Zone für freies Denken
Vor einigen Monaten wäre es fast geschlossen worden: das Embros-Theater in Athen. Die Behörden wollten den besetzten Ort räumen und privatisieren. Doch die Unterstützer waren zahlreich und retteten ein Labor für neue Ideen.
Der große Zuschauerraum ist leer, die Beleuchtung gedämpft, in einer Ecke kämpft ein Heizstrahler gegen die klamme Luft an. Eine Frau schwirrt zwischen den Stuhlreihen hin und her und sammelt Requisiten ein, und die Schauspieler auf der Bühne trinken noch einen Kaffee, bevor die Probe beginnt. Dann, ein Fingerschnipp, und die Stimmung wechselt. Konstantinos Danikas und Dimitris Poros schlüpfen in ihre Rollen. Sie sind nun Fontas und Kolias, zwei arme Schlucker mit großen Träumen.
Die eigenen Träume haben sich die Schauspieler schon längst abgeschminkt. Von ihrer Kunst zu leben, war für die beiden Profis schon vor der Krise nur schwer möglich, inzwischen ist es ausgeschlossen. Wenigstens, sagt Dimitris Poros, müssen sie hier keine Miete zahlen, sonst wäre diese Aufführung gar nicht möglich. Mindestens ebenso wichtig ist den beiden, dass auch die Zuschauer im besetzten Embros-Theater freien Eintritt haben. Das ist, so Dimitris Poros, mehr als eine Nettigkeit, es ist zentraler Bestandteil ihres Konzepts. Nach der Probe lehnt der Schauspieler bequem im Stuhl, die Anspannung ist von ihm abgefallen.
"Es wäre doch absurd, ein Stück über zwei Habenichtse aufzuführen und 50 Euro Eintritt dafür zu verlangen, so dass am Ende nur eine Elite im Zuschauerraum sitzt. Theater ist per se Kunst fürs Volk. Ich sage das nicht nur so dahin, sondern ich bin überzeugt: Wenn die einfachen Leute nicht über sich hinauswachsen, wird sich in der Gesellschaft nichts ändern."
Anderthalb Jahre ist es her, dass das renommierte Athener Künstlerkollektiv "Kínissi Mavíli" das leerstehende Embros-Theater im Herzen der Stadt besetzt, oder, wie man hier lieber sagt, "re-aktiviert" hat. Bis in die 90er-Jahre hinein war es eine der zentralen Bühnen der Athener off-Szene. Dann starb der künstlerische Leiter, das Embros verwaiste ‒ der Bedarf nach einem Ort für die Avantgarde aber blieb, erklärt Kollektiven-Mitglied Vassilis Noulas:
"In Athen fehlte ein Ort für interdisziplinäre Kunstprojekte, und es fehlte ein Ort, wo Kunsttheorie und Praxis zusammen finden könnten. Hier sind Experimente möglich. Auch, weil uns diese Bühne nichts kostet. Wir sind also frei in unserem künstlerischen Ausdurck. Aber das Embros markiert für uns auch eine Zeitenwende. Früher haben wir alle isoliert voneinander gearbeitet. Hier aber ist ein kreatives und soziales Netzwerk entstanden."
Die Re-aktivierung war zunächst als temporäre Aktion geplant: Zehn Tage mit Vorstellungen, Performances und Diskussionen. Aber das Interesse bei Pulikum und Presse war so groß, dass die Künstler weiter machten. Inzwischen ist das Embros-Theater eine Landmarke im kulturellen Leben der Stadt. Wer in Athen die Avantgarde sucht, wer erleben will, wie sich Griechenland erneuert und die Schatten der Vergangenheit hinter sich lässt, kommt am Embros-Theater nicht vorbei. Dimitris Poros nickt. Ja, mit dieser Sichtweise kann er sich anfreunden:
"Das Embros ist einer der ganz wenigen Orte in Athen ohne eine eng umgrenzte ideologische oder parteipolitische Identität. Das ist hier etwas Ungewöhnliches. Die meisten Veranstaltungsorte ziehen in erster Linie Gleichgesinnte an. Wenn es eine Sache gibt, die mir heute in Athen Hoffnung gibt, dann eben genau, dass langsam Orte entstehen, an denen die Bürger in einen offenen Dialog miteinander treten können. Und hier, im Embros, ist das möglich."
