Ein Topf voll Subventionen
Polen ist seit zehn Jahren Mitglied in der Europäischen Union und kann damit auch auf die Fördertöpfe zugreifen. Das hat der Landwirtschaft einen Aufschwung beschert - mit deutlich messbaren Erfolgen. Ein Besuch vor Ort.
Wer begreifen will, was die EU-Mitgliedschaft für Polen bedeutet, darf sich nicht alleine auf die Industrie-Region vor allem im Westen des Landes konzentrieren. Nicht die großen Städte wie Danzig, Posen, Breslau oder Warschau als Beispiel nehmen. Wer sehen und hören möchte, wie sich Polen seit dem EU-Beitritt verändert hat, sollte vor allem die Dörfer zum Beispiel im Osten des Landes aufsuchen.
Mieczyslaw Wojcik: "1961 gab es bei uns noch keine Elektrizität. Ich las Bücher bei Kerzenlicht. Weshalb ich von meinen Eltern immer gerügt wurde. Ich las die großen historischen Romane. Am liebsten von unserem berühmten Schriftsteller Henryk Sienkiewicz."
Kindheitserinnerungen des Gemeindevorstehers von Stoczek. Hier auf dem flachen Land waren und sind teilweise bis heute, so selbstverständliche Dingen wie Kanalisation, asphaltierte Straßen oder Internetanschluss eine wahre Rarität. Auch in Stoczek, sagt Gemeindevorsteher Mieczyslaw Wojcik, sei das lange so gewesen.
"Dank der EU-Gelder haben wir in unserer Gemeinde Wasserleitungen verlegt, Straßen gebaut, die Schulen renoviert. Alles im Gesamtwert von umgerechnet rund einer Million Euro. Davon kamen fast 800.000 Euro aus den EU-Kassen."
Für Stoczek, meint Gemeindevorsteher Wojcik, sei der Beitritt Polens zur Europäischen Union 2004 ein Quantensprung der Zivilisation gewesen. Davon profitieren auch viele Landwirte. Vor allem jene, die Getreide und Raps anbauen. So wie in Biskupice. Ein kleines Dorf südwestlich von Warschau. Eine Gegend, sagt Bozena Konopka, die heute eigentlich nur Dank der EU überlebt.
"Unsere Situation hat sich stark verbessert. Seit dem EU-Beitritt haben wir mehr Möglichkeiten, unsere Ziele umzusetzen. Wir haben mehr Möglichkeiten, Maschinen zu kaufen dank verschiedener Strukturfonds.
Wir können uns mit den Bauern in der gesamten EU austauschen. Wir nutzen häufig diese Gelegenheit und fahren zu Messen nach Dänemark oder Deutschland. Also wir sind sehr zufrieden und auch andere Landwirte, mit denen ich Kontakt habe, sind glücklich über den EU-Beitritt Polens und freuen sich über die nun herrschenden EU-Strukturen."
"Es gibt keinen Exodus unter den Landwirten"
Anfangs - in den 80er-Jahren - erzählt die Landwirtin, seien zehn Hektar Land ausreichend gewesen, um davon gut leben zu können. Doch dann kam der politische Umbruch und damit die Aussicht auf einen Beitritt Polens zur Europäischen Union.
Die Konopkas wollten nicht warten, sie nahmen Kredite auf und kauften 50 Hektar Land zusätzlich. Eine Mitte der 90er-Jahre ziemlich riskante Entscheidung. Niemand konnte den Bauern garantieren, dass sich die polnische EU-Mitgliedschaft auch für sie auszahlen würde. Es gab genügend Kritiker, die damals, statt das Positive zu sehen, permanent vor dem drohenden Bankrott der Landwirte warnten. Alles Quatsch, sagt die 54-jährige Landwirtin, wer damals Ängste schürte, hätte schlicht keine Ahnung gehabt:
"Es gibt keinen Exodus unter den Landwirten. Im Gegenteil: es gibt eine spürbare positive Veränderung. Wir haben jetzt weitaus mehr Möglichkeiten unser Wissen zu erweitern. Es gibt viele Fortbildungsangebote. Auch unsere Kinder sind gut ausgebildet. Wir sind mit unserem Leben zufrieden. Vor allem seit wir unseren Hof erweitert haben. Jetzt müssen wir keinen zusätzlichen Jobs mehr nachgehen, um genug zu verdienen."
Aktuellen Statistiken zufolge, waren in Polen 2013 landesweit rund 1.360.000 landwirtschaftliche Betriebe registriert. Wovon die meisten allerdings lediglich über eine Gesamtfläche von weniger als 50 Hektar verfügen.
