Ein heißes Eisen bei der Linken
Vor mehr als zehn Jahren wurde in der Jugendorganisation der Linkspartei der Bundesarbeitskreis Shalom gegründet. Seither gibt es kontroverse Debatten zu Antisemitismus und dem Verhältnis zum Staat Israel.
Es ist das Jahr 2007, die Fusion der SPD-Abspaltung WASG und der PDS - Nachfolgepartei der SED - ist perfekt. Die Gründung der Partei "Die Linke" beschlossene Sache. Ein neuer Jugendverband, die Linksjugend Solid wird im Kosmos, dem ehemalig größten DDR-Kino in Berlin aus der Taufe gehoben. Erklärungen werden verabschiedet, Sprecherinnen und Sprecher gewählt und Bundesarbeitskreise gründen sich. Einer davon nennt sich "BAK Shalom". Angetreten um eine schonungslose Kritik antisemitischer und antizionistischer Positionen in den eigenen Reihen zu formulieren.
Extremer Kurs
Benjamin Krüger gehört zu den Gründungsmitgliedern des "BAK Shalom". Er sitzt mit neuen Mitstreiterinnen auf dem Podium in einer Neuköllner Kneipe um Bilanz zu ziehen und sagt: "In der Tat war ja die Zeit nach Gründung der Linken eine spannende Zeit, weil auch in der Bundestagsfraktion, aber auch im Parteivorstand, vor allen Dingen in der Bundestagsfraktion, mit der Doppelführung Oskar Lafontaine/Gregor Gysi einfach eine inhaltliche Findung stattgefunden hat." Zum Thema Israel, Palästina und Nahostkonflikt habe es verschiedene Bundestagsabgeordnete gegeben, die jetzt glücklicherweise nicht mehr im Bundestag seien. Sie hätten einen extremen Kurs gefahren und die Linke sich dann auch entsprechend positioniert.
Der erste Paukenschlag: Der "BAK Shalom" fordert den Rücktritt von Norman Paech, damals außenpolitischer Sprecher der Linken im Bundestag. Die Mitglieder des Arbeitskreises werfen ihm antizionistische Ressentiments, und Verbrüderungsgesten Richtung Hamas vor. Dazu Krüger: "Aber es ging ja vor allen Dingen ja auch darum, Standards einzuführen. Es waren eben Debatten dazu: Ist die Hamas eine legitime Befreiungsbewegung? Und sag ich mal Standards wie, dass natürlich wir auch für die Zweistaatenlösung sind." Das seien Debatten gewesen. "Das war für uns schon sehr, sehr wichtig, zu sehen, dass sich da was bewegt hat. Der Weg dahin war ja, als also ging ja an die Substanz."
Streit im Bundestag
2011 erreicht die Auseinandersetzung sogar den Deutschen Bundestag. In einer aktuellen Stunde wird über Antisemitismus in der Linkspartei diskutiert. Anlass ist eine Studie, die der Sozialwissenschaftler Samuel Salzborn und der Historiker Sebastian Voigt vorlegen. Darin stellen die Autoren einen weit verbreiteteten antizionistischen Antisemitismus in der Partei fest. Voigt gehört wie Krüger zu den Gründern des "BAK Shalom", war allerdings nie Parteimitglied. Er sagt: "Der Hintergrund war natürlich die Mavi-Marmara-Flotte, also der Versuch von Pro-Palästina-Aktivisten die Seeblockade des Gaza-Streifens zu durchbrechen und die Auseinandersetzungen, militärischen Auseinandersetzungen, die es dann auf dem Schiff gab." Damals waren drei Abgeordnete der Linkspartei dabei. "Und dann haben wir geschaut, was an aktuellen Vorfällen sonst noch da ist."
Die Studie beschäftigt sich mit Positionen von Abgeordneten und Funktionsträgern der Partei zum Nahost-Konflikt. Israelfeindliche Aussagen werten Voigt und Salzborn in ihrer Studie als antisemitisch.
Lob für "BAK Shalom"
Der Linken-Politiker Benjamin-Immanuel Hoff lobt, dass mit dem Finger auf diejenigen gezeigt worden sei, die sich zum Teil auch offen antisemitisch positioniert hätten nd unter dem Deckmantel einer Kritik an Israel antisemitische Positionen vertreten hätten. "Da hat der BAK Shalom aus meiner Sicht genau das Richtige getan, nämlich das Problem offenkundig deutlich gemacht und das ist sein großes Verdienst." Hoff ist Chef der Thüringer Staatskanzlei und Kultusminister im Kabinett von Bodo Ramelow, ebenfalls von der Partei Die Linke. Der heutige Ministerpräsident von Thüringen beendet damals den Burgfrieden und sagt "Ja, es gibt Antisemiten bei uns". Anders die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht, sie bezeichnet derlei Vorwürfe in der Zeitung "Jüdische Allgemeine" als konstruiert, weil laut Beschlusslage Antisemitismus in der Partei nicht geduldet werde. Von dieser Warte aus wird der "BAK Shalom" seit seiner Gründung kritisiert und angefeindet.