Inzwischen finden hier nicht mehr nur Theaterexperimente statt. Als die Künstler vor einigen Monaten Verstärkung suchten, um gegen die drohende Zwangsräumung vorzugehen, sind verschiedene Gruppierungen zu ihnen gestoßen ‒ unter ihnen Politaktivisten und Anarchisten. Nun wird hier noch etwas ganz anderes geprobt: nämlich die Toleranz im Alltag. Woche für Woche wird das Programm neu ausgehandelt, oft unter heftigen, abendfüllenden Diskussionen. Soll Kunst engagiert sein? Politisch? Ist sie das nicht ohnehin?
Fragen, die auch Daoud Habib beschäftigen. Der Grafiker aus Syrien mit griechischem Pass ist erst seit wenigen Monaten in Athen. Er lehnt an einer Wand im Foyer des Embros, mit Schal um den Hals und einem Plastikglas Wein in der Hand:
"Mir sagt dieser Ort zu, weil hier so abstrakte Dinge wie Freiheit oder Demokratie in den Alltag übersetzt werden. Hier spielt es keine Rolle, ob ich Einheimischer bin oder Fremder. Ich fühle mich hier aufgehoben und frei zugleich. Politik ist ja nicht nur das Tagesgeschehen auf der politischen Bühne, sondern auch die Dinge, die wir selber tun, in unserem Alltag, um unsere Welt ein bisschen besser zu machen."
An diesem Sonntag wird gekocht. Das Event ist offen, das Essen umsonst. Wer möchte und kann, zahlt etwas in die Kasse am Eingang ein. Köchin Katerina Rigli kippt große Mengen kleingeschnittenen Gemüses in einen fassgleichen Topf mit brodelnder Hühnerbrühe. Rund um den Refektoriumstisch in der Mitte des Raums sitzen rund zwei Dutzend Leute. Die meisten kommen regelmäßig hierher. Die Theaterwissenschaftlerin Eri etwa betrachtet das Embros-Theater als ihr zweites Zuhause:
"Ich bin praktisch jeden Tag hier. Diese gelebte Solidarität ist unheimlich inspirierend. Wir kochen gemeinsam, es gibt Konzerte, es gibt Theater-Aufführungen, Projekte, Filme. Alles in Selbstverwaltung, alles kommerzfrei. Wenn es zwei, drei Orte gibt in Athen, die mir etwas bedeuten, dann ist dieser hier einer davon."
Zwei Stunden später steht die Suppe auf dem Tisch. Man isst und unterhält sich. Und hofft, dass dieser Ort erhalten bleibt. Denn die Gefahr der Zwangsräumung besteht weiter.
Die eigenen Träume haben sich die Schauspieler schon längst abgeschminkt. Von ihrer Kunst zu leben, war für die beiden Profis schon vor der Krise nur schwer möglich, inzwischen ist es ausgeschlossen. Wenigstens, sagt Dimitris Poros, müssen sie hier keine Miete zahlen, sonst wäre diese Aufführung gar nicht möglich. Mindestens ebenso wichtig ist den beiden, dass auch die Zuschauer im besetzten Embros-Theater freien Eintritt haben. Das ist, so Dimitris Poros, mehr als eine Nettigkeit, es ist zentraler Bestandteil ihres Konzepts. Nach der Probe lehnt der Schauspieler bequem im Stuhl, die Anspannung ist von ihm abgefallen.
"Es wäre doch absurd, ein Stück über zwei Habenichtse aufzuführen und 50 Euro Eintritt dafür zu verlangen, so dass am Ende nur eine Elite im Zuschauerraum sitzt. Theater ist per se Kunst fürs Volk. Ich sage das nicht nur so dahin, sondern ich bin überzeugt: Wenn die einfachen Leute nicht über sich hinauswachsen, wird sich in der Gesellschaft nichts ändern."
