Fußball in der DDR

1. FC Magdeburg: Tradition schießt Tore

06:31 Minuten
In Rotterdam feiern die Magdeburger Spieler am 8. Mai 1974 ihren 2:0-Endspielerfolg gegen den favorisierten AC Mailand.
Pokaltriumph: In Rotterdam feiern die Magdeburger Spieler am 8. Mai 1974 ihren 2:0-Endspielerfolg gegen den favorisierten AC Mailand © IMAGO / piemags / IMAGO
Von Niklas Ottersbach |
Audio herunterladen
Der FCM ist einer der großen ostdeutschen Traditionsvereine. Vor 50 Jahren holten sie als einziger DDR-Fußballklub einen Europapokal. Nach der Wende kam der Absturz. Doch nun träumen die Magdeburger sogar von der Bundesliga.
Jörg Biastoch, ehrenamtlicher Präsident des 1. FC Magdeburg, kann sich noch gut erinnern an den 6. November 1974. Damals gastierte der FC Bayern München in Magdeburg. Europokal der Landesmeister. Für die DDR-Staatssicherheit war dieses Spiel ein Großeinsatz. Der 11-jährige Jörg Biastoch hat das damals als Fan miterlebt. Und als Einwohner des Magdeburger Stadtteils Cracau: „Also bei Bayern München war es tatsächlich so, dass das Stadion hermetisch abgeriegelt war. Dass wir schulfrei hatten, weil eben unsere Schule in Cracau von einer Bereitschaftspolizei aus Halle okkupiert wurde, die haben dort genächtigt. Das war schon eine besondere Situation. Das war bei anderen EC-Spielen nicht der Fall.“
Alte Pokal-Helden: Manfred Zapf, links, und Wolfgang "Paule" Seguin 50 Jahre nach dem Triumph gegen den AC Mailand.
Alte Pokal-Helden: Manfred Zapf, links, und Wolfgang "Paule" Seguin 50 Jahre nach dem Triumph gegen den AC Mailand. © IMAGO / Christian Schroedter / IMAGO / Christian Schroedter

Umfangreiche Stasi-Überwachung

 „Vorstoß II“. So hat das Ministerium für Staatssicherheit der DDR die Überwachungsaktion rund um das deutsch-deutsche Aufeinandertreffen genannt. „Vorstoß I“ war übrigens die Vorgänger-Stasi-Aktion bei Partie Dynamo Dresden gegen Bayern München ein Jahr vorher, 1973. Bayern-Trainer Udo Lattek wusste also in Magdeburg 1974 um die umfangreiche Überwachung. Und hat aus Angst vor verwanzten Hotelzimmern seine Teambesprechung extra in einem Magdeburger Park gehalten. Bayern-Spieler Rainer Zobel hat damals im defensiven Mittelfeld gespielt. Und erinnert sich an die zwei Busse voll mit Essen, die die Münchner aus Angst vor der DDR-Kost nach Magdeburg geschickt haben. „Ja, sogar von Feinkost Käfer. Der war gut ausgestattet. Wir durften es aber nicht essen. Weil der Bus wurde dann umstellt von der Volkspolizei. Und wir haben dann im Interhotel ganz normal gegessen. Wir durften zwar in den Bus gehen, aber nicht essen. Und insofern war das alles ganz normal. Es ist uns gut bekommen, es hat uns keiner vergiftet.“

Kalter Krieg in kurzen Hosen

Das Landesarchiv in Magdeburg hat alte SED-Dokumente und Fotos gesichtet. Und zur Ausstellung „Kalter Krieg in kurzen Hosen“ zusammengestellt. Zur Podiumsdiskussion im November mit den Spielern von 1974 ist der Saal voll, knapp 100 Leute sind gekommen. Den Fremdblick liefert an diesem Abend Rainer Zobel. Bayern-Spieler der 70er-Jahre. Ein Kenner des DDR-Fußballs. Zobel ist in Uelzen aufgewachsen, also Zonenrandgebiet der BRD. Er konnte DDR-Oberliga Fußball im Fernsehen empfangen. Und da stach Magdeburg eben raus. „Es war außergewöhnlich, dass Dresden und Magdeburg, beide Mannschaften, Individualisten hatten. Was eigentlich so im DDR-Fußball nicht so beliebt war. Sondern es war immer so ein Kollektiv und alle waren gleich. Und diese beiden Mannschaften hatten Stars und hatten wirklich auch eine gute Hierarchie. Und das hat die so stark gemacht.“