"Also es war nicht so dass wir da überall als Fremdkörper wahrgenommen wurden, das haben eben Leute behauptet, die inhaltlich anderer Meinung waren", sagt Krüger. "Aber wir wurden auch viel eingeladen, im Westen im Osten. Auch ganz spannend wie unterschiedlich die Diskussion da stattgefunden haben. Im Westen oftmals hoch emotional, im Osten wesentlich ruhiger." Grob ließe sich der innerlinke Nahost-Konflikt am Verlauf der ehemaligen innerdeutschen Grenze nachzeichnen, so Voigt. Als Kampf für und gegen alte Ideologien. "Mein Eindruck ist, dass viele Landesverbände im Osten in der Linkspartei eine ernsthafte Auseinandersetzung mit ihrer eigenen sowohl persönlichen, als auch parteipolitischen Vergangenheit vorgenommen und auch mit Positionen gebrochen haben und die überdacht haben", sagt Voigt. Sie hätten allerdings auf einer realpolitischen Ebene nicht unbedingt das gewollt, was eine radikale Linke im Westen gewünscht habe, zu allen Weltkonflikten eine antiimperialistische Position einnehmen.
Die DDR-Sicht
In der DDR wurde der Israel-Palästina-Konflikt nach einer antiimperialistischen Schablone gedeutet, als Konflikt zwischen Imperialisten und Völkern. Ebenso sah das die traditionelle Linke in der alten Bundesrepublik: Israel wird als Besatzer und Aggressor gesehen, die Palästinenser als Opfer, deren Kampf fast automatisch als emanzipatorisch gewertet wird. Dies sei eine Sichtweise die in der Partei auf dem Rückzug sei, sagt Sarah Rambatz, Bundessprecherin des "BAK Shalom". Inge Höger zum Beispiel - damals an Bord der Gaza-Flotte - habe sich aus der Bundespolitik zurückziehen müssen. Als sie kürzlich zur Landessprecherin der Linkspartei in Nordrhein-Westfalen gewählt wird, tut der "BAK Shalom", was er immer tut: "Also wir haben uns dagegen positioniert, dass Inge Höger in NRW in eine Funktion erneut gewählt wurde", sagt Rambatz. "Ich würde sagen, wir sind da tatsächlich auf ein relativ dankbares Publikum gestoßen, was für mich einen starken Unterschied zeichnet, weil wir eben von Anfang an Akzeptanz vorgefunden haben."
Zumal die gegenseitige öffentliche Kritik unter Genossinnen und Genossen heute selbstverständlicher sei. Ein heißes Eisen ist das Thema wohl dennoch. Der Bundesvorstand der Partei lässt die Anfrage nach einer Erklärung zum "BAK Shalom" unbeantwortet.
Neue Baustellen
Niklas Giessler, ebenfalls Bundessprecher des "BAK Shalom", sagt, es gäbe neue Baustellen. Der Arbeitskreis will die Diskussion um den politischen Islam in Partei und Jugendverband tonangebend mitgestalten. Doch auch die "Aufstehen"-Bewegung und ihre Anführerin Wagenknecht müsse man im Auge behalten. "Wagenknecht macht das ja regelmäßig", sagt GIessler. "Dieses Interview, wo sie dann auf die Frage: "Regieren die Rothschilds die Welt" antwortet sie halt, ich bin der Auffassung, dass alle Banken zu viel Macht haben und dazu gehören die Rothschilds. So, dass ist im Prinzip dass, was man im Amerikanischen "Dog Whistle Prinzip" nennt."
Das Hundepfeifenprinzip. Hundepfeifen machen Töne, die Menschen nicht wahrnehmen, Hunde aber schon. Wer antisemitische Vorurteile glaubt und Verschwörungstheorien gut findet, hört den antisemitischen Unterton beim Signalwort Rothschilds. Wagenknecht kennt diesen Effekt wahrscheinlich, oder sie weiß nicht, dass die Rothschilds mit ihren vergleichsweise kleinen Privatbanken nicht viel hergeben für eine vernünftige Kritik des Weltmarktes. Apropos, wer über Judenfeindschaft nicht reden will, solle über Kapitalismuskritik schweigen, findet Voigt. "Weil Antisemitismus eine Welterklärungsideologie ist, die für sich in Anspruch nimmt, alle komplexen Verhältnisse der Welt reduktionistisch zu erklären, die abdriftet in Verschwörungstheorien und natürlich auch verbunden ist mit einem Antiliberalismus und einen Antiamerikanismus und mit einem regressivem Antikapitalismus."
Da sind sich die Vertreterinnen und Vertreter der Gründergeneration und die heutigen Macher des "BAK Shalom" einig: Die Voraussetzungen für eine fortschrittliche, linke Gesellschaftskritik sei einerseits die kompromisslose Absage an den Antiimperialismus. Und anderseits die bedingungslose Solidarität mit Israel. Nur so ließen sich die Einfallstore für antisemitische Positionen schließen. Eine Aufgabe, die trotz Erfolgen noch nicht erledigt sei.