Volker Sielaff: "Barfuß vor Penelope"
Edition Azur im Verlag Voland & Quist, Leipzig/Dresden 2020
112 Seiten, 19 Euro
Die Liebe zur mystischen Aubergine
05:51 Minuten
Beides wird in diesem Gedichtband mit gleicher Hingabe mobilisiert: Die Liebe zu großen Geistern der Dichtkunst und zu kalauerverdächtigen Slapsticks des Alltags. Volker Sielaff brilliert in "Barfuß vor Penelope" mit immer neuer Formensprache.
Der 1966 in der Lausitz geborene Dichter Volker Sielaff ist ein literarischer Solitär. Fernab der Betriebsamkeit der geschäftigen Dichter-Netzwerke arbeitet er in Dresden mit hoher Konzentration an seiner Poetik einer Wiederverzauberung der Welt.
In seinen ersten beiden Gedichtbänden "Postkarte für Nofretete" (2003) und "Selbstporträt mit Zwerg" (2011) entwickelte er eine Poesie der intensiven Existenz-Erhellung, beeinflusst durch die Achtsamkeitslehre der japanischen Philosophie.
In seinem vierten Gedichtband "Barfuß vor Penelope" erreicht er nun den Höhepunkt seiner Kunst.
Rauschhaft rhythmische Bewegungen
Denn so ein großer Reichtum an Formen, Bildfindungen und Traumpfaden, an kunstvollen Entfesselungen von Sprachklängen und Urszenen der Kindheit war schon lange nicht mehr in einem zeitgenössischen Gedichtbuch anzutreffen. Volker Sielaffs "Barfuß vor Penelope" beginnt mit der Highspeed-Litanei "Die mystische Aubergine".
In diesem großen Hymnus der Sprachbegeisterung werden über zehn Seiten hinweg immer neue Weisen der Weltaneignung in Form von laut- und bedeutungsverwandten Wörtern aufeinandergeschichtet, so dass man schließlich von der rauschhaften rhythmischen Bewegung des Textes mitgerissen wird. In diesem Weltgedicht im besten Sinne spielt "die Liebe zur Glossolalie", also zum Zungenreden eine große Rolle.
Die Liebe zu den großen Geistern der Dichtkunst wird jedenfalls mit gleicher Hingabe mobilisiert wie die zu den kalauerverdächtigen Slapsticks des Alltags: "Liebe zu Labsal, zu hanebüchen./ Und zu Simone Lepinat aus Lychen. Die ich auf einer Tramptour küsste,/ wie lang ist das her, wenn ich´s nur wüsste."
Surrealistische Traumszenen
In einigen Gedichten des Bandes wirbelt der "Blütenstaub" des Frühromantikers Friedrich von Hardenberg alias Novalis auf. So etwa in dem zauberhaften Gedicht "Der dunkelste Ort", in dem sich die Perspektiven verzweigen und in einer Art Mehrfachbelichtung die Grenzen zwischen Betrachter und Objekt mehrfach überschritten und in neue Bildlogiken übersetzt werden.
Es ist ein Augenspiel zwischen einem ins Schauen versunkenen Ich und einem Du, und am Ende steht eine surrealistische Traumszene: "…ich verscharre die Schaufel unter deinem Aug, ich ziehe/ den Lehnstuhl ins Dunkel, der dunkelste Ort, zugleich der schönste, / aus meiner Verwirrung ziehe ich Blütenstaub."
Es ist nicht das erste Mal, dass sich Volker Sielaff von der Überraschungsästhetik der großen Surrealisten inspirieren lässt. In seinem "Glossar des Prinzen" (2015) platzierte er bereits eine herrliche Reminiszenz an den rumänischen Surrealisten Gellu Naum, von dessen Spielart "konvulsivischer Schönheit" (André Breton) er auch in seinem neuen Band profitiert.
Lieblingsbeschäftigung Staunen
Dass er auch über die traditionellen Register des Lyrischen verfügt, demonstriert er in einem Kapitel mit betörend einfachen Volksliedstrophen über die Liebe und ihre Untiefen. Diese Texte stehen der Prägnanz einer Mascha Kaléko näher als den Bildzertrümmerungspoetiken der Avantgarde.
Es gehört überhaupt zu den Vorzügen dieses Gedichtbands, dass der Autor in jedem Kapitel eine neue Metamorphose durchläuft und mit einer jeweils neuen Formensprache brilliert. "Ich bin in hohem Bogen ein Diesseitiger", verkündet schließlich das Schlusskapitel, eine schmale Sammlung von kleinen poetischen Erkenntnisblitzen.
Tatsächlich ist der Diesseitige Volker Sielaff auch ein großer Jenseitsdenker – besonders wenn er in "Oberlausitz, Wagenspur" eine Erinnerungs-Fernreise unternimmt in die Lebenswelt seiner Kindheit. Gegen Ende des Bandes entdecken wir dann den Autor bei seiner Lieblingsbeschäftigung – dem Staunen. Und zwar mit hellwachen Sinnen: "Und was ist mit den Steinen, der Steinsuppe, flüsterte / die Sphinx. Wir liegen mit großen Ohren einfach nur da."