Diese Betriebe, so der Leiter des zuständigen Landwirtschaftlichen Forschungsinstituts, Professor Andrzej Kowalski, würden kaum etwas zur Landesproduktion beitragen und müssten eher als Selbstversorger betrachtet werden. Eine historisch bedingte Situation in der Landwirtschaft, die sich erst langsam verändern würde:
"Polen hatte von 1974 bis 2003 eigentlich ununterbrochen einen negativen Saldo im Handel mit landwirtschaftlichen Produkten. Während der Kommunisten-Herrschaft haben wir hauptsächlich Rohstoffe exportiert. Erst jetzt überwiegen in der Landwirtschaft verarbeitete Produkte.
Die Preise für unsere Erzeugnisse sind allerdings auch nach dem EU-Beitritt Polens nicht wesentlich gestiegen. Für die Bauern ist das eine ziemlich ungünstige Entwicklung. Vor allem weil die Produktionskosten hier schneller steigen, als etwa die Preise der Landwirtschaftlichen Produkte selbst."
Den Kunden kann das nur recht sein. Was man unter anderem auf dem Bauernmarkt im Warschauer Stadtteil Ursynow beobachten kann.
Preise im Großhandel steigen kontinuierlich
Tausende Menschen drängen sich hier an den Wochenenden, kaufen Obst und Gemüse in großen Mengen ein, ohne dabei ihre Geldbeutel allzu sehr strapazieren zu müssen. Was die Obstbauern indessen alles andere als gut finden:
Ein Apfelbauer: "Ich erinnere mich noch an Zeiten der Kommunisten-Herrschaft hier. Da war es besser. Die Äpfel kosten seit X Jahren, immer das gleiche. Die Energiepreise sind aber gestiegen, die Pflanzenschutzmittel sind über 100 Prozent teurer, nur das Obst hat den gleichen Preis wie vor 15 Jahren.
Die EU-Mittel sind ein Witz. Die Subventionen, die sie mir für meinen Obstgarten geben, reichen aus, um gerade zweimal den Traktor zu tanken. Das ist doch gar nichts."
Klingt dramatisch, ist aber nur die halbe Wahrheit. Denn die Preise im Großhandel, das geben viele Obstbauer zu, steigen kontinuierlich. Und genau von dieser Entwicklung profitieren die Landwirte am meisten. Hinzu kommen Direktzahlungen aus den EU-Töpfen, rund 1000 Zloty pro Hektar, das sind umgerechnet 250 Euro. Subventionen, die sich freilich nur dann auswirken würden, meint Landwirtin Bozena Konopka, wenn die Anbaufläche entsprechend groß sei.
"Hier im Ort gehen wir mit gutem Beispiel voran. Wir wollen den anderen Bauern zeigen, dass die Erweiterung der Anbaufläche Sinn macht. Dass sich mutige Entscheidungen als vorteilhaft erweisen."
So wie Bozena Konopka denken in Polen dennoch weiterhin nur wenige Landwirte. Die Angst, sich über beide Ohren zu verschulden, ist einfach zu groß. Der polnische Landwirtschaftsminister, Marek Sawicki, gibt sich trotzdem optimistisch:
"Natürlich haben wir noch enorme Defizite im Bereich der Investitionen. Aber wir verlassen langsam den unterentwickelten Bereich, den wir vom früheren System geerbt haben. Heute sind wir ein gleichberechtigter Partner auf den Märkten der EU. Der Exportwert der in Polen erzeugten landwirtschaftlichen Produkte beträgt über 13 Milliarden Euro."
Bei Roggenproduktion an zweiter Stelle in der EU
Mittlerweile ist Polen der größte Apfelexporteur der Welt. Bei der Roggenproduktion rangiert das Land innerhalb der EU an zweiter Stelle. Und mit der Schweinemast belegt Polen europaweit Platz drei. Was im Endeffekt dazu führt, dass die Einnahmen vieler polnischer Landwirte in den letzten Jahren um fast 45 Prozent gestiegen sind. Aber eben nicht bei allen.
Große Probleme haben weiterhin offenbar die Milchbauern. Dariusz Putkowski ist einer von ihnen. Seit Generationen, erzählt der 50-Jährige, würden auf dem Hof der Familie Kühe gehalten. Ein miserables Geschäft, klagt der Bauer. Das Geld reiche gerade mal so zum Überleben. Hat der Beitritt Polens zur EU an dieser Situation nichts verändert? Kaum – antwortet Dariusz Putkowski – dann überlegt er kurz und fängt an zu schimpfen:
"Ich denke, früher unter den Kommunisten ging es den Bauern besser. Mein Vater hatte sechs Kühe. So wie seine Nachbarn eben auch. Kühe, ein paar Schweine, ein Dutzend Hühner. Das reichte. Die Menschen lebten ganz gut, sie hatten für alles Zeit. Sie trafen sich ständig, feierten bei allen möglichen Anlässen. Und jetzt? Jetzt jagen wir alle einem Ziel hinterher, das der Mensch sowieso nicht erreichen wird. Wir jagen einem Ziel hinterher, das wir nicht einmal sehen können."
