100. Geburtstag

Sozialdemokraten sollten an Friedenspolitik Willy Brandts anknüpfen

Uwe-Karsten Heye im Gespräch mit Ute Welty |
Der ehemalige Redenschreiber Willy Brandts, Uwe-Karsten Heye, sieht in dessen Friedenspolitik eine wichtige Tradition, an die die Sozialdemokratie von heute anknüpfen sollte. Heye sagte, die Überwindung des Kalten Krieges sei nur durch eine Politik des Gewaltverzichts möglich geworden: "Das ist, glaube ich, eine Begrifflichkeit, die wir heute nötiger denn je brauchen."
Ute Welty: Er war der Kanzler, der die Frauen liebte und anders war als die Genossen und trotzdem ihr Vorsitzender; der riesige Fehler machte, aber auch alles, und zwar wirklich, richtig. Und außerdem hatte Willy Brandt ein großes Herz für die kleine Form:
Friedrich Nowottny: "War die Währungsfrage, die ungelöste europäische Währungsfrage das schwierigste Problem dieser Konsultationen?"
Willy Brandt: "Ja."
Friedrich Nowottny: "Und Sie haben dem Präsidenten keine Lösung von unserer Seite aus mit auf den Rückweg geben können?"
Willy Brandt: "Doch."
Friedrich Nowottny: "Haben Sie ihm die Termine genannt, die so wichtig sind, die Termine, die Festlegung des Wechselkurses der D-Mark?"
Willy Brandt: "Nein."
Welty: Als der WDR-Journalist Friedrich Nowottny den Bundeskanzler 1972 interviewt, macht er den Fehler, ihn vorher um ein kurzes Gespräch zu bitten, nicht länger als eins-dreißig, und dieser Bitte kommt Brandt nach. Und wer das Interview jemals gesehen hat, der wird nie vergessen, mit welch diebischer Freude Brandt auf Nowottny herunterblickt. Deutlich mehr Zeit als eins-dreißig nehmen wir uns jetzt für Willy Brandt, und zwar zusammen mit seinem ehemaligen Redenschreiber Uwe-Karsten Heye, der sich das Lachen schon kaum verkneifen kann. Guten Morgen!
Uwe-Karsten Heye: Einen wunderschönen guten Morgen, ja!
Welty: 100 Jahre Willy Brandt, und fünf davon waren Sie ihm ganz nahe, wie gesagt, als Redenschreiber und Pressereferent zwischen 1074 und 1979. Wie sind Sie beide zusammen gekommen?
Heye: Zusammen gekommen erst mal, denke ich, war die Voraussetzung meine Bewunderung dafür, dass wir endlich einen Politiker hatten, der deutlich machte - jedenfalls meiner Generation, die danach hungerte - deutlich machte, dass man in der Nazi-Zeit auch andere Alternativen hatte als mitzumachen und/oder als Mitläufer dabei zu sein. Und das war, glaube ich, der entscheidende Impuls, der von ihm ausging, jedenfalls auf viele meiner Generation, die so um die Jahrgänge '40, '41, '42 Geborenen, die ja, ob sie wollten oder nicht, als unschuldig Schuldige das auch abarbeiten mussten, was die Nazis hinterlassen hatten. Und deswegen waren wir froh, dass nun endlich diese Adenauer-Ära vorbei und diese Situation sich verändern könnte oder würde mit Geschichte nur sozusagen verdeckt umzugehen und sich nicht wirklich zu bekennen zu dem, was wir an Schuld auf uns geladen hatten ...
Welty: Und dann die eigentliche Berufung, also das eigentliche Jobangebot?
Heye: Das eigentliche Jobangebot kam dann durch einen Anruf aus dem Kanzleramt. Ich arbeitete damals für die "Süddeutsche Zeitung", deren Seite drei ja bis heute berühmt ist, wenn man so will, und ich hab viele Geschichten dort zu verantworten gehabt. Und offenkundig hat es ihm gefallen, denn er ließ anfragen, ob ich nicht einen Termin hätte für ihn, er würde gerne mit mir reden. Und dann bin ich zu ihm gegangen, natürlich hatte er nicht nur einen Termin - ich wäre sofort gerannt - und war froh und glücklich über diesen Anruf. Und er offerierte dann, ob ich eben das Redenschreiberbüro des Kanzleramtes eintreten wollte. Das, was er von mir gelesen hatte, würde ihm den Eindruck erwecken, dass ich da Impulse setzen könnte. Wunderbar, dachte ich, toll, und hab natürlich sofort zugesagt. Doch dann kam Günter Guillaume dazwischen, und mein Weg ins Kanzleramt war erst mal versperrt, wie man sich vorstellen kann. Und dann bin ich geparkt worden für ihn, weil ich ihm ja die Zusage gemacht habe im Parteivorstand der SPD. Ich war nicht Mitglied der SPD, und nach einigen Wochen und Monaten, nach dem Rücktritt und der Tatsache, dass er Parteivorsitzender bleiben würde, fragte mich der damalige Bundesgeschäftsführer Holger Börner, ob ich, wenn ich schon für den Kanzler arbeite, ob ich nicht dann doch irgendwie Lust hätte, auch in die SPD einzutreten. Das habe ich dann getan, weil ich mindestens zu 50 Prozent einverstanden war mit dem, was die Sozialdemokraten machten…
Welty: Und die anderen 50 Prozent?
