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Mit Stimmen spielen wie Brahms
Fast drei Millionen Deutsche singen begeistert in Chören. In Freiburg traten die besten nun gegeneinander an. Das Niveau ist hoch, das Programm bunt und deutsche Arrangeure machen den Skandinaviern immer mehr Konkurrenz.
Die Amateur-Spitzenchöre Deutschlands, dies lässt sich vorweg schon sagen, präsentieren sich zurzeit so professionell und kreativ wie nie zuvor. Besondere Beachtung fanden zunächst die klassischen Kammerchöre, die Königsdisziplin des Chorgesangs. Die Musik vieler Epochen vom 15. bis ins 20. Jahrhundert wird in dieser Kategorie gepflegt. Hier messen sich die Darbietungen auch an bereits bestehenden höchsten Interpretationsansprüchen. Dass dies Laien bravourös meistern, zeigt welchen hohen Stellenwert Chorsingen hierzulande wieder einnimmt.
Auch Jürgen Budday, der den Gesamtvorsitz der Jury innehatte und selbst mit dem Maulbronner Kammerchor jahrzehntelang ein Spitzenensemble leitete, zeigte sich über das Abschneiden der Kammerchöre sehr zufrieden.
Jürgen Budday: "Das war wirklich eine Freude, diesen Chören zuzuhören. Und das drückt sich natürlich auch dadurch aus, dass wir zwei erste, zwei zweite und zwei dritte Preise vergeben haben. Da war die Jury sich einig, dass wir diese hervorragenden Leistungen auch so honorieren wollten."
Der Kammerchor der Musikhochschule Mannheim war einer der beiden ersten Preisträger. Er konnte mit insgesamt sieben Stücken von der Renaissance bis in die Moderne vollauf überzeugen. Einen Schwerpunkt legte der Chor auf herausfordernde Kompositionen aus dem 20. Jahrhundert. Mit zwei Stücken des Esten Veljo Tormis erzielte das Ensemble beeindruckende dynamische Wirkungen. Gleichzeitig scheute der Chor auch vor vokalexperimenteller Musik nicht zurück, die man mit viel Spaß an neuen Tönen interpretierte. So in dem Stück "Readymade Alice" des Finnen Perttu Haapanen.
Den zweiten ersten Preis erhielt übrigens der Kammerchor Josquin des Préz aus Leipzig, der vor allem mit Musik aus der Renaissance und Romantik überzeugte. Bereits beim letzten und vorletzten Deutschen Chorwettbewerb hat sich gezeigt, dass die Kategorie der populären Chormusik einen unglaublichen Boom erfährt. Dieser Trend hat sich jetzt bestätigt. Die populäre Chormusik ist auf einem, den klassischen Chören gleichwertigen Niveau angelangt.
Anne Kohler, Professorin für Chorleitung in Detmold, errang mit ihrem Chor "Pop Up Detmold" einen ersten Preis. Für sie sind die Zeiten einer Geringschätzung des populären Genres vorbei.
Anne Kohler: "Ich glaube, wir sind jetzt über diesen Punkt des Schubladendenkens drüber weg, wo wir klassischen Musiker, zu denen ich mich ja auch zähle, das Gefühl haben: Ach, die anderen, die klatschen immer nur und treten von einem Bein aufs andere und dann machen sie noch ein bisschen ,Hu, Hu, Hu' und singen drei Popakkorde. Dieses Klischee ist jetzt, glaube ich, ein für alle Mal vom Tisch und man nimmt sich gegenseitig ernst."
Die populären Chöre können zwar nicht auf die Musik vieler Jahrhunderte zurückgreifen, doch haben sie in den letzten knapp drei Jahrzehnten eine enorme stilistische Vielfalt ausgeprägt. So gehören unter anderem Jazz, Swing und Pop zu den Genres, die die Ensembles allesamt beherrschen. Hinzu kommt eine eigene Innovationskraft: Noch bis vor wenigen Jahren waren die skandinavischen Länder und die USA tonangebend in diesem Bereich. Fast alle Arrangements, die gesungen wurden, kamen von dort. Nun aber liefern nicht selten die deutschen Chorleiter selbst Arrangements, und die können sich auch im internationalen Vergleich bestens behaupten, wie der Jury-Vorsitzende dieser Kategorie, Matthias E. Becker, unterstreicht.
Matthias E. Becker: "Die Spitze der deutschen Chorleiter, die auch arrangieren, ist absolut top! Denn sie können ja auch, wie das früher Johannes Brahms auch mit seinem Frauenchor in Hamburg gemacht hat: Er hat gelernt, indem er geschrieben hat, gehört hat und gesagt hat: Oh, das klappt nicht, da muss ich nochmal ran. Und das ist natürlich eine tolle Kombination. Wenn ein Chorleiter arrangiert, bringt das in seinen Chor und merkt dann: Wow, das funktioniert, das funktioniert nicht. Und so lernt man natürlich ganz schnell: Learning by doing."
Einer der herausragenden Chorleiter-Arrangeure ist Martin Seiler. Er präsentierte selbstgeschriebene Arrangements mit seinem Ensemble "Greg Is Back". Seiler beherrscht fast alle Facetten populärer Chormusik bis hin zu originellen Filmmusikbearbeitungen. Mit seinem Chor erreichte er den zweiten Platz.
Beobachten konnte man in Freiburg auch, wie die Chöre der unterschiedlichen Richtungen voneinander lernen. So gehört es mittlerweile zum Standard, dass die Ensembles aller Kategorien selbst schwierigste Programme auswändig singen. Für die Jazzchöre, die zudem häufig originelle Performance-Elemente bieten, war dies schon immer selbstverständlich.
Hervorzuheben wäre noch, dass die Kinder- und Jugendchöre des Wettbewerbs, darunter auch viele ganz normale Schulchöre, ebenfalls auf einem ausgezeichneten Niveau singen. Insofern muss man sich derzeit um die beständige Weiterentwicklung der deutschen Chorszene auf sehr hohem Niveau keine Sorgen machen.