Glücklich klingt in der Tat anders. Wobei es nicht so sehr Nostalgie ist, nach dem Motto: früher war alles besser, die Dariusz Putkowski das Klagelied anstimmen lässt. Es sei vielmehr die Enttäuschung, sagt der Landwirt, die ihm so sehr zu schaffen mache. Enttäuschung darüber, dass die Europäische Union in Polen für eine Kostensteigerung gesorgt habe, die er mit seinen Erzeugnissen eben nicht kompensieren könne.
"Früher gab es andere Preise als jetzt. Alles was wir kaufen müssen - Futter, Pflanzenschutzmittel, Maschinen - kostet enorm viel Geld. Die Preise für unsere Produkte, die wir hier verkaufen, sind dagegen weiterhin sehr niedrig. Ich hatte vor dem EU-Beitritt Polens keine Angst. Ich hatte gar nicht so sehr darüber nachgedacht, was uns da erwartet. Ich denke, niemand hat sich darüber Gedanken gemacht, sondern den Beitritt ganz einfach hingenommen."
Junge Menschen verlassen die Gegend
Junge Bauern, meint Putkowski, hätten noch den Elan, etwas Neues zu schaffen. Er selbst gibt sich mit 45 Kühen und 40 Hektar Land zufrieden. Für mehr, sagt der Landwirt, reichten seine Kräfte nicht aus. Und Personal anzustellen könne er sich finanziell einfach nicht leisten. So wie ihm ginge es vielen in der Region.
"Zwei Drittel der Bauernhöfe von früher gibt es einfach nicht mehr. Dort leben nur noch Großeltern, Rentner. Viele Höfe werden zu Urlaubsresidenzen umfunktioniert. Früher gab es hier große Dörfer. Jetzt verlassen immer mehr Menschen – vor allem junge - die Gegend."
Bevor Dariusz Putkowski so richtig in Fahrt kommt, wird er von seiner Frau Grazyna eingebremst. So schlimm, sagt die 49-Jährige, sei das alles nun wirklich nicht. Klar würde auch sie liebend gerne mal wieder so richtig lange Urlaub machen. Wer eine Landwirtschaft betreibe, müsse darauf aber verzichten. Das sei schließlich nicht nur in Polen so. Und die EU? Was hält sie vom Beitritt ihres Landes zehn Jahre danach.
"Mit Sicherheit hilft die EU den Landwirten, aber nur wenige nutzen das. Man braucht viel Mut und viel Zeit, um Finanzhilfen zu erhalten. Wenn es weniger bürokratisch zuginge, dann wäre vieles besser. Andererseits mobilisieren die Subventionen die Menschen auf dem Land. Sie spornen sie an, ihre Höfe zu entwickeln. Ihr Wissen zu erweitern, aufgeschlossen zu sein."
Dann zeigt Grazyna Putkowska auf ein Gebäude unweit des Stalls. Dort hat sie mit ihrem Mann eine kleine Fleischerei aufgebaut. 25.000 Euro, sagt Putkowska, hätten sie von der EU als Subvention erhalten. Für polnische Verhältnisse eine Menge Geld. Der bürokratische Aufwand habe sich also gelohnt.
"Wir bieten unsere Produkte den größten Läden in unserer Umgebung an. Zurzeit sind es sechs Geschäfte, die wir systematisch beliefern. Die Rezeptur für unsere Fleisch- und Wursterzeugnisse kommt von unseren Großmüttern und Müttern. Rezepte, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Alles auf natürlicher Basis ohne Konservierungsmittel, ohne Farbstoffe, eben so wie es unsere Großmütter machten."
Idealismus gepaart mit Tradition – eine Ausnahme in der Region, zumindest was die junge Generation anbelangt. Das gilt auch für den Milchhof der Familie Putkowski. Noch, sagt Mutter Grazyna, würden ihre drei Kinder nicht wirklich daran denken, den Betrieb der Eltern zu übernehmen. Aber das könnte sich noch ändern. Vielleicht, meint die Landwirtin augenzwinkernd, eben doch wegen der hier von der EU ausgehenden Motivation.