Heye: Die anderen 50 Prozent bleiben meine kritische Option darauf, dass es auch noch besser geht.
Welty: Später hat es ja noch geklappt mit dem Kanzleramt - Sie sind dann Regierungssprecher geworden bei einem sozialdemokratischen Bundeskanzler, nämlich bei Gerhardt Schröder, und dann auch nicht mehr in Bonn, sondern in Berlin. Wo verlaufen die Parallelen und wo die Unterschiede?
Heye: Die Parallelen sind die, dass ich glaube, die wirklich große staatspolitische Leistung Gerhard Schröders unter anderem - es gibt ein paar Dinge, die ich außerdem gerne aufzählen würde, wenn er den 100. Geburtstag hat, kann man das ja vielleicht machen -
Welty: Wir verabreden uns jetzt schon für diesen Termin ...
Heye: Okay. War, glaube ich, dass es ihm gelungen ist, unter einer wirklichen Aufbietung aller Kraft, die dazu notwendig war, uns das Debakel, das Desaster des Irakkrieges zu ersparen und Nein zu sagen zu dieser Option eines durch Lügen und Fälschungen eingeleiteten Krieges mitzumachen. Und ich glaube, das war eine der wirklichen Großtaten, die der Bundeskanzler Gerhard Schröder zu verantworten hat. Und insoweit gibt es eine Kontinuität zu der Friedenspolitik von Willy Brandt.
Welty: Aber es gibt auch nicht wenige, die behaupten würden, Brandt habe die Sozialdemokratie groß gemacht und Schröder sie abgewirtschaftet.
Heye: Ja, ich weiß das wohl, dass das so ist. Ich glaube, Herr Schröder wird sie nicht abgewirtschaftet haben, aber dass wir heute, sagen wir mal, insgesamt, ökonomisch auf einer besseren Seite stehen als andere Länder, hat wohl auch damit zu tun, dass Schröder den Mut hatte, eine Arbeitsmarktpolitik in Gang zu setzen, die Veränderungen brachte, die nicht nur gut waren. Das ist wohl wahr. Und die auch nach und nach sozusagen revidiert werden müssen. Aber das Prinzip war, glaube ich, richtig und angemessen und hatte auch Mut erfordert, und dafür stand eben auch Schröder. Aber wir wollen jetzt nicht über Schröder reden, glaube ich.
Welty: Nee, wir wollen vielleicht noch einen Blick werfen auf Sigmar Gabriel in der Nachfolge dieser beiden. Hat er es schwerer als Brandt, der ja sozusagen noch thematisch aus dem Vollen schöpfen konnte in der Überwindung des Ost-West-Konflikts beispielsweise?
Heye: Na ja, das war ja etwas, was unendlich viel Mut erfordert hat, dieses zu überwinden, denn er musste einer Bevölkerung mitteilen, dass die Zeit vorbei sei, dass man sozusagen durch Weggucken, durch Wegdenken die eigene Mitschuld an den Ergebnissen des Zweiten Weltkrieges sozusagen einfach mal revidieren könnte und dass sozusagen irgendeine Art von Revisionspolitik möglich sei. Sondern er musste ihnen sagen, wir haben das zu akzeptieren, was da passiert ist, denn das ist unser Anteil an diesem Krieg, dass wir das Ergebnis zu akzeptieren haben. Und dass er also sowohl die nach dem Zweiten Weltkrieg gezogenen Grenzen anerkannte und die Zweistaatlichkeit als Voraussetzung dafür, dass überhaupt so etwas wie Entspannung und Annäherung möglich wurde zwischen damals Ost und West.
Und die Überwindung des Kalten Krieges durch eine Politik des Gewaltverzichts möglich wurde. Und das ist, glaube ich, eine Begrifflichkeit, die wir heute nötiger denn je brauchen. Gewaltverzicht als Antwort auf die Hotspots dieser Welt, in der wir doch gelernt haben müssten, dass die militärischen Interventionen alle nicht nur nichts gebracht haben, sondern die meisten Situationen verschlimmert haben oder schlimmer gemacht haben, als sie vorher waren. Von daher glaube ich, dass die Sozialdemokratie gut daran täte, diese Spuren wieder aufzunehmen. Und wenn Sigmar Gabriel Rede führen will, dann muss er sich dessen erinnern, dass es hier eine wichtige, notwendige Tradition der Sozialdemokraten gibt, international zu denken und friedenspolitisch zu denken, die aufzunehmen, glaube ich, notwendig ist. Und vielleicht findet er ja in Frank-Walter Steinmeier jemanden, der ihm dabei helfen kann.
Welty: Brandt und seine Nachfolger - dazu Brandts ehemaliger Redenschreiber Uwe-Karsten Heye in der Ortszeit - ich danke fürs Gespräch!
Heye: Es war mir ein Vergnügen!
Welty: Und nach neun spricht Liane von Billerbeck mit Brandts Wahlkampfmanager Albrecht Müller. Dieses Interview aus dem Radiofeuilleton finden Sie dann auch online auf deutschlandradiokultur.de.
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