Ein Hauch von Hardcore
Der erste Tag beim Bachmann-Lesewettbewerb in Klagenfurt ist vorbei. Literaturredakteur Kolja Mensing berichtet von einem kleinen Triumph der jungen Wienerin Stefanie Sargnagel und von einem berührenden serbischen Popsong, gesungen von Autor Marco Dinic.
Auch Marko Dinić pflegt die Marke: Der Schriftsteller trägt bereits im Videoporträt auf der Webseite des Ingeborg-Bachmann-Preises und dann auch bei seiner Lesung ein T-Shirt mit dem Schriftzug der amerikanischen Hardcore- und Punk-Rock-Band No Means No. Die Band wurde 1979 gegründet und feierte ihre größten Erfolge Mitte und Ende der achtziger Jahre. Marko Dinić muss die Formation sehr viel später entdeckt haben, er ist Jahrgang 1988. Aber: Ein Hauch der "None Of Your Fucking Business"-Haltung, die No Means No musikalisch perfektioniert haben, konnte man auch in seiner Performance hier in Klagenfurt erahnen.
Marko Dinić lebt in Österreich, geboren ist er in Serbien. Er hat als Kind die Bombardierung Belgrads miterlebt, und in seinem Text "Als nach Milošević das Wasser kam" erzählt er genau von dieser Zeit, in einer klaren, harten Sprache: "Damals saßen ich und meine Kumpels auf dem Zehnmeterturm und zeigten den vorbeidröhnenden NATO-Fliegern den Vogel oder den nackten Arsch, verfluchten im Minutentakt alle Länder, die am Bombardement teilnahmen und käuten Sätze wieder wie: 'Von Belgrad bis Tokio töte, vernichte, damit der Muslim nichts errichte.'"
Volkslied als Teil der Lesung
Diese Lesung hat mächtig Eindruck gemacht: Dinić sitzt nicht, er steht; er liest laut, deutlich und akzentuiert, und dann singt er auch noch. Keinen No-Means-No-Titel, sondern einen melancholischen serbischen Popsong. Kurz danach gab er dann noch ein paar Zeilen aus einem Volkslied zum Besten, auch das Teil der Lesung: "Balkan, Balkan, mein Balkan, sei stark und stehe fest."
Darüber kam die Jury – die ausnahmslos angetan war von Dinić’ Text – ziemlich ins Rätseln: Wie passt dieses zweideutige patriotische Bekenntnis zur serbischen Heimat zu einem Text, in dem Milošević als "Schweinegesicht" bezeichnet wird – und der Erzähler davon träumt, endlich das Land verlassen zu dürfen? None of our f*** business: Literatur baut keine Brücken, sondern macht höchstens mal ein kleines Fenster in ein anderes, fernes Leben auf.
So gar nicht korrektes Deutsch
Ansonsten war der erste Lesetag eher business as usual. Stefanie Sargnagel – mit der Startnummer 1 – machte genau das, womit alle gerechnet hatten: Sie lieferte eine hübsch provokante Erzählung. Eine junge, leicht randständige Autorin wird gebeten, einen Text für den Bachmann-Preis einzureichen, was sie aber eigentlich gar nicht will: "Nein, ich scheiß drauf, mir fällt nix ein." Die Jury wusste mit Stefanie Sargnagel gar nichts anzufangen. Sei’s drum: Das Publikum hatte Spaß an dem digitalen Punk mit der roten Baskenmütze.
Morgen liest dann endlich Tomer Gardi, einer der heimlichen Favoriten her: Er ist Israeli, Muttersprache Hebräisch, und er spricht und schreibt offenbar gerade nicht die Sorte Deutsch, die man normalerweise in Klagenfurt beim Wettlesen um den Bachmann-Preis zu hören bekommt. "Broken German" ist der Titel des Romans, der demnächst erscheint, der anscheinend in einem anderen, so gar nicht korrekten Deutsch geschrieben ist – das vielleicht irgendwann einmal der Sound der Einwanderungsgesellschaft in Deutschland oder Österreich werden könnte. Grammatik-Parias welcome!