Glorreiche Geschichte als Exiszenzgrundlage

Die glorreiche Historie des FCM, sie sei nach wie vor die Existenzgrundlage des Vereins, sagt Präsident Biastoch mit Blick auf den EC-Sieg, den Europapokalsieg vor 50 Jahren. Und erinnert an die schwierigen Jahre nach der Wende. Das Rumdümpeln im Amateurfußball. „Tradition ist wichtig, weil Tradition etwas ist, warum dieser Verein überlebt hat. Also, in den 2000er-Jahren war hier wirklich zappenduster. Und ich glaube nicht, dass Magdeburg heute ohne diesen EC-Sieg noch in der Form existieren würde. Weil damals Leute ihr letztes Taschengeld gegeben haben, um die Insolvenz abzuwenden bzw. den Verein zu retten.“ Apropros Fans: Ost-Ost-Ostdeutschland-Rufe: Diese Fangesänge gab es eine Zeit lang auch in Magdeburg. Inzwischen nur noch selten. Nicht Westdeutschland, sondern der DFB ist das Feindbild der inzwischen eher linken Ultra-Szene von Magdeburg.
"Rechtsradikale haben in unser Fanszene keine Heimat": FCM-Präsident Jörg Biastoch
"Rechtsradikale haben in unser Fanszene keine Heimat": FCM-Präsident Jörg Biastoch © IMAGO / Christian Schroedter / IMAGO / Christian Schroedter
Andererseits hat in diesem Jahr dann eine Fan-Choreografie mit Nazi-Banner für Entsetzen gesorgt. Auf dem Banner bei einem Magdeburger Heimspiel war zu lesen, Zitat: „Schützt die Heimat vor fremden Fahnen, schreitet voran und habt kein Erbarmen“. Eine Liedzeile der Magdeburger Nazi-Band „Rien ne va plus“. Dazu in der Mitte: ein Wappen, das an das Logo der DDR-Staatssicherheit erinnert. Das Ganze sei ein Missverständnis, sagt FCM-Präsident Jörg Biastoch. Die Choreografie des Fanclub Köthen sei vor allem eine Botschaft an den regionalen Erzfeind aus Halle gewesen. Halle-Magdeburg: die große Rivalität in Sachsen-Anhalt. Vor allem im Fußball. „Und es geht da wirklich um die Rivalität zwischen unserm südlichen Nachbarn. Und da ist natürlich Köthen so ein bisschen die Grenzstadt. Und das war auch der Hintergrund. Es geht auch in dem Lied, übrigens ich habe es mir selbst auch noch mal angehört. Ich finde es jetzt nicht gerade kulturell sehr wertvoll. Aber es hat vom Text her einen reinen Fußball-Bezug. Das heißt, es ist dort aus welchen Gründen auch immer in einen rechtsradikalen Bezug reingekommen. Den es nicht hatte, der nicht gewollt war. Der auch in unserer Fanszene keine Heimat hat. Es war definitiv missverständlich.“

Traumziel Bundesliga

Das Nazi-Banner beim Heimspiel, das keines sein sollte, war jedenfalls kein gutes Omen fürs Sportliche: Zu Hause holt der 1.FC Magdeburg im Herbst 2024 kaum Punkte, dafür auswärts. Wolfgang Seguin, FCM-Legende, einer den gelobten Individualisten aus den 70ern, hadert mit der mageren Magdeburger Heimspiel-Bilanz von heute. Aber alles in allem ist er ganz zufrieden mit seinem FCM, der sich als einziger Ost-Club in der Zweiten Bundesliga wacker schlägt. Und mit seinen 79 Jahren hat Wolfgang Seguin noch einen Traum. „Ich hoffe nochmal, dass ich erste Liga hier in Magdeburg sehe. Das Zeug hat die Mannschaft dazu. Sie muss nur beständiger sein. Und vom Spielerischen her brauche ich Ihnen nicht zu sagen: Das ist schon hervorragend. Aber sie fressen eben zu viele Tore hinten.“ Jörg Biastoch, der ehrenamtliche FCM-Präsident, ist da bisschen defensiver. Sein Ziel: Klassenerhalt. Und dann weiter die Magdeburger Fußball-Nostalgie bespielen. Im kommenden Jahr gehts nämlich weiter mit dem Blick zurück. 2025 feiert der Club 60 Jahre Vereinsgründung. Insofern heißt es für den 1. FC Magdeburg derzeit: Nach dem Jubiläum ist vor dem Jubiläum.

Abonnieren Sie unseren Newsletter „Das Magazin“

Das Beste aus unseren drei Programmen, persönliche Geheimtipps und News aus dem Haus – jede Woche für Sie zusammengestellt.

Vielen Dank für Ihre Anmeldung!

Wir haben Ihnen eine E-Mail mit einem Bestätigungslink zugeschickt.

Falls Sie keine Bestätigungs-Mail für Ihre Registrierung in Ihrem Posteingang sehen, prüfen Sie bitte Ihren Spam-Ordner.

Willkommen zurück!

Sie sind bereits zu diesem Newsletter angemeldet.

Bitte überprüfen Sie Ihre E-Mail Adresse.
Bitte akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung.
Mehr zum Fußball in der DDR