Parteiübergreifender Reformpolitiker
Der Italiener Aldo Moro hat als christdemokratischer Politiker die Geschichte seines Landes nach dem Zweiten Weltkrieg nachhaltig geprägt. Ihm lag neben der Friedenspolitik besonders die Überwindung innenpolitischer Gegensätze am Herzen: Er setzte sich für eine übergreifende Zusammenarbeit mit den Linksparteien ein.
Es ist der 16. März 1978. Der staatliche italienische Radiosender RAI unterbricht sein Programm für eine Sonderausgabe der Nachrichten und kündigt eine Meldung von "extremer Bedeutung" an.
"Aldo Moro wurde von Terroristen entführt. Der Überfall fand in der Via Mario Fani in der Nähe seiner Wohnung statt.”
Versuch der Vermittlung
Aldo Moro, damals Präsident der christdemokratischen Partei Italiens, hatte wenige Tage zuvor in seiner letzten großen Rede den Abgeordneten der Christdemokraten auf einer Fraktionssitzung zugerufen:
"Wir haben unsere Linie, unsere Ausrichtung verändert, als der richtige Zeitpunkt gekommen war, sonst hätten wir nicht 30 Jahre lang das Land führen können. Doch zugleich haben wir niemals unsere tiefe Verwurzelung als Christdemokraten in der italienischen Gesellschaft verloren."
Der damals 62-jährige Aldo Moro war mit seinem ruhigen, besonnenen Auftreten ein idealer Vermittler. In seiner Partei, die immer wieder von rivalisierenden Strömungen gespalten wurde, wie im demokratischen Raum, der vom Gegensatz zwischen der Democrazia Cristiana und dem Partito Comunista geprägt war. Der deutsche Soziologe Peter Kammerer, der in Rom und Urbino lebt, erinnert sich:
"Er war auch einer der wenigen, die schon Anfang der 60er-Jahre verstanden haben, dass es eigentlich im Interesse des Landes läge, wenn die Christdemokraten sich öffnen nach links. Nicht nur bis zu den Sozialisten, sondern in den 70er-Jahren auch bis zu den Kommunisten."
Die Entführung Moros rückte eine Persönlichkeit und eine Strategie ins Licht der Weltöffentlichkeit, die bislang nur Kennern der italienischen und der internationalen Politik ein Begriff war. Aldo Romeo Luigi Moro war am 23. September 1916, kurz nachdem Italien Deutschland den Krieg erklärt hatte, in einem kleinen Ort Süditaliens unweit der apulischen Kreisstadt Lecce auf die Welt gekommen. Er wuchs in Taranto auf, studierte dann Rechtswissenschaft in Bari, wo er auch die Universitätslaufbahn einschlug. Früh engagierte Moro sich in der katholischen Jugendbewegung und wurde hier von dem Prälaten Giovanni Battista Martini, dem späteren Papst Paul VI., gefördert. Aus seiner Ehe mit Eleonora Chiavarelli gingen vier Kinder hervor. Agnese Moro, 1952 geboren, erinnert sich an einen liebevollen Vater, der bei der Erziehung auf Überzeugung setzte.
"Zum Beispiel wollte er nicht, dass ich anfing, zu rauchen. Jeden Tag fand ich auf meinem Bett eine Antiraucher-Werbung. Er war uns nie mit irgendwelchen Verboten gekommen, das hätte bei unserem rebellischen Charakter wohl auch wenig genützt."
Als Vizepräsident der von ihm mitbegründeten christdemokratischen Partei nahm der eben Dreißigjährige 1946 an der verfassungsgebenden Versammlung teil. Die Verfassung wurde ihm zum Leitfaden in vielfältigen politischen Ämtern: als Justiz- und Erziehungsminister in den 1950er-Jahren, als Außenminister und als Ministerpräsident in den 1960er- und 1970er-Jahren.
"Er blieb immer der Idee treu, die Verfassung umsetzen zu wollen. Auch in seinem Einsatz für den Frieden. Bis hin zur Konferenz über die europäische Sicherheit und Zusammenarbeit in Helsinki 1972."
Ende der parteiübergreifenden Reformpolitik
Nach seiner Entführung im März 1978 suchte die Polizei vergeblich nach dem Versteck, wo der 62-jährige Politiker gefangenen gehalten wurde. Aus Gründen der Staatsraison lehnten die Parteiführungen der Christdemokraten wie der Kommunisten es ab, mit den Roten Brigaden in Verhandlungen über Bedingungen einer Freilassung von Aldo Moro zu treten. Der war von den Terroristen nach Ablauf eines sogenannten Volksprozesses zum Tode verurteilt worden. Peter Kammerer saß am 5. Mai 1978, 55 Tage nach der Entführung von Moro, in Rom auf der Piazza Farnese beim Mittagessen.
"Und plötzlich, man sah das fast, ging es von Mund zu Mund: ‚è stato trovato Moro, è stato trovato Moro’, die Leiche wurde aufgefunden. Genau zwischen der christdemokratischen und der kommunistischen Parteiführung, in einer kleinen Gasse auf halbem Weg zwischen diesen beiden Zentralen."
Aldo Moros Zugehen auf die Kommunisten war in den Regierungen und Parteizentralen des westlichen Bündnisses weitgehend auf Ablehnung gestoßen. Mit seinem Tod endete in Italien die von ihm eingeleitete parteiübergreifende Reformpolitik.