Anderthalb Jahre ist es her, dass das renommierte Athener Künstlerkollektiv "Kínissi Mavíli" das leerstehende Embros-Theater im Herzen der Stadt besetzt, oder, wie man hier lieber sagt, "re-aktiviert" hat. Bis in die 90er-Jahre hinein war es eine der zentralen Bühnen der Athener off-Szene. Dann starb der künstlerische Leiter, das Embros verwaiste ‒ der Bedarf nach einem Ort für die Avantgarde aber blieb, erklärt Kollektiven-Mitglied Vassilis Noulas:
"In Athen fehlte ein Ort für interdisziplinäre Kunstprojekte, und es fehlte ein Ort, wo Kunsttheorie und Praxis zusammen finden könnten. Hier sind Experimente möglich. Auch, weil uns diese Bühne nichts kostet. Wir sind also frei in unserem künstlerischen Ausdurck. Aber das Embros markiert für uns auch eine Zeitenwende. Früher haben wir alle isoliert voneinander gearbeitet. Hier aber ist ein kreatives und soziales Netzwerk entstanden."
Die Re-aktivierung war zunächst als temporäre Aktion geplant: Zehn Tage mit Vorstellungen, Performances und Diskussionen. Aber das Interesse bei Pulikum und Presse war so groß, dass die Künstler weiter machten. Inzwischen ist das Embros-Theater eine Landmarke im kulturellen Leben der Stadt. Wer in Athen die Avantgarde sucht, wer erleben will, wie sich Griechenland erneuert und die Schatten der Vergangenheit hinter sich lässt, kommt am Embros-Theater nicht vorbei. Dimitris Poros nickt. Ja, mit dieser Sichtweise kann er sich anfreunden:
"Das Embros ist einer der ganz wenigen Orte in Athen ohne eine eng umgrenzte ideologische oder parteipolitische Identität. Das ist hier etwas Ungewöhnliches. Die meisten Veranstaltungsorte ziehen in erster Linie Gleichgesinnte an. Wenn es eine Sache gibt, die mir heute in Athen Hoffnung gibt, dann eben genau, dass langsam Orte entstehen, an denen die Bürger in einen offenen Dialog miteinander treten können. Und hier, im Embros, ist das möglich."
Inzwischen finden hier nicht mehr nur Theaterexperimente statt. Als die Künstler vor einigen Monaten Verstärkung suchten, um gegen die drohende Zwangsräumung vorzugehen, sind verschiedene Gruppierungen zu ihnen gestoßen ‒ unter ihnen Politaktivisten und Anarchisten. Nun wird hier noch etwas ganz anderes geprobt: nämlich die Toleranz im Alltag. Woche für Woche wird das Programm neu ausgehandelt, oft unter heftigen, abendfüllenden Diskussionen. Soll Kunst engagiert sein? Politisch? Ist sie das nicht ohnehin?
Fragen, die auch Daoud Habib beschäftigen. Der Grafiker aus Syrien mit griechischem Pass ist erst seit wenigen Monaten in Athen. Er lehnt an einer Wand im Foyer des Embros, mit Schal um den Hals und einem Plastikglas Wein in der Hand:
"Mir sagt dieser Ort zu, weil hier so abstrakte Dinge wie Freiheit oder Demokratie in den Alltag übersetzt werden. Hier spielt es keine Rolle, ob ich Einheimischer bin oder Fremder. Ich fühle mich hier aufgehoben und frei zugleich. Politik ist ja nicht nur das Tagesgeschehen auf der politischen Bühne, sondern auch die Dinge, die wir selber tun, in unserem Alltag, um unsere Welt ein bisschen besser zu machen."
An diesem Sonntag wird gekocht. Das Event ist offen, das Essen umsonst. Wer möchte und kann, zahlt etwas in die Kasse am Eingang ein. Köchin Katerina Rigli kippt große Mengen kleingeschnittenen Gemüses in einen fassgleichen Topf mit brodelnder Hühnerbrühe. Rund um den Refektoriumstisch in der Mitte des Raums sitzen rund zwei Dutzend Leute. Die meisten kommen regelmäßig hierher. Die Theaterwissenschaftlerin Eri etwa betrachtet das Embros-Theater als ihr zweites Zuhause:
"Ich bin praktisch jeden Tag hier. Diese gelebte Solidarität ist unheimlich inspirierend. Wir kochen gemeinsam, es gibt Konzerte, es gibt Theater-Aufführungen, Projekte, Filme. Alles in Selbstverwaltung, alles kommerzfrei. Wenn es zwei, drei Orte gibt in Athen, die mir etwas bedeuten, dann ist dieser hier einer davon."
Zwei Stunden später steht die Suppe auf dem Tisch. Man isst und unterhält sich. Und hofft, dass dieser Ort erhalten bleibt. Denn die Gefahr der Zwangsräumung besteht weiter.