komisch zu sein, wenn der Aufsatz zum Beispiel einen so komplizierten Titel hat, dass ihn nur noch der Autor versteht, oder dieses Bild vom verwirrten Professor, das ja schon sprichwörtlich ist?
Oberzaucher: Ich glaube, genau dafür sind solche Dinge wie der Ig-Nobelpreis ganz, ganz wichtig. Das ist eigentlich wieder so ein bisschen Bodenhaftung herstellen für die Wissenschaft. Also diese unfreiwillige Komik, die dadurch entsteht, dass Wissenschaftler nur noch mit ihrer kleinen Gruppe von Fachkollegen reden, dagegen hilft es eben, wenn man immer wieder mal mit der Menschheit an sich interagiert, und Humor ist da eine sehr schöne Brücke, die man zwischen der Wissenschaft und den Menschen bauen kann.
Welty: Mit welchem Projekt würden Sie sich noch mal gerne für den Ig-Nobelpreis bewerben?
Oberzaucher: Ich würde mich niemals bewerben.
Welty: Sie lassen sich vorschlagen, ne?
Oberzaucher: Ich lasse mich vorschlagen.

Mit Zimmerpflanzen besser denken

Welty: Aber haben Sie da schon was im Kopf, was das Nächste sein könnte, was Sie vorschlagen lassen?
Oberzaucher: Nein, nein. Wie Sie vorhin schon gesagt haben, es ist tatsächlich so, dass ich meine Forschung nicht besonders lustig finde, und dann finden dann plötzlich meine Forschung lustig, wie zum Beispiel die Tatsache, dass ich untersucht habe, wie sich Pflanzen auf die kognitive Leistungsfähigkeit auswirken.
Welty: Das macht was?
Oberzaucher: Dass wir besser denken können, wenn wir uns eine Zimmerpflanze auf den Schreibtisch stellen.
Welty: Wenn Sie sich die Liste der diesjährigen Preisträger anschauen, wer und warum ist Ihr Favorit?
Oberzaucher: Ich bin ein bisschen zerrissen. Eigentlich waren es die Höhleninsekten mit dem weiblichen Penis und der männlichen Vagina, die auch eine sehr schöne Rede gehalten haben. Sie haben aus der Höhle selbst ihre Dankesrede gehalten und gemeint, jetzt muss man doch die Wörterbücher umschreiben, weil der Penis kein männliches Organ mehr sei – das finde ich auch sehr schön. Aber ich finde diese Schweizer Studie mit dem Didgeridoo mittlerweile fast noch besser, die herausgefunden haben, dass Didgeridoospielen helfen kann gegen Schlafapnoe und gegen Schnarchen.
Welty: Es gibt viele Menschen, die dankbar dafür sind, ich bin mir sicher. Konnte Ismail der Blutrünstige rein rechnerisch tatsächlich 888 Nachkommen zeugen? Für die Beantwortung dieser Frage ist die Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher 2015 mit dem Ig-Nobelpreis ausgezeichnet worden. Vor wenigen Stunden ist die diesjährige Preisverleihung in Harvard zu Ende gegangen. Frau Oberzaucher, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch, und eins noch: Wo bringt man einen Ig-Nobelpreis eigentlich unter, wo steht der bei Ihnen?
Oberzaucher: Mein Ig-Nobelpreis steht in meinem Büro, und die Urkunde, die von drei Nobelpreisträgern unterzeichnet wurde, hängt über meinem Schreibtisch.
Welty: Und freitags wird abgestaubt, der Ig-Nobel. Schönes Wochenende!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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