10 Jahre NSU-Anschlag in Köln

Ein Zeuge erzählt von der folgenreichen Explosion

Die Keupstraße fotografiert am 02.06.2014 in Köln (Nordrhein-Westfalen). Am Pfingstmontag ist es genau zehn Jahre her, dass vor dem Friseursalon in der Kölner Keupstraße eine Bombe explodierte.
Die Keupstraße in Köln, fotografiert am 2. Juni 2014. Am 9. Juni war es genau zehn Jahre her, dass vor dem Friseursalon eine Bombe explodierte. © picture alliance / dpa / Oliver Berg
Von Ulrich Gineiger |
Als am 9. Juni 2004 in der Kölner Keupstraße eine Nagelbombe explodierte, stand Ali Demir in seinem Laden. Der Zeuge erzählt, wie er den Anschlag erlebt hat und was sich dadurch veränderte. Ein WDR-Journalist berichtet von manipulierten Polizei-Protokollen.
Neben mir steht wieder Ali Demir, der damals der frühere Sprecher der "Interessensgemeinschaft Keupstraße" war. Wir stehen genau gegenüber dem Laden in der Keuptstraße 60, wo die Bombe hochgegangen ist. Er hatte damals diesen Laden und er befand sich zu dem Zeitpunkt, als es geknallt hat, im Laden selbst. Wir hören jetzt nochmal einen Ausschnitt.

Ali Demir: "Da ist eine Bombe hochgegangen, dann hab ich mich hier auf den Boden gelegt. Nach ein oder zwei Minuten dann habe ich meinen Kopf hochgemacht."
Ulrich Gineiger:"Ali Demir liegt auf dem Boden und denkt, da knallt’s gleich noch einmal. Aber da kam nichts mehr…"
Ali Demir: "Da kam nichts mehr. Dann habe ich meinen Kopf hochgemacht. Dann habe ich direkt vor diesem Schaufenster einen Zivilist gesehen. War Jacke aus und Pistole unter Schulter.“
Ulrich Gineiger:"Im Halfter?"

Ali Demir: "Ja. Und dann bin ich rausgegangen. Man denkt, ja, Polizisten sind gekommen."
Ulrich Gineiger:"Aber dann waren die ja schon vorher da. Bevor die Explosion hochgegangen ist."
Ali Demir: "Die waren direkt während der Explosion hier. Ja, hier ist der Tatort."
Ermittler ignorieren Widersprüche
Soweit der Ausschnitt von damals. Nachdem es geknallt hat, Herr Demir, Sie haben nach draußen gesehen und sahen zwei bewaffnete Männer.
Ali Demir:"Ja, das waren keine Täter, natürlich. Die Täter haben wir später von der Videokamera gesehen. Wenn er mit Polizeiapparat keine Bindung hatte, dann konnte er nicht sofort vor Ort sein und seine Pistole zeigen. Das ist unmöglich!"
Ulrich Gineiger:"Dieser Mann hat sich nun genau dort befunden, also gegenüber zur Toreinfahrt, Nummer 16. Genau das war, das weiß man heute, der Fluchtweg der Attentäter. Hat sich denn irgendetwas getan? Sind die Ermittler noch einmal auf Sie zugekommen? Um diese merkwürdigen Widersprüche aufzuklären?"
Ali Demir:"Nein, die Ermittler sind nicht gekommen. Und dann nehmen wir nach einem halben Jahr, nach diesem Straßenfest, die Sache hat sich nicht schon verbessert. Umgekehrt, noch schlimmer…"
Kein Zusammenhalt mehr in der Straße
Ulrich Gineiger: "Was ist noch schlimmer geworden?"
Ali Demir:"Zum Beispiel die Zusammenarbeit in der Straße ist total weg."
Ulrich Gineiger: "Man muss ja sagen, früher einmal, als hier noch mehrere Deutsche wohnten, gab’s hier sowas wie einen Schulterschluss. Ne, also es gab ein gemeinsames Kochbuch und dergleichen."
Ali Demir: "Ja, natürlich waren da deutsche Nachbarn, haben zusammen mit Migranten gemeinsames Kochbuch und Projekte gemacht."
Ulrich Gineiger: "Das kommt nicht wieder, offenkundig."
Begriff "terroristische Gewaltkriminalität" aus Protokoll gestrichen
Die Tatsache, dass hier verschleiert worden ist, dass hier Akten geschreddert wurden, das wirft unendlich viele Fragen auf. Es gibt einen Kollegen, der sich ganz tief in dieses Thema eingearbeitet hat, der Fernseh-Journalist Oliver König vom WDR. Ein Auszug aus unserem Wochenendjournal von damals:
Oliver König: "Es gab sehr früh, eine Stunde nach dem Anschlag in der Keupstraße eine Rückmeldung der Tatort-Gruppe des Landeskriminalamtes Nordrhein-Westfalen. Das heißt, das sind spezielle Verbrechensexperten, die sich den Tatort angeguckt haben. Es handelt sich um 'terroristische Gewaltkriminalität'. Dieser Begriff steht ganz deutlich in dem Protokoll, das dort im Lagezentrum aufgestellt worden ist."
Ulrich Gineiger:"Welche Order hat den Inhalt des Protokolls überspült?"
Oliver König:"Es gab etwa eine halbe Stunde später eine Einweisung des höchsten diensthabenden Polizisten, im Innenministerium in Nordrhein-Westfalen, den Begriff 'terroristische Gewaltkriminalität' aus allen Protokollen zu streichen. Innenminister Fritz Behrens ist ja geladen worden vor den NSU-Untersuchungsausschuss und er konnte sich dort nicht erinnern, aufgrund welcher Faktenlage damals diese Begrifflichkeit gestrichen worden ist. Nachdem es in Nordrhein-Westfalen aus den Protokollen gestrichen wurde, ist es offenbar bundesweit und auch im Bundesinnenministerium aus den Protokollen gestrichen worden. Das hatte zur Folge, das sich am folgenden Tag Bundesinnenminister Otto Schily in Paris vor die Kamera gestellt hat und erklärt hat, es gäbe keine Anhaltspunkte für einen terroristischen Hintergrund."
Soweit Oliver König. Und ein Untersuchungsausschuss hat seine Arbeit aufgenommen. All diese Fragen liegen jetzt vor dem Untersuchungsausschuss in Düsseldorf und die einzige Hoffnung, die bleibt, ist im Grunde, wie hartnäckig sind die Vertreter in diesem Ausschuss gegenüber den Behörden!
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